Hans Imgram - Chronik eines Weltläufers

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Karl May hat seinen Ich-Helden fast die ganze Welt bereisen und Abenteuer bestehen lassen, doch er tat das meist ohne planvolles Zeitgefüge. Einige Reisen hat er nur angedeutet, ohne sie näher zu beschreiben, und manche frühen Abenteuer erst nachträglich in spätere Erzählungen eingeflochten.
Der Karl-May-Freund Hans Imgram hat es nun unternommen, in langjähriger Arbeit alle Episoden auf einer chronologischen Linie zu ordnen, Lücken zu ergänzen und daraus das spannende Reisetagebuch des Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi zusammenzustellen.

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Samstag, 20. Januar 1866:

Der Taifun hatte das ganze Gebäude des Schiffes arg zusammengerüttelt. Um nur die Hauptschäden wiederherzustellen, bedurften wir eines Aufenthaltes in Port Lloyd von zwei Wochen. Dann endlich gingen wir in See nach Kanton, wo die Hauptausbesserungen bewerkstelligt werden sollten.

Dienstag, 30. Januar 1866:

Die Granitfelsen der Insel, auf denen Hongkong erbaut ist, stiegen vor uns empor. Die uns begegnenden Fahrzeuge waren längst immer zahlreicher geworden, und als wir die Landspitze erreichten, hinter der Viktoria liegt, sahen wir im wahrsten Sinn des Wortes Tausende von Dschunken um uns her, teils mit Fischerei und teils mit Küstenhandel beschäftigt. Wir gingen in voller Takelung vor Anker. Kong-ni entpuppte sich als Mandarin und er wollte mir den Weg ebnen, dass ich als ‚angenommener Chinese‘ jederzeit durch das Land reisen konnte, ohne in Lebensgefahr zu geraten. Als er uns für sechs Tage verließ, hängte er mir eine Kette um, die mich vor den Flusspiraten schützen sollte.

Mittwoch, 31. Januar 1866:

Am frühen Morgen holte mich Turnerstick aus der Koje. Er hatte ein Lohnboot gemietet, das uns zuerst nach Hongkong bringen sollte, der Niederlassung der Engländer. Wir spazierten miteinander durch die Straßen der chinesischen Stadt. Nachdem wir etwas Geld gewechselt hatten, wollte Turnerstick weiter, und zwar mit dem gemieteten Boot bis hinauf nach Kanton. Eine Viertelstunde später trieben wir in unserem Bambuskahn mit der Flut stromauf. Unterwegs wollten wir eine von vier Pagoden besuchen. Der Pagodenwärter zeigte uns das Heiligtum, dann spielte ich auf zwei chinesischen Instrumenten unsere westliche Musik, die die Zuhörer zu begeistern schien. Als wir weiterwollten, warnte uns der Pagodenwärter vor den ‚Drachen‘, den Flusspiraten. Wir wurden tatsächlich überfallen und zu einem Gebäude geschleppt, konnten aber nicht nur uns selbst, sondern auch eine holländische Köchin befreien, die mit ihrer portugiesischen Herrin verwechselt worden war. Bei unserem Fluchtversuch verfolgte man uns. Es kam am Ufer zu einem mächtigen Handgemenge und wir konnten uns nur erwehren, indem wir zu den Revolvern griffen und schossen. Die Drachenmänner waren verschwunden und mit ihnen auch unser Boot.

Donnerstag, 1. Februar 1866:

Am Morgen kam eine holländische Pinasse heran, die stromabwärts segelte. Das traf sich glücklich. Ihr gaben wir unsere ‚Meisje‘ mit, während wir beide ja weiter stromaufwärts wollten. Und wirklich kam bereits nach kurzer Zeit eine kleine englische Privatjacht den Fluss heraufgedampft. Der Kapitän versprach, mit uns die Drachenmänner hochzunehmen, und wir durchsuchten die ganze Tempelanlage, fanden aber keinen einzigen mehr; sie waren alle ausgeflogen. Wir bestiegen die Jacht und dampften stromaufwärts. Sie legte in der Nähe der englischen Faktorei an. Wir ließen uns ans Land rudern. In der Menschenmenge, die uns umgab, geriet meine Kleidung in Unordnung, und das Lung-yin-Zeichen kam zwischen zwei Knopflöchern zum Vorschein. Ein Mann sah es. Er gehörte zu den Flussdrachen und sollte alle Genossen, die er traf, um Mitternacht in die ‚Herberge zu den zehntausend Herrschern‘ bestellen. Turnerstick, der trotz meiner Warnung in die verbotene Innenstadt wollte, ließ sich nicht halten. Wir kamen an eine Opiumkneipe, wo wir in eine Schlägerei gerieten, bis die Polizei kam und uns mit in den Gemeindepalast nahm. Ich musste dem Richter von unserem gestrigen Abenteuer mit den Flussdrachen erzählen, und als er unsere Namen hörte, sagte er, dass ihm sein Neffe Kong-ni von uns erzählt habe. Er versprach mir, heute Nacht die ‚Herberge zu den zehntausend Herrschern‘ aufzusuchen und die Drachenmänner zu verhaften. Wir beide aber sollten morgen früh zu Kong-ni nach Li-ting gehen, wo sich meiner Kenntnis nach auch das Oberhaupt der Flussdrachen aufhielt.

Freitag, 2. Februar 1866:

Wir frühstückten mit dem Richter. Er überreichte mir ein Empfehlungsschreiben, das ich seinem Bruder Phy-ming-tsu übergeben sollte. Bis nach Li-ting war es im Palankin (Tragsessel) eine Tagesreise. Das Gefolge bestand aus mehr als dreißig Menschen. Eben als die Sonne unterging, sahen wir Li-ting vor uns liegen. Es war eine kleine Stadt, deren Häuser aber sehr weit auseinanderlagen. Vor dem Ort sah ich ein stattliches Bauwerk, dem man es anmerkte, dass es der Sommersitz eines chinesischen Großen war. Unser Zug trabte weiter, einem burgähnlichen Gebäude zu, vor dessen Tor er anhielt. Wir wurden von Kongni und seinem Vater empfangen. Ich zog das Schreiben seines Bruders hervor und übergab es ihm. Dann wurden uns unsere Räumlichkeiten angewiesen. Anschließend sollten wir mit dem Hausherrn zu Abend essen. Später konnte ich im Garten ein Gespräch zwischen Kong-nis Vater und einem anderen Chinesen belauschen. Im Laufe des Gespräches stellte ich fest, dass der andere der ‚Kiang-lu‘ war, der Anführer der Flussdrachen.

Samstag, 3. Februar 1866:

Am Morgen sagte man uns, dass wir heute zu einem einflussreichen Freund kommen sollten. Ich konnte mich noch ein wenig umsehen und wollte erkunden, wovon ich gestern Abend gehört hatte, denn an der Drachenschlucht, die erwähnt worden war, hing vielleicht mein Schicksal; ich musste sie finden. Als ich sie ausfindig gemacht hatte, stellte ich fest, dass dort eine Frau in einer Senke gefangen gehalten wurde, der ich mein Taschenmesser hinunterwarf. Als ich zum Haus zurückkehrte, wartete man bereits auf mich. Wir bestiegen die Tragsessel und gelangten durch die Stadt nach dem Landhaus, das wir bei unserer Ankunft bemerkt hatten. Man zeigte uns den Garten und Pferde, von denen ich ein wildes, kaschgaraner2 Rassepferd zuritt. Ein Gespräch mit der Tochter des Hauses führte zu einem Eklat. Man nahm mich und Turnerstick gefangen und brachte uns in die Drachenschlucht, wo wir von einem Erker aus in das Loch hinabgelassen wurden. Dort sollten wir elendig verschmachten. Ein Glück, dass ich am Morgen der Gefangenen – es war die Frau des Kianglu, der sie loswerden wollte, weil sie Christin geworden war – mein Messer zugeworfen hatte. Dadurch konnten wir uns schnell von unseren Fesseln befreien und sahen unsere Rettung darin, dass wir versuchten, die Kaminwand hochzuklettern. Geräuschlos erreichten wir den Rand des Kamins. Der Kiang-lu stand mit dem Rücken gegen uns, ganz allein oben auf der Plattform; er fuhr herum und erblickte uns. Er stand am Rand der Plattform. Dorthin durfte er den Kampf nicht tragen lassen, deshalb sprang er mir mit einem Satz entgegen. Er rannte mit der Brust gegen meine vorgestreckten Fäuste und taumelte zurück. In diesem Augenblick holte Turnerstick aus und versetzte ihm mit seiner eisernen Faust einen Schlag vor den Kopf und der Kiang-lu stürzte rückwärts über die Felskante hinunter in den Abgrund. Ein dumpfer Ton drang herauf: der Körper des gefürchteten Strompiraten war unten aufgeschlagen und zerschellt. Wir holten die Frau herauf und brachten sie zu dem Landhaus. Dort hatte sich ihre Tochter Kuing mit dem Sohn des Bürgermeisters heimlich getroffen. Ihm sagten wir, dass Kuing und ihrer Mutter vielleicht Gefahr drohe, aber er meinte, sein Vater sei mächtig genug, sie zu beschützen. In den Räumen des Kiang-lu fanden wir unsere Waffen und alles, was man uns abgenommen hatte. Dann mussten wir fliehen. Wir eilten nach der Hofseite des Gebäudes und sprangen hinunter. Ich öffnete den Stall und zog zwei Pferde heraus und wir entkamen in die Nacht.

Montag, 5. Februar 1866:

Bereits am Nachmittag ritten wir in Kanton ein und am anderen Abend, also heute, befanden wir uns mit unseren zwei Pferden an Bord des ‚The Wind‘.

Donnerstag, 15. Februar 1866:

Wir besuchten nach unserer Rückkehr aus Kanton darauf in Makao das ‚tapfere Meisje‘, deren Herrschaft uns davon überzeugte, von einer Anzeige gegen die chinesischen Flusspiraten abzusehen. Der Konsul, an den wir uns dann wendeten, war derselben Ansicht. Wir verzichteten also darauf, über Kong-ni etwas Näheres zu erfahren, und lichteten die Anker, sobald ‚The Wind‘ ausgebessert worden war und neue Ladung genommen hatte.

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