„Aye, Sir.“
Der Stückmeister stapfte aus der Kammer hinaus ins nasse Dunkel und enterte auf die Kuhl ab. Ein lauter Stimmenwechsel war zu hören. Kurze Zeit später schleppten zwei Mann im Schutz eines Fetzens Leinwand die Schalen und Schüsseln in die Kapitänskammer.
Als Ruthland roch und sah, was der Koch zubereitet hatte, vergaß er vorübergehend seine schlechte Laune. Seine Worte waren undeutlich, weil er auf dem Fleisch herumkaute.
„Mit dem Proviant haben wir keine Schwierigkeiten. Eigentlich wollte ich hier im Wald nach Früchten suchen lassen. Aber daraus wird wohl nichts bei dem ständigen Regen.“
„Vergiß es. Wir haben genug in der Proviantlast.“ Lefray grinste in sich hinein. „Wenn wir mit unserem Vorhaben fertig sind, können wir noch nach Pilzen suchen.“
Es war ohnehin eine blöde Idee, zwischen den Bäumen und Sträuchern herumzukriechen und nach Beeren und Früchten zu suchen. Aber immer redete der Alte davon. Er selbst ging bestenfalls ein Dutzend Schritte weit in den Wald, lehnte sich gegen den Baumstamm und brüllte Befehle in alle Richtungen. Hugh kannte das zur Genüge.
„Ich übernehme die nächste Wache“, sagte er, als er satt war. „In der Nacht wird es wohl keinen Ärger geben.“
„Was weiß ich! Schon gut.“
Ruthlands Gesichtsausdruck ließ erkennen, daß er nachdachte. Er plante schon für den nächsten Morgen. Hugh Lefray war zufrieden darüber, denn bisher war ihnen fast alles geglückt, wenn es Ruthland genügend lange und gut vorbereitet hatte.
Bis auf die Sache in Surat. Da war mehr fehlgeschlagen, als sie vorausgesehen hatten.
Es regnete ununterbrochen bis drei Stunden nach Mitternacht.
Die Blätter der Baumkronen schüttelten sich, der Wind rauschte und gurgelte rund um die „Ghost“ im Dschungel. In die winzige Bucht hinter dem Geländevorsprung drangen nur die Ausläufer von Wellen, die sich über den trockenfallenden Sandbänken und dem Wall aus Treibgut brachen.
An den Baumstämmen rann das Wasser in breiten Rinnsalen hinunter. Die Wachen, die an Deck der Karavelle unter den Segeln und den ausgespannten Persenningen saßen und standen, hörten nichts anderes als die Geräusche des Monsunregens und des Windes.
Die „Ghost“ gierte, und die Festmacher, die zum Land geführt und an Deck wieder an den Klampen belegt waren, scheuerten an den Uferbäumen. Die Crew schlief ruhig, ebenso der Kapitän, doch durch seine Träume spukten die Schebecke und der Seewolf.
Die Menge des Wassers, das aus den schweren Wolken fiel, ließ von Stunde zu Stunde nach. Vereinzelt blinkten durch die Regenschleier undeutlich die Sterne. Schließlich tropfte Wasser nur noch von den Baumkronen. Pugh, der Schiffszimmermann, trat unter der triefenden Leinwand hervor und ging langsam am Steuerbordschanzkleid entlang.
Coughlan rief ihn an. „Alles ruhig? Alles in Ordnung?“ fragte er und schob den Kopf unter den Planken des Achterdecks hervor.
„Der verdammte Regen läßt nach“, erwiderte Pugh. „Endlich.“
Die Kerle blieben unter den Wanten stehen und starrten nach oben. Die wenigen Sterne wurden deutlicher und heller, an anderen Stellen rissen die Wolkenbänke auseinander.
„Der Alte will am Morgen ankerauf gehen?“
„Ja. Hat er gesagt. Wir werfen beim ersten Licht die Leihen los.“ Pugh wischte mit dem Ärmel über sein Gesicht. „Das Versteck ist gut, wie?“
„Hier könnten wir einen Monat lang liegen, und niemand würde uns entdecken, nur vielleicht die Fischer“, erwiderte Coughlan.
„Keiner will so lange warten“, brummte Pugh. „Wir wollen den Seewolf schnappen.“
„Wir müssen ihn finden. Oder er findet uns!“
Coughlan grinste in der Dunkelheit. Über dem Schiff strahlten jetzt die Sterne. An wenigen Stellen trockneten die Planken auf und färbten sich heller als die Umgebung. Auch mitten in der Nacht hatte die feuchte Wärme nicht nachgelassen. Zwischen dem Wasser und dem festen Ufer raschelten unsichtbare kleine Tiere.
„Wahrscheinlich sucht uns Killigrew ganz woanders. Aber in ein paar Stunden sind wir klüger.“ Pugh nickte, drehte sich um und ging vorsichtig hinüber zur anderen Seite der Karavelle.
Je länger die Männer auf die Morgendämmerung warteten, desto unruhiger wurden sie. Immer wieder starrten sie über das schwarze Wasser, als erwarteten sie, daß von dort ein riesiges Enterkommando lautlos nahte.
Die Schritte der Posten blieben leise. Wieder schüttelten sich die Bäume unter einer Bö. Tropfen prasselten auf die Planken hinunter. Das laute Schnarchen unter Deck riß plötzlich ab, es polterte dumpf, dann war wieder Ruhe.
Noch höchstens vier Stunden, bis die Sonnenstrahlen auch in diesen Winkel drangen.
Auf der „Zuiderzee“ herrschte die Ruhe der Erschöpfung. Kapitän Willem van Stolk lag wie ein Toter in seiner Koje. Nur das Geräusch der tiefen, röchelnden Atemzüge verriet, daß van Stolk lebte.
Einunddreißig Seeleute an Bord der niederländischen Karavelle waren an diesem Abend genauso erschöpft wie der Kapitän. Drei Mann befanden sich als Wache an Deck, triefend naß, mit gesenkten Schultern und Köpfen und gähnend. Sie waren selbst zum Fluchen zu müde.
Antony Leuwen hockte auf der zweituntersten Stufe des Niederganges und hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt. Sein Kinn ruhte auf den Handflächen. Aus seinem kurzen Kinnbart tropfte das Wasser zwischen seine Füße. Er fühlte sich, als habe man ihn gekielholt und ausgepeitscht. Jeder Muskel schmerzte. Der dreißigjährige Bootsmann wartete nur noch auf das Glasen und die Wachablösung, dann konnte er seine müden Knochen lang ausstrecken.
Swieten, der Schiffszimmermann, schleppte sich von Backbord herüber und ließ sich schwer auf die Stufe fallen. Sein schwarzes, kurzes Haar klebte an seinem kantigen Schädel.
„War knapp, Antony, nicht wahr? Ausgerechnet der Spant und die Beplankung.“
Die Planken und der Spant, von Trockenfäule reichlich befallen, hatten die leichte Ramming mit einer Mangrovenwurzel nicht überstanden. Die Wurzel unterhalb der Wasserlinie waren hart wie Eisen gewesen. Vor einer Stunde hatten sie das letzte Wasser aus der Bilge gelenzt.
„Das ist immer so“, erwiderte der Bootsmann und riß den Mund weit auf. Die Wangenmuskeln schmerzten schon vom vielen Gähnen. An die vielen Schnitte, Schrammen und blaue Flecken dachte er dabei nicht.
Das Schiff stank nach fauligem Schmodder und Gammel aus der Bilge, nach dem heißen Pech und nach vielen anderen wenig angenehmen Gerüchen.
„Immer unter der Wasserlinie“, knurrte der Schiffszimmermann. „Aber wir haben die gute alte ‚Zuiderzee‘ wieder sauber geflickt.“
„Das Unterwasserschiff ist dicht“, bestätigte Antony Leuwen und gähnte wieder.
Die „Zuiderzee“ und ihre holländische Mannschaft hatten Glück im Unglück gehabt. Seit Wochen segelten und kreuzten sie in diesen Gewässern, das Land in Sichtweite. Die Seiten des Logbuchs füllten sich mit Eintragungen, die wenigen Karten, die Willem van Stolk mitführte, wurden von Tag zu Tag genauer.
Die „Vereenigte Oast-Indische Compagnie“ hatte die Karavelle ausgerüstet und zu diesem fernen Ziel geschickt. Bis zu dem Augenblick, als van Stolk zu nahe an die Flußmündung herangesegelt und das Schiff von der Strömung mitgerissen worden war, hatte es nur wenige wirklich gefahrvolle Momente gegeben.
Greefken, der irgendwo neben dem Ruder im Dunklen saß, drehte die Sanduhr um. Das Glasen hallte über das nasse Deck. Der Bootsmann packte den Handlauf und zog sich ächzend in die Höhe.
„Hoffentlich muß ich die Ablösung nicht an Deck prügeln“, murmelte er und schlurfte zum nächsten Niedergang.
Swieten blieb sitzen und fühlte, wie ihm die Augen zufielen. Jetzt war er sogar zu schlapp zum Gähnen.
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