Die Mannschaft der „Zuiderzee“ verzog sich unter Deck und wartete, während das Rauschen und das Plätschern über ihnen immer lauter wurde.
Kapitän Philip Hasard Killigrew stand schräg hinter dem Rudergänger und hielt sich an einem Fall fest. Die Schebecke kreuzte gegen Wind und Strömung, Kurs Süden lag an. Die Sicht betrug nicht mehr als eine Kabellänge. Die Männer, die sich noch an Deck aufhielten, trugen die langen Segeltuchjacken und troffen, wie alles andere, vor Nässe.
Pete Ballie umklammerte die Pinne, die Schebecke krängte nach Backbord. Der Bug hob und senkte sich und setzte krachend in die See. Ein salziger Schauer wehte vom Bugspriet her und stob über die Decksplanken.
„Eine feine Segelei ist das aber nicht, Sir!“ schrie Pete und stemmte sich gegen das nasse Holz der Pinne. „Wo sind wir eigentlich?“
„Auf jeden Fall weit von Ufern und Sandbänken entfernt, Pete!“ rief der Seewolf zurück. „Du hast recht. Wir hätten irgendwo vor Anker gehen sollen.“
„Zu spät jetzt.“
„Stimmt“, antwortete Hasard. „Noch ein paar Stunden, dann ist alles vorbei. Dann sehen wir auch, wo wir sind.“
„Hoffentlich.“
Der Regen war warm wie immer in diesen Tagen und Nächten. Leichter Dunst zog auf, die Wellen waren weniger hoch als befürchtet. Wenn die Karten richtig gezeichnet waren, und bisher waren sie erstaunlich genau gewesen, dann befanden sie sich jetzt etwa querab der Narbada-Mündung. Der Seewolf überlegte, ob es Zeit für die nächste Kursänderung sei. Schließlich wollte er nicht weiter südlich, womöglich nahe Surat, nach Ruthland suchen, sondern im Westen der trichterförmigen Bucht.
„Wir fallen nach Westen ab!“ rief er.
Ben Brighton zeigte von der Kuhl her klar. Das matte Licht der Hecklaterne reichte gerade bis zum Großmast.
„Abfallen, Pete“, befahl Hasard.
Die Schoten wurden gefiert, während Pete Ballie Ruder legte.
Jeder, der in diesem scheußlichen Regen an Deck stand, starrte in die Dunkelheit hinaus und versuchte zu erkennen, in welchem Fahrwasser sich die Schebecke befand. Aber es gab nichts anderes zu sehen als dunkle Wellen mit winzigen Schaumkronen, und auch die Geräusche ließen nicht erkennen, ob Untiefen oder Riffe lauerten.
Der Bug der Schebecke hatte sich westwärts gerichtet. Die Dreieckssegel waren getrimmt, die Schoten belegt. Der Regen fiel jetzt von Backbord ein.
Der Seewolf fühlte sich noch immer unbehaglich wie seit Anbruch der Nacht. Längst hatte er eingesehen, daß es besser gewesen wäre, irgendwo in Ufernähe vor Anker zu gehen.
„Ich kann nur hoffen“, sagte er halb zu sich selbst, „daß die Sonne uns zuliebe etwas früher aufgeht.“
Die Schebecke schob sich weiter durch Regen und Dunkelheit. Die Männer hofften, am nächsten Tag auf die „Ghost“ zu stoßen. Und dann würden die Kanonen sprechen.
„Alle Mann an Deck!“
Francis Ruthland beugte sich weit über das Schanzkleid. Der Bug der „Ghost“ driftete, Handbreite um Handbreite, durch das pechschwarz erscheinende Wasser. Die Männer stakten von der Kuhl aus mit den Riemen, stemmten deren Blätter gegen die Hochwurzeln der Mangroven und schoben das Schiff aus dem Versteck.
Die Enden der Rahruten schrammten an den Lianen entlang. Als sich der Bugspriet um die Krümmung schob, blinzelte Ruthland überrascht. Vor der Karavelle stand eine dünne Nebelwand, von der die Sicht auf das freie Wasser versperrt wurde.
Luftblasen platzten an der Oberfläche des ruhigen Wassers. An der Bordwand rieben sich federnd die Äste, die Halme von bambusartigen Gräsern raschelten.
„Gut so!“ rief Francis Ruthland. „Bringt das Heck mehr nach Backbord! Verdammter Dunst.“
Die Morgendämmerung war kurz, die Helligkeit nahm zu. Noch leuchtete die Sonne nicht durch den Nebel. Die Riemen polterten, das Wasser plätscherte, und die Vögel lärmten an Land und über den Masttopps.
Knarrend schwang das Heck herum. Eine Reihe nachdrücklicher Stöße der Riemen, teilweise gegen das Ufer, teilweise im Wasser und im schlickigen Grund, schoben die „Ghost“ in den Nebel und in Richtung des freien Wassers.
Hugh Lefray gab das nächste Kommando. Die Geitaue des Focksegels wurden gelöst, das Segel, noch naß vom nächtlichen Regen, sackte schwer nach unten und sprühte einen Tropfenregen nach allen Seiten. Wieder schoben die Ruderer an, die Karavelle kam gut frei und verschwand im Dunst. An Backbord erschien im Nebel ein hellerer Fleck, der anzeigte, daß die Sonne sich über die Kimm hob.
„Weiter draußen“, rief Ruthland, „löst sich der Nebel auf! Spätestens in einer Stunde. Und dann geht’s nach Süden!“
„Ich denke, wir gehen auf den Seewolf los?“ schrie Lefray vom Quarterdeck.
Giftig erwiderte der Kapitän: „Was meinst du, wo wir den Bastard treffen?“
„Na gut, im Süden. Und woher weißt du das so genau?“ fragte der einäugige Kumpan.
„Weil er uns im Süden sucht. Deswegen“, lautete die Antwort.
Ruthland war davon überzeugt. In der letzten Nacht hatten sie lange über den Seewolf und seine Männer gesprochen.
Mit einem letzten Schwung glitt die Karavelle vollends in den Nebel. Die Farbe des Wassers änderte sich, als die lautlosen Wirbel hinter dem Heck sich auflösten.
Grauer Dunst umgab die „Ghost“, als sie das tiefe, sichere Wasser außerhalb der Bucht erreichte und in den Bereich einer schwachen Brise gelangte. Die Leinwand des Segels wehte schlapp hin und her und trocknete nur langsam.
„Stückmeister?“ rief Ruthland.
Von der Kuhl ertönte augenblicklich die Antwort. „Sir?“
„Alle Geschütze müssen feuerbereit sein. Auch die Drehbassen. Im Lauf des Tages stoßen wir auf Killigrew. Und dann mußt du besser zielen als jemals zuvor. Verstanden, David?“
„Sehr wohl, Sir?“ gab David Lean zurück und rieb sich die Hände.
Die Riemen polterten, als sie unter Deck und im Beiboot verstaut wurden. Das Großsegel wurde getrimmt und die Schot belegt. Eine Strömung packte die Karavelle und zog sie langsam, fast kraftlos, aus der Bucht und durch den Dunst, der langsam eine rötliche Färbung annahm. Hinter dem Schiff und über den Masten schrien unzählige Vögel, die in unsichtbaren Schwärmen kreisten.
„Kurs halten. Wir haben keine Eile“, sagte Ruthland.
„Aye, aye, Sir.“
David Lean und fünf aus der Deckscrew schleppten Pulverfässer, Kugeln und Werkzeug an Deck. Eine Persenning nach der anderen wurde losgebändelt und verstaut. Die breiten Räder der Lafetten rumpelten über die Planken, die Rohre wurden überprüft. Sorgfältig kontrollierten der Stückmeister jedes einzelne Geschütz samt Pulvermenge und lud nach, wenn er es für notwendig hielt.
Pugh schleppte die Drehbassen auf beiden Armen vom Vorschiff und achtern auf die Kuhl, setzte sie schweigend ab und warf einen prüfenden Blick auf die Segel. Aus dem Stoff tropfte noch immer Wasser, aber der Wind war kräftiger geworden und schob die Karavelle zunächst ostwärts.
„Noch eine Stunde“, sagte Ruthland und sprang von der Back mit einem Satz auf die Kuhl. „Dann segeln wir mit gutem Wind.“
Der Nebel schien dünner zu werden, die Hitze begann ihn aufzulösen. Der Wind nahm zu, und schließlich lag die „Ghost“ gut auf dem Ruder.
Francis Ruthland ballte die rechte Hand zur Faust und sagte erleichtert: „Wir gehen auf Südkurs, und wenn wir bis in die Nacht kreuzen müssen.“
Zwei Stunden nach Sonnenaufgang hatte sich der Nebel restlos aufgelöst. Die „Ghost“ befand sich im freien Fahrwasser, aber in jeder Richtung der Windrose befanden sich Inseln, schoben sich Landzungen vor, tauchten langgestreckte Sandbänke auf.
Plötzlich vernahmen die Kerle fernen Donner. Als sie genau hinhörten, stellten sie fest, daß es unzweifelhaft Geschützdonner sein mußte. Sie konnten deutlich die einzelnen Abschüsse unterscheiden.
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