„Noch einen Schluck“, schlug er vor, „dann fangen wir an, Leute.“
Nachdem die Köche das leere Geschirr eingesammelt hatten und der letzte Rum getrunken war, ging die Crew daran, das Schiff aufzuklaren. Sie holten eine Pütz nach der anderen voller Salzwasser an Bord, schrubbten die Decksplanken, schossen die Leinen auf und spülten den Schlick durch die Speigatten und die Öffnungen im Schanzkleid außenbords.
Ein paar enterten über die Wanten auf und brachten die Rahruten und die Schoten in Ordnung. Swieten, der Zimmermann, und der Kapitän packten zwei Lampen und stiegen in den Kielraum hinunter.
Mit dem Stiel des Kuhfußes prüfte Swieten die Planken. Das Geräusch klang vertrauenerweckend.
„Gute Arbeit, Swieten“, sagte van Stolk. Er fuhr mit der Hand über die neu eingesetzten und gegengenagelten Teile. „Hält das die Rückfahrt auch noch aus?“
„Das weiß ich nicht“, erwiderte der Zimmermann. „Hier jedenfalls sind die Planken dicht. Ich habe alles angeschaut und abgeklopft, auch von außenbords.“
„In Ordnung“, sagte der Kapitän. „Die Luken offenlassen und holt die Ballen zum Trocknen an Deck, solange es nicht regnet.“
„Habe ich schon angeordnet“, antwortete Martin Lemmer und deutete nach oben. „Luken und Grätings sind offen, die Grätings werden geputzt. Und dann hieven wir das nasse Zeug an Deck.“
„Gut. Dann kann ich mich also in Ruhe rasieren, wie?“ fragte der Kapitän und nahm die Lampe vom Haken.
„Selbstverständlich. Ich hab’s auch vor.“
„Dann hätten wir dieses Abenteuer auch wieder überstanden“, murmelte der Kapitän. Sein Tonfall drückte seine Zufriedenheit aus.
Er stieg vom Bug bis zum Heck durch alle Laderäume und inspizierte jeden Winkel zwischen und hinter dem Ladegut. Immer wieder klopfte er mit dem Messergriff gegen das Holz und lauschte auf den Klang. Schließlich enterte er wieder aus der stickigen Tiefe an Deck.
„Alle herhören!“ rief er. „Wir klaren auf und legen einen Ruhetag ein. Morgen früh gehen wir wieder in See. Beeilt euch mit der Ladung – keiner weiß, wann es wieder regnet.“
„Jawohl, Schipper!“ schrien die Männer voller Begeisterung.
Der größte Teil der Decksplanken war mittlerweile so sauber, wie es sich für ein gutgeführtes holländisches Kauffahrerschiff gehörte.
Bis Mittag hatten die Holländer in strahlendem Sonnenschein und der trockenen Hitze ihre „Zuiderzee“ auf Hochglanz gebracht. Kapitän, Erster und Bootsmann wuschen sich das Haar, stutzten die Bärte und schabten sich die Stoppeln vom Hals und von den Wangen.
Greefken war über die Wanten in den Großmasttopp aufgeentert und suchte die Umgebung mit dem Spektiv des Kapitäns ab.
„Was siehst du durch den Kieker?“ rief Antony Leuwen von der Kuhl. „Nur Wasser und Vogelschwärme, wie?“
„Und Fischerboote. Mehr als ein Dutzend. Dort drüben, an Backbord, muß ein Fischerdorf sein!“ rief der Ausguck, ehe er den Kopf drehte und über die Bäume des Ufers hinwegzublicken versuchte. Seit Sonnenaufgang kreisten die Vögel über der Bucht. An die verschiedenen Laute der Tiere, von denen sie nur selten eins sahen, hatten sich die Holländer inzwischen gewöhnt.
„Bewegen sich die Fischerboote auf uns zu?“ wollte der Erste wissen. Er trocknete mit einem leidlich sauberen Tuch sein Haar und wischte den Schaum aus dem Gesicht.
„Nein, Martin. Sie haben uns zwar gesehen, aber wir sind für sie nicht wichtig. Vielleicht wissen sie, daß keiner von uns gern Fisch ißt.“
Die Crew brach in Gelächter aus. Durch die Luken wurden feuchte oder nasse Ballen und Kisten aufwärts auf die trockenen Planken gehievt. Die Crew riß die Deckel auf, schlug die Leinwand um die Planken auseinander und zerrte das nasse Zeug in die Sonne.
Die Köche brutzelten und kochten unter Deck, nachdem sie das Essen im hellen Sonnenschein vorbereitet hatten. Um die Abfälle, die über das Schanzkleid flogen, versammelten sich die Fische.
„Ein guter, ruhiger Tag“, sagte der Kapitän schließlich. Er saß mit nacktem Oberkörper in der Sonne und schaute sich die Umgebung in aller Ruhe durch das Spektiv an. Er hatte das Schiff tatsächlich an eine kaum bewohnte Stelle der Küste gesegelt. Größere Siedlungen gab es wohl weiter im Osten oder mit Gewißheit an der Ostküste im Süden des Landes.
Ein paar Männer wuschen ihre Hemden, einige rasierten sich, drei Mann lagen auf der Back und dösten im Schatten. Der Rumpf der „Zuiderzee“ hob und senkte sich in den Wellen und zerrte an den Tauen. Martin Lemmer schaute nach den Wasserfässern und entschied, daß der Vorrat reichte.
Ohne Eile wurden die trockenen Kisten wieder in die Laderäume abgefiert. Durch die offenen Luken zog muffiger Dunst ab. Dries Versteeg, der Stückmeister, kümmerte sich schweigend um die Culverinen und putzte die Drehbassen, nachdem er die Rohre gesäubert und getrocknet hatte.
„Willst du die Fischerboote bekämpfen, Dries?“ rief Antony.
„Ganz bestimmt nicht. Aber Feuchtigkeit in den Rohren, das ist nicht mal für leere Geschütze gut.“
„Recht hat er. Laß dich nicht aus der Ruhe bringen“, sagte Greefken.
Am Schanzkleid, in den Wanten und überall im Tauwerk hingen die hassen Tücher und Kleidungsstücke. Die Sonne brannte fast senkrecht aus einem wolkenlosen Himmel herunter. Vermutlich würde der Regen nicht bis zum Abend auf sich warten lassen. In den zurückliegenden Tagen hatte es fast regelmäßig am späten Nachmittag zu regnen angefangen.
Die Mannschaft klarte auch unter Deck auf, die Kojen wurden ebenso gelüftet wie die Kammern. Der Erste und der Navigator überprüften die Karten, ließen sich nach dem Essen ein paar Becher Wein bringen und sagten sich, daß die Stunden des Nichtstuns ohnehin so selten waren. Viele Arbeiten, für die sonst keine Zeit blieb, wurden am Nachmittag zumindest angefangen.
Vier Stunden vor der Abenddämmerung hatte sich der Himmel mit dunklen Wolken überzogen.
„Wir müssen das Deck räumen!“ rief Willem van Stolk. „Und dann zurrt die Persenninge über die Grätings.“
„Verstanden, Willem.“
Der Erste stand auf und steckte das Messer, mit dem er die Fingernägel geputzt und geschnitten hatte, in den Stiefelschaft.
„Packt mit an“, sagte er. Ein Stück Ladegut nach dem anderen, leidlich trocken, wurde durch die Luken gehievt. „Das Deck wird gleich wieder von selbst gespült.“
Eine halbe Stunde danach sammelten die Holländer ihre trockenen Hemden und Tücher ein. Vor der Sonne, die über den Baumwipfeln des Uferwaldes hing, schob sich die erste graue Nebelwolke.
„Das war’s“, sagte Willem van Stolk und rieb einige Tropfen Öl zwischen den Handflächen. Dann verteilte er das Öl in seinem Gesicht. „Der Regen ist pünktlich.“
Die Helligkeit nahm ab, aus den treibenden Wolken wurde eine zusammenhängende dunkle Wand. Der Wind, der durch die Bäume fauchte, kräuselte die Wellen der Bucht und ließ die „Zuiderzee“ schwanken. Die Blicke der Holländer wanderten zum Himmel, aber noch regnete es nicht. Martin Lemmer teilte die Wachen ein und stellte das Kommando für den nächsten Morgen zusammen.
„Wir gehen ankerauf und steuern, solange der Wind nicht zu stark ist, nach Südosten“, sagte er. „Auf den Karten habe ich zwei Häfen ausgemacht: Bharuch und Khambhat. Je nachdem – einen laufen wir an. Also: zuerst einen Becher Tee, ein Stück Brot, und dann staken wir aus der Bucht.“
„So halten wir’s“, sagte der Stückmeister:
„So versuchen wir’s jedenfalls“, schloß der Kapitän und verschwand in der Kapitänskammer.
Es dauerte noch eine Stunde, bis die Monsunwolken den gesamten Himmel bedeckten und die Windstöße schwere Regentropfen heranwirbelten. Auf den trockenen Planken erschienen unzählige kleine Punkte, und schließlich folgten die Regengüsse in schrägen Bahnen. Binnen weniger Atemzüge waren die Ränder der Bucht hinter den graublauen Vorhängen aus Wasser unsichtbar geworden.
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