„Ich habe alles versucht, Capitán, aber der Tod ist stärker als mein bescheidenes Wissen.“
„Unsinn.“ Garcia beugte sich über den Seewolf, der seine stattliche Erscheinung in den wenigen Tagen auf der „Aguila“ eingebüßt hatte und nur mehr aus Sehnen, Haut und Knochen zu bestehen schien. Tief lagen die Augen in ihren Höhlen, von blutunterlaufenen Rändern umgeben. Die Bartstoppeln auf der rissigen Haut verliehen dem Gesicht einen abstoßenden Eindruck. Schweiß perlte auf der Stirn.
Killigrew röchelte. Seine Lider flatterten, der Blick der trüben Augen huschte unstet umher, ohne die Kraft, an irgendeinem Punkt des Raumes zu verharren.
„Der Kerl braucht frische Luft“, sagte Garcia scharf. „Öffnen Sie das Fenster!“
„Er darf sich nicht erkälten. Seine Lunge würde das nicht aushalten.“
„Öffnen, sagte ich!“ Der Kapitän sprach lauter als beabsichtigt.
Killigrew zuckte zusammen und begann krampfartig zu husten. Gonzalo Peral zog die zur Galerie hinausführende Tür auf, ohne noch einmal zu widersprechen.
Garcia nahm das am Fußende der Koje liegende Tuch und tupfte dem Seewolf den Schweiß von der Stirn.
„Erkennst du mich?“ fragte er.
Der Engländer sah ihn an, aber sein Blick ging durch ihn hindurch und verlor sich in endloser Ferne. Wieder wurde der ausgemergelte Körper von einem blechernen Hustenanfall geschüttelt.
„Hat er die Schwindsucht?“
Der Feldscher schüttelte den Kopf. „Killigrew ißt fast nichts mehr.“
„Dann geben Sie ihm zu trinken, Sie Quacksalber.“ César Garcia stieß den Feldscher schroff zur Seite. Er wußte, wo er nach dem Rum zu suchen hatte, schenkte zwei Fingerbreiten in einen Becher und reichte diesen an Peral weiter. „Er soll trinken, soviel er will.“
Gonzalo Peral nickte stumm. Vorsichtig setzte er den Becher Killigrew an die Lippen. Zu seinem Erstaunen wurde der Engländer daraufhin ruhiger.
Ein verächtlicher Zug umspielte Garcias Mundwinkel.
„Rum weckt jeden Piraten auf“, sagte er. „Merken Sie sich das für die Zukunft!“
Er hatte das Schott noch nicht erreicht, da ließ ihn ein gequältes Stöhnen herumfahren.
Killigrew setzte sich jäh auf. Er entwickelte Kräfte, die ihm Peral nicht mehr zugetraut hätte.
„Kapitän“, keuchte der Seewolf, „ich verlange Genugtuung. Geben Sie mir einen Degen …“ Mitten im Satz sackte er vornüber.
„Helfen Sie ihm!“ brüllte Garcia den Feldscher an. „Na los, auf was warten Sie?“
Augenblicke später schüttelte Peral bedauernd den Kopf.
„Aus“, sagte er tonlos. „El Lobo ist jetzt bei seinesgleichen in der Hölle.“
„Geben Sie ihm noch einen Rum oder auch zwei. Aber, verdammt, lassen Sie ihn nicht sterben.“
„Killigrew ist tot, Capitán. Er hat es vorgezogen, spanischen Boden nicht zu betreten.“
Vorübergehend sah es so aus, als wolle sich César Garcia auf den Feldscher stürzen und ihn erwürgen, aber dann warf er sich herum und stürmte an Deck. Er hatte eine Mordswut im Leib – auf den Feldscher, auf den Kerl, der den Seewolf niedergeschossen hatte, und nicht zuletzt auf sich selbst.
Der Anblick der Reede von Cádiz vor der „Aguila“ trug nicht dazu bei, seine miserable Stimmung zu bessern. Eher im Gegenteil. El Lobo del Mar hatte sich für immer der spanischen Gerechtigkeit entzogen.
„Der Seewolf wurde heute auf dem Scheiterhaufen verbrannt und seine Asche in alle Winde verstreut. Es war leider kein berauschendes Schauspiel. Mehr Huren, Bettler und Strauchdiebe als anderes Volk hatten sich eingefunden, weil sie in der Menge auf leichte Beute hofften .
Mir steht die Ernennung zum Generalkapitän bevor, das wurde mir gegenüber jedenfalls angedeutet. Wahrscheinlich werden die entsprechenden Schriftstücke und meine neue Order an den Weihnachtstagen übergeben. Man munkelt, daß die generalüberholte ‚Aguila‘ zusammen mit einem kleinen Verband gut armierter Schiffe in die Karibik segeln soll, um dem dortigen Piratenunwesen ein Ende zu bereiten. Ich werde den Schlupfwinkel auf Tortuga ausräuchern und damit weitere Zeichen setzen. So wahr mir Gott helfe.“
Logbucheintragung vom 15. November 1598.
Seit einer Woche wurde an der „Aguila“ gearbeitet. Zimmerleute befreiten das Unterwasserschiff von Muscheln und Algenbewuchs und klopften es auf morsche Planken ab. Wo sie mit ihrer Arbeit fertig waren, begann das Kalfatern. Der Geruch von heißem Teer und Pech lag ständig in der Luft.
César Garcia beaufsichtigte die Arbeiten, als Don Alfonso de la Vega, ein Freund und langjähriger Handelspartner, vor der auf dem Trockenen liegenden Galeone erschien.
„César!“ Freudig breitete Don Alfonso die Arme aus. „Ich bin erst heute von einer längeren Fahrt zurückgekehrt. Die Jagd auf den Seewolf ist ja nun wohl beendet, aber ist das ein Grund, seine Freunde zu vergessen? Ich warte seit Wochen vergeblich auf die versprochene Ware.“
César Garcia kniff die Brauen zusammen und legte die Stirn in Falten. Wenn Don Alfonso Ware sagte, meinte er schwarze Sklaven.
„Sechzig Männer und Frauen habe ich dir geschickt“, sagte Garcia. „Mag sein, daß nur fünfzig eingetroffen sind, aber das ist bestimmt kein Grund für Vorhaltungen.“
Don Alfonso de la Vega zuckte mit den Schultern. „Bei mir wurde keine Ware angelandet.“
„Ungefähr vier Wochen ist es her. ‚Isabella‘ hieß die Galeone, der ich das schwarze Pack übergab, ein schlankes, eigenwillig gebautes Schiff, eigentlich nicht zu übersehen.“
„Nein“, sagte Don Alfonso.
„Dieser verfluchte Hund“, schnaubte Garcia. „Ich habe ihm von Anfang an mißtraut. Ich hätte es wissen müssen.“
Trotz der bitteren Nachricht, die der Verlust von fünfzig kräftigen Sklaven für ihn bedeutete, begann de la Vega zu grinsen.
„Wie ich dich kenne, wirst du die ‚Isabella‘ mit Mann und Maus versenken.“
Der Kapitän vollführte eine unwillige Handbewegung. „Ich werde mich an Don Julio de Vilches schadlos halten“, sagte er grollend.
De la Vegas Grinsen wurde noch eine Spur breiter.
„Köstlich“, sagte er. „Ein Sonderbeauftragter Seiner Majestät entführt unsere Sklaven. Am besten, wir vergessen die Angelegenheit, bevor wir uns die Finger verbrennen.“
„O nein.“ Garcia brauste prompt auf. „Ich denke nicht daran, vor de Vilches zu Kreuze zu kriechen.“
„Soviel ich weiß, ist der Sonderbeauftragte mit der ‚Casco de la Cruz‘ und geheimem Ziel in See gegangen.“
César Garcia hatte sich in Rage geredet. „Das geheime Ziel war ein Konvoi von Schatzschiffen aus der Neuen Welt. De Vilches führt sie nach Irland, aber frag mich nicht, warum, ich begreife es selbst nicht.“ Er hielt kurz inne. „Bist du sicher, daß er nur mit einem Schiff aufgebrochen ist?“
„Ich habe die ‚Casco de la Cruz‘ mit eigenen Augen gesehen. Ein verflucht schwer armierter Brocken, der sogar deiner ‚Aguila‘ einiges voraus hat.“
„Kennst du Don Julio persönlich?“
„Nein. Warum fragst du?“
„Weil da drei Schiffe waren, aber keins, auf das deine Beschreibung paßt.“
Don Alfonso de la Vega konnte nicht anders, er lachte, bis ihm Tränen in den Augen standen. Daß César Garcia jeden Augenblick vor Wut platzen könnte, störte ihn nicht im geringsten.
„Du glaubst doch nicht im Ernst, Schnapphähne hätten sich der Schatzschiffe bemächtigt?“ Don Alfonso lachte schon wieder. „Das – das ist köstlich. Ein ganzer Konvoi – nein, mein Lieber, das ist ausgeschlossen, und das solltest gerade du wissen.“
Garcia beherrschte sich nur noch mühsam. „Die Sache stinkt zum Himmel“, behauptete er und dachte dabei an Don Ricardo de Mauro y Avila, den Generalkapitän des Konvois. Sie waren als Nachbarskinder aufgewachsen. Während ihrer kurzen Begegnung auf See hatte Don Ricardo seine Zweifel an der Richtigkeit des königlichen Befehls geäußert, die Schatzschiffe nach Irland zu segeln. Aber es waren eben schwere Zeiten.
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