Hans Imgram - Chronik eines Weltläufers

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Karl May hat seinen Ich-Helden fast die ganze Welt bereisen und Abenteuer bestehen lassen, doch er tat das meist ohne planvolles Zeitgefüge. Einige Reisen hat er nur angedeutet, ohne sie näher zu beschreiben, und manche frühen Abenteuer erst nachträglich in spätere Erzählungen eingeflochten.
Der Karl-May-Freund Hans Imgram hat es nun unternommen, in langjähriger Arbeit alle Episoden auf einer chronologischen Linie zu ordnen, Lücken zu ergänzen und daraus das spannende Reisetagebuch des Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi zusammenzustellen.

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Donnerstag, 22. August 1867:

Wir blieben bis heute bei den Uëlad Mescheer, dann trennten wir uns von dem gastlichen Beduinen-Stamm. Achmed und Mochallah ritten mit ihrem Vater, dem Scheik Ali en Nurabi, zu den Uëlad Sedira zurück. Ich aber wollte über Sfax in meine Heimat, und Lord Percy, der mich noch ein Stück begleiten würde, wollte hinüber nach Algerien.

Dienstag, 10. September 1867:

In Sfax war in absehbarer Zeit kein Schiff nach Europa zu erwarten. Deshalb entschloss ich mich, mit einem Dampfer nach Tunis zu fahren, wo ich auf einen besseren Anschluss hoffen konnte. Hier machte ich mein Versprechen, Krüger Bei einmal in Tunis zu besuchen, schneller wahr als vorher gedacht. Draußen in Bardo, wo der ‚Herr der Heerscharen‘ seinen Sitz hatte, lernte ich auch seinen Adjutanten Selim kennen, der aber nur der alte ‚Sallam‘ genannt wurde. Krüger Bei freute sich riesig über mein unerwartetes Auftauchen. Natürlich musste ich ihn ausführlich über unser Abenteuer mit dem Krumir und dessen Ausgang informieren. Ich musste in seinem Haus Quartier nehmen und er wollte mich unbedingt länger hier behalten. Weil ich aber nach Hause wollte, erkundigte ich mich in Goletta, dem Hafen von Tunis, wann ein Schiff nach Marseille, Neapel oder Genua fahren würde, doch man konnte mir keinen konkreten Termin nennen.

Mittwoch, 11. September 1867:

Schon am frühen Morgen sah ich einen Frachtdampfer im Hafen liegen. Ich eilte hin, um mich nach dessen weiterem Reiseziel zu erkundigen. Doch nicht ein europäischer Hafen war sein nächstes Ziel, sondern Stambul in der Türkei. Am kommenden Tag, nachdem ein Teil der Fracht gelöscht und andere aufgenommen sei, werde das unter englischer Flagge fahrende Schiff wieder abdampfen. Enttäuscht kehrte ich zurück zu Krüger Bei. Sicher saß ich hier noch einige Tage fest, ohne in Richtung Heimat zu kommen. Dann aber kam mir die Idee: Warum nicht nach Stambul fahren? Ich hatte ja schon immer vor, eine Reise dorthin zu machen. Nun bot sich mir unverhofft die Gelegenheit dazu; warum sollte ich sie nicht nutzen, zumal ich ja einen Teil des Reisewegs sparen konnte? Bevor ich mein Quartier kündigte, nahm ich mit dem Kapitän des englischen Frachtdampfers Kontakt auf und dieser erklärte sich bereit, mich nach Stambul mitzunehmen. Ich solle spätestens heute Abend an Bord sein, denn schon beim ersten Morgengrauen wolle er ablegen.

Ende September 1867:

Der englische Frachter, auf dem ich mich mit Kurs auf Stambul befand, fuhr zwischen dem griechischen Festland und der Insel Kandia (Kreta) in das Ägäische Meer hinein und an den vielen größeren und kleineren Inseln vorbei, die größtenteils zu Griechenland gehörten, bevor wir den langen, engen Schlauch der Dardanellen passierten, um dann in das breitere Marmarameer einzufahren. Dahinter lag der Bosporus, der zum Schwarzen Meer hinführt. Der Kapitän erklärte mir, dass der Bosporus ungefähr siebenundzwanzig Kilometer lang sei und seine größte Breite etwa knapp zwei Kilometer betrage. Vom Schwarzen Meer her herrschte eine starke Strömung vor und jetzt im Herbst drückte ein starker Nordwind herein. Schließlich tauchte am südlichen Ende des Bosporus die Haupt- und Residenzstadt des Osmanischen Reiches, Konstantinopel, vor uns auf, von den Türken Istanbul, Stambul oder Ber-i-Veadet (Pforte des Glücks), von den türkischen Slaven auch Zarigrad (Kaiserburg) genannt. Nachdem unser Schiff in das Goldene Horn eingefahren war, legte es am nördlichen Ufer beim Stadtteil Galata an, wo der Handel und Verkehr von Konstantinopel seinen eigentlichen Brennpunkt hat.

An den Hafendämmen lagen die Dampfer und Segler aller seefahrenden Völker, und auf den glitzernden Wogen wiegten sich die seltsam gebauten türkischen Gondeln und Kähne, zwischen denen bisweilen schlankgeflügelte Seemöwen übers Wasser hinschossen, als wollten sie in spielerischem Übermut ihre Fluggeschicklichkeit erproben und beweisen.4

Ich suchte mir in Pera ein europäisch eingerichtetes Quartier. Pera ist der Stadtteil von Konstantinopel, der vorzugsweise von Europäern, ihren Gesandten und Konsuln bewohnt wird. Ich wollte mir hauptsächlich die auf dem europäischen Festland liegende geschichtsträchtige Stadt und vielleicht noch ein oder zwei ihrer Stadtteile, wie Pera und Galata, ansehen. Das auf der asiatischen Seite gelegene Skutari interessierte mich weniger. Die eigentliche Kernstadt südlich des Goldenen Horns ist teilweise mit Ringmauern umgeben, von denen die innere mit den hohen Türmen noch ziemlich gut erhalten ist. Mehrere Tore durchbrechen diese Ringmauern, davon allein fünfzehn nach dem Goldenen Horn zu.

Dienstag, 15. Oktober 1867:

Mein erstes Ziel war die Hagia Sofia, heute Moschee und ehemals christliche Kirche, ein Musterbau byzantinischen Stils. Die unter dem osmanischen Herrscher Soliman dem Großen erbaute Moschee gleichen Namens wurde der Hagia Sofia nachgebildet und wird als die schönste gerühmt. Sieben Minaretts hat die Moschee Achmeds I. Übrigens gibt es noch viele christliche Kirchen und einige jüdische Synagogen. Der Serai, die verlassene Residenz der ehemaligen Sultane, liegt auf der Spitze des Dreiecks zum Bosporus und Goldenen Horn und ist von einer Mauer umgeben. Dort befinden sich Paläste, Moscheen und die Wohnungen der Sultanswitwen und der alten Palastdiener. Beeindruckt war ich von dem Großen Basar mit seinen langen, in verschiedene Richtungen verlaufenden Bogengängen, worin sich ein normaler Europäer gänzlich verirren kann. Die eigentliche Stadt ist fast dreieckig auf sieben Hügeln gebaut und besteht aus einem Gewirr von engen, winkeligen und stinkenden Gässchen mit meist elenden, fensterlosen Hütten, teils unterbrochen durch einen freien Platz oder ein größeres Gebäude. Ganz anders sieht es in Pera oder in Galata aus, denn beide Stadtteile sind doch mehr europäisch geprägt. Besonders imposant ist der fünfundvierzig Meter hohe und runde Turm in Galata, der als Signalpunkt dient und eine herrliche Aussicht über Konstantinopel und die Vorstädte bietet.

Während ich mich hauptsächlich darauf beschränkte, die Stadt am Bosporus kennenzulernen, wurde ich Zeuge, wie ein Gefangener fortgeschafft wurde.5 Ich erinnere mich deshalb so genau an diese Begebenheit, weil dieser Mann schöne und feine, aber in ihrem Missklang doch so teuflische Züge6 hatte. Sein Blick, als wir uns nur einen kurzen Moment Auge in Auge gegenüberstanden, war forschend, scharf, stechend und förmlich durchbohrend.

Kurz nach dieser Begegnung konnte ich einem türkischen Offizier namens Osman einen nicht unbeträchtlichen Dienst erweisen und es stellte sich dabei heraus, dass dieser früher Adolf Farkas hieß und ein ehemaliger ungarischer Offizier war. Wir wurden sozusagen Freunde und tranken gemeinsam so manche Tasse Kaffee und rauchten manchen Tschibuk miteinander.7 Er war es auch, der mir über einen Kammerdiener einen Ferman mit der Unterschrift des Sultans, einer sogenannten Tughra, besorgte. Der Ferman ist der höchste Pass. Er enthält oben zwischen den kalligraphischen Schnörkeln die Titel des Padischah. Es wird darin den Behörden alle mögliche Rücksicht auf die Wünsche des Reisenden anbefohlen. Auch sind allerlei für den Inhaber vorteilhafte Bestimmungen in diesem Pergament zu lesen, zum Beispiel, zu welchem Preis er Pferde, Begleiter und Führer und anderes haben kann.8 Damit war ich für spätere Reisen in den Orient bestens gerüstet.

Samstag, 9. November 1867:

Anfang November hatte ich das Glück, ein deutsches Dampfschiff im Hafen von Galata zu erwischen, das mich mit nach Hamburg nahm. Heute bin ich wieder glücklich in Dresden angekommen.

11. NORDLAND-REISE (1867-1868)1

Mitte Dezember 1867:

Anfang Dezember schnürte ich wieder mein Bündel und verabschiedete mich in der Hoffnung, in einigen Wochen wieder zurück zu sein. In Rostock fand ich einen Frachtdampfer, der mich zum schwedischen Hafen Salmis brachte. Salmis ist der Seehafen der Stadt Haparanda, das von den Schweden Län Norbotten genannt wird. Von hier aus sind es nur wenige Kilometer bis hinüber zur russischen Grenzstadt Tornea, die zum finnischen Gouvernement Uleaborg gehört und an der Mündung des Torne-Elf in den Bottnischen Meerbusen liegt. Hier erwischte ich glücklicherweise ein Rentiergespann, das mich hinauf nach Rovaniemi ins finnische Lappland brachte. Dort am nördlichen Polarkreis ist es um diese Jahreszeit nur zwei Stunden am Tag hell. Es herrscht ‚Kaamos‘, die Polarnacht, was auch gleichzeitig Ruhe, Stille und Friede bedeutet.

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