„… niemand weiß etwas, sogar die Admiralität hüllt sich in Schweigen. Dabei handelt es sich nicht um einen Holzfrachter, dem keiner eine Träne nachweinen würde, sondern um sage und schreibe zehn Schatzgaleonen aus der Neuen Welt, beladen mit Gold und Silber in unschätzbarem Wert. Don Ricardo würde niemals etwas billigen, was den Interessen Spaniens zuwiderläuft, davon bin ich überzeugt, aber mir gibt das Verschwinden der Sklaven zu denken. Wohin wurden sie gebracht, wo finde ich die ‚Isabella‘ – und vor allem: Wie ist es möglich, daß aus einer Kriegsgaleone jene drei seltsamen Schiffe wurden, die den Konvoi begleiteten? Wenn ich sie nicht mit eigenen Augen gesehen hätte!“
Auszug aus einer Logbucheintragung vom 23. November 1598.
„Endlich! Admiral Mendez hat heute meine Fragen beantwortet. Ausschlaggebend war die Nachricht, die in den Mittagsstunden Cádiz erreichte: Die ‚Casco de la Cruz‘ unter dem Kommando von Julio de Vilches wurde vor Mauretanien versenkt – von der Mannschaft eines Schiffes, bei dem es sich der Beschreibung nach nur um die ‚Isabella‘ gehandelt haben kann .
Noch habe ich Mühe, die Zusammenhänge zu verstehen. Meine Sklaven stammten aus Mauretanien – kann jemand so verrückt sein, ihnen die Freiheit wiederzugeben? Aber warum sonst hätte die ‚Isabella‘ den Konvoi verlassen und so weit nach Süden segeln sollen?
Und die ‚Casco de la Cruz‘? Admiral Mendez gibt endlich zu, daß Don Julio de Vilches mit seiner Kriegsgaleone Befehl hatte, vor Santa Cruz de Tenerife den Geleitzug aus ursprünglich elf Schatzschiffen in Empfang zu nehmen. Das Ziel war allerdings nur Don Julio bekannt .
Die Überlebenden der ‚Casco de la Cruz‘ werden von der Admiralität seit ihrem Eintreffen in Cádiz getrennten Verhören unterzogen. Ihre Aussagen scheinen alle auf das gleiche hinauszulaufen. Demnach wurde Don Julio von Beauftragten des Generalkapitäns um Hilfe ersucht, da der Konvoi angeblich angeschlagen und wegen widriger Winde zu den Kapverden getrieben worden sei .
Noch etwas habe ich erfahren: Don Julio de Vilches war ein baumlanger, dürrer alter Mann mit grauen Haaren, magerem Gesicht und unzähligen Falten. Der Mann, den ich als Don Julio kennenlernte, war zwar ebenfalls ein Riese, aber breitschultrig und kräftig, er hatte schwarzes Haar und eisblaue Augen und ist wohl im besten Mannesalter .
Um Klarheit zu erhalten, hat Admiral Mendez einen berittenen Boten zum Hof König Philipp III. gesandt. Wir werden hoffentlich bald erfahren, in welchen Hafen die Schatzschiffe befohlen wurden.“
Logbucheintragung vom 29. November 1598.
„Bei allen Göttern Hindustans, dieser Killigrew steht mit dem Teufel im Bund.“ Hugh Lefray fegte mit einer hastigen und zugleich wütenden Bewegung die Karte vom Tisch. Es war die gleiche Karte, über die auch der Seewolf verfügte – immerhin war sie vom selben Zeichner angefertigt worden.
„Warum regst du dich auf?“ fragte Francis Ruthland gelassen. „Die sternenlose Nacht ist der beste Schutz für uns.“
Lefray hörte ihm gar nicht zu. Aufgeregt redete er weiter: „Laß den Stückmeister auspeitschen! Der Kerl hat es verdient, er hätte wissen müssen, daß die Kanonen versagen. Wahrscheinlich kriegen wir die Schebecke nie wieder so dicht vor die Rohre. Wir hätten sie versenken und die ganze Bande zu den Fischen schicken können, verstehst du? Dann wäre mir bedeutend wohler“, fügte er leise hinzu.
Francis Ruthland, der Eigner und Kapitän der „Ghost“, begann ausgiebig, die Narbe unter seinem linken Auge zu reiben. Ein überlegener, spöttischer Zug lag um seine Mundwinkel.
„Vergiß Killigrew!“ riet er. „Der Kerl ist viel zu ehrlich, um wirklich erfolgreich zu sein. Wir kriegen ihn, verlaß dich drauf.“
„Das hast du schon in Surat geglaubt. Mit dem Erfolg, daß wir fliehen mußten.“
„Schiß?“ fragte Ruthland lauernd.
Lefray stieß ein schweinisches Grunzen aus. Sein dunkles linkes Auge sprühte vor Mordlust. Das rechte Auge war blind, fast weiß, und verlieh ihm ein unheimliches Aussehen. Schwache Naturen, das wußte er, fürchteten eine Begegnung, wenn er seine Augenklappe nicht trug.
„Killigrew kocht auch nur mit Wasser“, sagte Ruthland. „Seine Culverinen haben genauso versagt wie unsere.“
„Du vergißt die Pulverpfeile!“
„Was ist schon ein angesengtes Segel? Wenn das ein Erfolg sein soll, werde ich Stallbursche bei der alten Lissy.“ Das war ein überzeugendes Argument.
Wenn Lefray sich eins nicht vorstellen konnte, dann war es das, daß sein Kumpan freiwillig eine niedrige Tätigkeit verrichtete. Francis Ruthland war und blieb ein harter, rücksichtsloser und vor allem skrupelloser Geschäftsmann.
Er begann eine ruhelose Wanderung. „Wir laufen dem Seewolf davon“, sagte er. „Meinetwegen soll er nach uns suchen, bis er schwarz wird.“
„Du meinst, wir segeln nach Süden?“
„Natürlich.“
„Killigrew wird uns im Süden suchen.“
„Später vielleicht, aber nicht sofort.“
„Versteh ich nicht.“
Ruthland ließ einen abgrundtiefen Seufzer vernehmen. „Wir hatten Kurs Nordwest anliegen, als die Dunkelheit hereinbrach. Also werden uns die Bastarde morgen und an den folgenden Tagen in der Richtung suchen.“
„Genau das tun sie nicht“, widersprach Lefray wütend. „Killigrew ist ein ganz Schlauer. Jede Wette, daß er nach Süden törnt?“
„Du hast schon verloren.“ Ruthland lachte schrill. „Eben weil Killigrew sich einbildet, besonders schlau zu sein. Was ist er denn schon? Ein Emporkömmling in der Gunst eines alternden Weibes, ein Pirat, der ohne seine Lissy am Galgen enden würde. Sicher denkt er, daß wir annehmen, er suche uns in Küstennähe, und daß wir genau deshalb doch nach Nordwesten segeln. Bloß – wir sind nicht da. Kapiert?“
„Hm – nein“, sagte Hugh Lefray. Nachdenklich leckte er sich über die Lippen. „Wenn Killigrew aber denkt, wir … Ach, Scheiße.“
Eine Viertelstunde später änderte die „Ghost“ ihren Kurs und lief fast genau entgegengesetzt mit halbem Wind über Backbordbug. Francis Ruthland und Hugh Lefray standen auf beiden Seiten des Achterdecks und starrten sich die Augen aus, doch von der Schebecke des Seewolfs war nichts zu sehen. Die Nacht hatte den Dreimaster, der ebenfalls ohne Hecklaterne segelte, verschluckt.
Der Wind blieb handig. Nur hin und wieder ging ein leichter Regenschauer nieder. Im Vergleich zu den Wassermassen des Vortags waren die paar Spritzer nicht der Rede wert.
Im frühen Morgengrauen riß die Wolkendecke auf. Blauer Himmel und Dunst hielten sich dennoch die Waage. Mit der Helligkeit wuchs auch die Sichtweite. Ruthland befahl zwei Männern, ausschließlich nach achtern Ausguck zu halten.
Die „Ghost“ segelte parallel zur Küste und nur ungefähr eine halbe Meile entfernt. Dichter Dschungel bestimmte wieder das Bild, ein Zeichen, daß man sich der Mündung des Tapti näherte.
Dann wurde die See kabbelig. Die schlammigen Fluten des Flusses vermischten sich mit dem aufgewühlten Salzwasser. Der Strudel und unberechenbaren Strömungen wegen, ließ Ruthland anluven. Zu anderen Zeiten, wenn das Meer ruhig war, gab es außer einigen Sandbänken keine Probleme, in den Fluß einzulaufen.
Stunde um Stunde verging.
Nichts änderte sich. Das Land war monoton und riesig in seiner Ausdehnung.
Francis Ruthland lehnte an der Querbalustrade des Achterdecks und starrte unbewegt vor sich hin. Keiner der Decksleute wußte, wen er gerade ansah.
Das Hauptaugenmerk aller war nach wie vor nach achtern gerichtet. Deshalb bemerkten die Männer das Schiff erst, als es nur noch wenig mehr als eine Meile entfernt war.
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