Mittwoch, 21. Februar 1866:
Turnerstick segelte als sein eigener Reeder nordwärts in die den Ausländern offenen Hafenplätze an, bis wir in der Bai von I-mo-tung Anker warfen. Von hier aus wollte Turnerstick hinüber nach den Riu-kiu-Inseln und Japan, wozu ich keine Lust hatte, denn ich gedachte ein wenig landeinwärts zu gehen. Bis über den Chingan hinauf nach der Gobi war es nicht sehr weit, und da ich im Besitz von Papieren war, mit deren Hilfe ich für einen Chinesen gelten konnte, so entschied ich mich am Ende doch, mich von dem alten, wackeren Freund zu trennen, um wenigstens für einige Tage Wüstenluft zu atmen. Ich brachte also meine wenigen Habseligkeiten in Tien-tsin unter. Dann begab ich mich nach einer Herberge, wo ich zwei Männer traf. Einer von ihnen, er hieß Schangü, erbot sich, mein Führer ins Landesinnere zu sein. Ich versorgte mich noch mit Verschiedenem, was mir fehlte, suchte mir dann eins der Pferde aus und war nun zum Aufbruch bereit.
Sonntag, 25. Februar 1866:
Ich hatte bereits in meinen Knabenjahren von dem ‚Wunderwerk‘ der chinesischen Mauer Schilderungen gelesen. Leider aber sah ich mich enttäuscht, als wir sie nach einigen Tagen erreichten, denn was ich von ihr erblickte, war nur ein wüster Schutthaufen, von dem aus einzelne Seitenstreifen noch hier und dort in der Ferne verliefen. Ich lernte sie gerade an einer Stelle kennen, wo sie aufgehört hat, als Mauer zu dienen. Gegen Abend machten wir bei einer Herde Halt, die aus Pferden, Ochsen, Eseln und Schafen bestand und von Hirten getrieben wurde, die unter dem Befehl eines Lamas standen. Wir erzählten, dass wir nach Bogdy-ola wollten, wo ein ‚Heiliger‘ in einer Höhle wohnte. Der Lama, der ein Schabi, also Schüler eines buddhistischen Klosters war, wollte dem ‚Heiligen‘ den Erlös aus dem Verkauf der Herde bringen, damit dieser dort ein Kloster bauen konnte.
Montag, 26. Februar 1866:
Wir kamen dadurch ins Erzählen über unsere Religionen und die Sterne stiegen höher und höher; das Feuer verlöschte, es wurde kalt, endlich graute der Morgen und wir verabschiedeten uns von dem Schabi. Je mehr wir uns dem Wohnort des großen Heiligen näherten, desto reger wurde der Verkehr. Reiter auf Pferden, zuweilen auch bereits auf baktrischen3 Kamelen, begegneten uns oder eilten von rechts und links derselben Richtung entgegen. Der Schabi hatte uns erzählt, dass acht Russen bereits seit langer Zeit Schüler des großen Heiligen seien, und ich muss sagen, dass ich begierig auf die Bekanntschaft dieser Russen war. Es war mir nicht möglich, zu glauben, dass acht Christen eines solchen geistigen Rückschritts fähig sein könnten. Endlich erreichten wir Bogdy-ola. Es war nichts als ein großes und sehr weitläufiges Zeltlager. Schon von Weitem konnte ich die ‚Padma‘ des Heiligen erkennen. Der Berg stieg nach der Ebene zu fast senkrecht empor und trug hoch oben in der Nähe des Gipfels eine Höhle. Von der Höhle hingen zwei Seile herab, die den einzigen Weg bildeten, zum Heiligen zu gelangen. Übrigens war das Leben und Treiben des Ortes kein rein religiöses. Es hatten sich chinesische Krämer und Geldwechsler eingefunden.
Nachdem wir uns von dem Ritt ein wenig ausgeruht hatten, traten wir in ein Teezelt, das so überfüllt von Menschen war, wie man es auf deutschen Jahrmärkten zu sehen bekommt. Hinter uns saßen zwei Russen, die Polnisch sprachen. Wie ich hörte, mussten sie entsprungene Häftlinge sein, die sich als angebliche Schüler des Heiligen ausgaben, ihn jedoch berauben wollten. Da fiel auch der Name Mieloslaw, der mir so bekannt vorkam. Als wir außerhalb des Zeltes waren, sah ich ihn, es war der Schriftsetzer und Assessor Max Lannerfeld, der Falschspieler aus dem Ruhrgebiet, der Passfälscher aus Dresden und Juwelenräuber aus Moskau, der nach Sibirien verbannt worden war.4 Auch er erkannte mich und tauchte in der Menge der umherstehenden Menschen unter. Wir konnten ihn nicht mehr finden.
Es war längst Abend geworden. Da erscholl ein schriller Schrei, wie hoch aus der Luft, den man im ganzen Lager hören konnte. Vom heiligen Berg her ertönte ein entsetzlicher Lärm. Jetzt ging auch ich hinaus nach dem Berg. Ich konnte nicht bis an die Seile kommen, aber ich hörte, dass der Heilige einen Menschen aus der Höhle gestürzt habe, der ihn berauben wollte. Ein anderer wusste bereits, dass der Herabgestürzte einer der Russen sei. Der Sturz aus solcher Höhe hatte seinen Leib vollständig zerschmettert. Kaum eine Minute später kam eine neue Kunde. Es waren sieben Pferde gestohlen, und es fehlten die sieben anderen Russen. Im Nu zerteilte sich die Menge. Alles eilte daher nach den Gäulen, und ich nahm mir die Zeit, den Toten zu betrachten. Ich erkannte ihn beim Schein der kleinen Argolflamme, die angezündet wurde. Es war der Assessor.
Dienstag, 27. Februar 1866:
Am anderen Tag kehrten nach und nach die Reiter zurück. Hier und da brachte einer eins der geraubten Pferde; von den Räubern aber sprach keiner ein Wort; ich wenigstens konnte nicht erfahren, was mit ihnen geschehen war.
Sonntag, 1. April 1866:
Ich wartete noch einige Tage und setzte dann meine Reise zur Gobi, die von den Chinesen Schamo (Sandmeer) genannt wird, fort. Die Gobi ist das östliche Becken des Hanhai in der südlichen Mongolei, eine meist gewellte Wüstensteppe zwischen dem Altai-, Tien-schan- und dem Chinganggebirge. Bergzüge bis zu 2.100 Meter durchkreuzen die Wüstensteppe, hier im Osten sind sie teilweise bis zu 1.200 Meter hoch und die kesselartigen Vertiefungen zwischen den Gebirgszügen sinken bis zu 600 Meter Meereshöhe. Die meiste Fauna bildet die auch bei uns bekannte Erika und die drahtartige Dirissu der Mongolen, während Hasen, Füchse und Wölfe, kleine Nagetiere, wilde Bullen und Antilopen anzutreffen sind. Die Bevölkerung des Südens und des Ostens sind sesshafte Chinesen, die von Jahr zu Jahr die Steppe immer mehr einengen. Die Gobi wird im Osten von der Karawanenstraße Kichata-Kalgan durchschnitten. Die ersten Nachrichten über dieses Gebiet brachte der Jesuit Gerbillon, der zwischen 1688 und 1698 acht Missionsreisen in der Gobi unternahm. Nun hatte ich drei Wüsten auf drei verschiedenen Erdteilen kennengelernt: die Sahara in Afrika, den Llano Estacado in Amerika und die Gobi in Asien. Drei Wochen später befand ich mich wieder in Tien-tsin und gelangte von da nach Taku am Golf von Tschili. Ich musste einige Tage warten, bis ein Schiff in südlichere Gefilde abging, und war vor einigen Tagen in Kalkutta gelandet.
Dienstag, 3. April 1866:
Da ich kein Schiff fand, das in absehbarer Zeit nach Europa ging, fahre ich seit heute Morgen mit einem Dampfer nach New York.
8. DRITTE NORDAMERIKA-REISE (1866-1867)
Mittwoch, 9. Mai 1866:1
Ich war von Valparaiso über die Südseeinseln und China nach Ostindien gekommen, als der bedauerliche Tiefstand meiner Reisekasse mich zwang, den heimatlichen Gestaden zuzustreben. Da indes in absehbarer Zeit kein Schiff nach Deutschland in See ging, entschloss ich mich rasch und fuhr von Kalkutta aus mit dem nächsten Dampfer nach New York. Dort würde ich schon Mittel und Wege finden, die es mir ermöglichten, heimzukommen. Um das Kap der Guten Hoffnung gelangte ich nach fünf Wochen an mein vorläufiges Ziel und stieg in New York an Land.
Sonntag, 13. Mai 1866:
Ich setzte mich hin und brachte meine Erlebnisse meiner letzten Reise zu Papier. Sie fanden sofort Aufnahme in der Sonntagsbeilage der ‚New Yorker Staatszeitung‘, die schon damals das größte deutsche Blatt in den Staaten war, und ich durfte hoffen, auf diese Weise die zur Heimfahrt nötigen Mittel in kürzester Zeit zusammenzubringen.
Montag, 14. Mai 1866:
Da machte ich auf der Redaktion des Blattes die Bekanntschaft des sehr ehrenwerten Mr. Josy Tailor, des Leiters eines berühmten Privatdetektiv-Unternehmens. Als er hörte, wer ich war, bot er mir an, in seine Dienste zu treten. Ich sagte auf der Stelle zu.
Читать дальше