Hans Imgram - Chronik eines Weltläufers

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Karl May hat seinen Ich-Helden fast die ganze Welt bereisen und Abenteuer bestehen lassen, doch er tat das meist ohne planvolles Zeitgefüge. Einige Reisen hat er nur angedeutet, ohne sie näher zu beschreiben, und manche frühen Abenteuer erst nachträglich in spätere Erzählungen eingeflochten.
Der Karl-May-Freund Hans Imgram hat es nun unternommen, in langjähriger Arbeit alle Episoden auf einer chronologischen Linie zu ordnen, Lücken zu ergänzen und daraus das spannende Reisetagebuch des Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi zusammenzustellen.

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Mittwoch, 27. Juni 1866:

Wir beschlossen, heute einen Ruhetag einzulegen, und beim Mittagessen sagte uns Mr. Lange, dass er und sein Sohn mit uns reisen wollten, da sein Weg vorläufig der gleiche sei. Señor Cortesio bat uns, seinen schwarzen Diener Hektor mitzunehmen, der eine wichtige Nachricht nach Chihuahua bringen und eine schriftliche Antwort wieder mit zurücknehmen sollte.

Freitag, 6. Juli 1866:

Neun Tage später befanden wir uns im südlichen Texas. Old Death hatte volle drei Tage gebraucht, sich von der Verletzung zu erholen. Nun hatten wir in sechs Tagen fast zweihundert englische Meilen zurückgelegt. Wir ritten nach Südwest und trafen dabei auf einen Dragonersergeanten mit fünf Leuten. Er sagte uns, dass die Komantschen und Apatschen das Kriegsbeil ausgegraben hätten, weil Erstere ein Lager der Letzteren überfielen. Bei einem Treffen zwischen beiden Indianerstämmen auf Fort Inge wären zwei der drei erschienenen Apatschen-Häuptlingen von fünf Komantschen-Häuptlingen und zwanzig Kriegern in einem aufkommenden Streit niedergestochen worden. Der dritte Apatschen-Häuptling konnte verwundet auf seinem Pferd fliehen. Kurz nachdem die Komantschen das Fort verlassen hätten, sei Winnetou aufgetaucht. Als man ihn festnehmen wollte, habe er einige Soldaten über den Haufen geritten und sei verschwunden. Dann trennten wir uns von den Kavalleristen. Am Rio Leona entdeckten wir Pferdespuren. An verschiedenen Zeichen sahen wir, dass es Winnetou und der verwundete Apatsche gewesen sein mussten. Da es langsam dunkel wurde, lagerten wir. Hier erwischte Old Death einen Komantschen, den er kannte. Dieser erzählte uns, dass sämtliche Krieger der Komantschen ihre Zelte verlassen haben, um sich die Skalpe der Apatschen zu holen. Sein Stamm mit hundert Kriegern lagerte etwa eine Stunde entfernt am Ufer dieses Flusses, angeführt vom ‚Großen Bären‘, dem Sohn des ‚Weißen Biber‘, einem Freund von Old Death. Obwohl es stockdunkel war, ritten wir mit dem Indianer zu dessen Lager.

Samstag, 7. Juli 1866:

Wir verließen am nächsten Morgen die Komantschen wieder. Am Nachmittag erreichten wir die Estanzia del Caballero, die einer Festung glich. Hier wohnte ein Freund von Old Death, ein echter Mexikaner von unverfälschter spanischer Abkunft, namens Don Atanasio. Von ihm erfuhren wir, dass Ohlert und Gibson zusammen mit den Juarez-Anhängern hier gewesen und höchstens erst drei Stunden fort waren. Gibson hatte auch den verwundeten Apatschen-Häuptling gesehen, den Winnetou hierher gebracht hatte, bevor er weitergeritten war, um die Apatschen vor einem Angriff der Komantschen zu warnen. Als ich ein Bad im Elm Creek nahm, sah ich auf der anderen Seite des kleinen Flusses eine lange Schlange von Reitern kommen, einer hinter dem anderen: Indianer. Als wir auf die obere Plattform der Estanzia gelangten, schwang sich bereits der erste Indianer über den Rand. Ihm folgte ein zweiter, dritter, vierter. Es waren Komantschen. Sie hatten mit Hilfe von jungen Baumstämmchen die Außenmauer und dann auch die drei Plattformen erstiegen. Der Caballero trat ihnen einige Schritte entgegen und fragte, was die roten Männer bei ihm wollten. Der Anführer der Komantschen sagte ihm, dass in diesem Haus ein Häuptling der Apatschen versteckt sei. Sie hatten das von Gibson erfahren. Ich schaffte den Apatschen unbemerkt durch eine versteckte Tür aus dem Haus hinunter an den Fluss. Dafür belegten die Frau und die Tochter des Caballero dessen Zimmer. Über eine Stunde dauerte es, bis die Indianer ihre Hausdurchsuchung beendet hatten. Endlich waren sie überzeugt, dass sich der Gesuchte nicht auf der Estanzia befand. Da es langsam dunkel wurde, wollten die Komantschen die Nacht hier verbringen und am nächsten Morgen wieder zurückreiten. Wir wollten sie begleiten, weil wir hofften, Ohlert und Gibson noch bei der Hauptschar anzutreffen. Der alte Apatschen-Häuptling musste noch eine Nacht außerhalb der Estanzia verbringen.

Sonntag, 8. Juli 1866:

Wir verließen mit den Komantschen die Estanzia. Der Rio Grande, den wir überqueren mussten, war hier sehr breit, er hatte aber wenig Wasser. Kurz nach Mittag änderte die Fährte plötzlich ihre Richtung. Hier war die Fährte zweier Reiter auf die Roten gestoßen. Wir ritten auch in dieser Richtung weiter bis zum Abend.

Montag, 9. Juli 1866:

Um die Mittagszeit wendete sich die Fährte mehr nach Westen, und wir sahen in dieser Richtung nackte Berge vor uns aufsteigen: die Bolson de Mapimi. Wir erreichten die Berge und gelangten, als es dunkel wurde, in eine lange, schmale Schlucht, und als sie sich öffnete, sahen wir wohl gegen zehn Feuer brennen. Es schien ein runder Talkessel zu sein, den wir vor uns hatten. Die Höhen stiegen rundum steil an, ein Umstand, den die Komantschen offenbar als günstig für ihre Sicherheit betrachteten. Der ‚Weiße Biber‘ stand auf und begrüßte Old Death. Dann rauchten wir mit ihm die Friedenspfeife. Gibson und Ohlert befanden sich mit den von Señor Cortesio ausgestatteten Soldaten noch bei den Komantschen. Die zwei Reiter, die gestern den Komantschen-Stamm zur Richtungsänderung bewogen hatten, schienen keine Topias zu sein, wie sie vorgaben, sondern Apatschen, die die Komantschen in eine Falle geführt hatten. Als Old Death den ‚Weißen Biber‘ davon überzeugte, dass der Talkessel ein Hinterhalt sein könnte, kamen auch bei diesem Zweifel auf. Da erklang von der Höhe des Felsens das ängstliche Kreischen eines kleinen Vogels und gleich darauf der gierige Schrei einer Eule. Als ob er damit spielen wollte, ergriff Gibson einen Ast und stieß damit ins Feuer, dass es einmal kurz und scharf aufflackerte. Er wollte es eben zum zweiten Mal tun, da aber tat Old Death einen Sprung auf ihn und riss ihm den Ast aus der Hand. Es dauerte nicht lange, da erzitterte die Luft von dem vielstimmigen Kriegsgeheul der Apatschen. Jetzt drangen die Apatschen auf die Komantschen ein. Als Winnetou erkannte, dass eine viel zu große Übermacht gegen ihn stand, zog er seine Apatschen zurück. Ich wunderte mich darüber, dass er ganz gegen seine Gewohnheit nicht vorher Umschau gehalten hatte, um die Feinde zu zählen. Der Grund dafür wurde mir aber bald bekannt. Die Juarez-Anhänger waren mit Ohlert und Gibson verschwunden. Einer von ihnen, der verwundet zurückgeblieben war, gestand uns, dass Gibson so oft ins Feuer schlagen sollte, wie es hundert Komantschen waren. Dass Old Death Gibson daran gehindert hatte, noch viermal in sein Feuer zu stöbern, hatte die Apatschen veranlasst, uns jetzt schon zu überfallen, obwohl Winnetou nur hundert Apatschen bei sich hatte. Da ertönte jenseits des Tales eine laute Stimme. Dort stand Winnetou mit angeschlagenem Gewehr. Die beiden Läufe blitzten nacheinander auf. Der ‚Weiße Biber‘ stürzte getroffen nieder und neben ihm einer seiner Unterhäuptlinge. Als die Komantschen aus dem Talkessel wollten, wurden sie von den Apatschen blutig zurückgeschlagen. Old Death gab ihnen den Rat, mit den Apatschen Frieden zu schließen, was aber rundweg abgelehnt wurde. Da wir Weiße vollkommen allein saßen, war es Winnetou möglich, sich an uns heranzuschleichen und mit uns zu sprechen. Er riet uns, auf die Pferde zu steigen und zum Ausgang zu reiten, dort würden uns die Apatschen in Sicherheit bringen, was wir dann auch taten. Mehrere Apatschen nahmen unsere Tiere in Empfang, als wir abgestiegen waren. Winnetou geleitete uns in die Enge, die aus dem Tal führte. Als mich Winnetou fragend ansah, stand ich vom Feuer auf und streckte ihm beide Hände entgegen. Wir umarmten uns. Dann sagte Winnetou zu Old Death: „Es ist mein weißer Bruder Old Shatterhand.“ Wir überließen ihn seinem Erstaunen, denn Winnetou hatte mir zu erzählen. Als ich mich nach Gibson und Ohlert erkundigte, sagte er mir, dass beide mit den anderen Weißen schon lange nach Chihuahua zu den Truppen von Juarez unterwegs seien. Da kam die Meldung, dass die Komantschen ihre Feuer gelöscht hätten und vom Lagerplatz fort seien. Wir nahmen eine Position oberhalb des Talkessels ein, während Winnetou zu seinen Kriegern eilte. Kurz darauf krachten Schüsse. Der Kampf war ausgebrochen, doch er währte nicht lange. Wir hörten, dass sich die Eingeschlossenen in wilder Flucht zurückzogen.

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