„Ein schöner Mist ist das“, murmelte er. „Kriegst du wirklich kein Kügelchen rüber?“
„Al könnte versuchen, den Kanönchen gut zuzureden“, sagte Philip junior forsch.
„Genau das ist es.“ Carberry strahlte, als gäbe es frischen Honigkuchen zum Kosten.
Der Wind wehte Funken davon, als Al Conroy nach der Fackel griff. Er mußte sie tief auf das Zündloch halten. Nach einer Weile zischte und brodelte es, Qualm stieg auf, und dann erklang ein dumpfes, klatschendes Geräusch, ungefähr so, als hätte jemand einen Korken aus einer Weinflasche gezogen. Funken und glimmende Teile der Kartusche sprühten aus der Mündung, das meiste davon wirbelte ins Meer.
Dreißig Yards entfernt stieg eine mickrige Fontäne in die Höhe.
„Immerhin“, sagte der Profos, der in dem Moment wirklich nicht wußte, ob er weinen oder lachen sollte, „wenn wir ganz nahe an die ‚Ghost‘ rangehen, triffst du.“
Das mit dem „ganz nahe rangehen“, wie es sich Edwin Carberry vorstellte, klappte nicht. Die „Ghost“ offenbarte eine außerordentliche Manövrierfähigkeit.
„Die Kerle segeln dem Teufel den Schwanz ab“, mußte der Profos anerkennend eingestehen. Aber er fügte sofort hinzu: „Kein Wunder. Wenn ich die Hosen voll hätte, würde ich auch auf Biegen und Brechen jeden Kurs nehmen.“
Bis zum Einbruch der Nacht waren es bestenfalls noch zwei Stunden. Zweifellos hofften Ruthland und seine Kumpanen, in völliger Finsternis der Schebecke davonlaufen zu können. Falls die Wolkendecke nicht bald aufriß, würde nicht ein Stern zu sehen sein.
Die Jagd führte zunächst dicht unter Land. Die Küste dampfte von den unablässig niedergehenden Regengüssen. Die Nässe wirkte zermürbend.
Die Nacht brach früher herein als erwartet. Zu dem Zeitpunkt lief die „Ghost“ wieder Kurs auf das Arabische Meer.
„Ruthland weiß, daß er in der Dunkelheit nur weit draußen sicher ist“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Er kann mit einer halben Kabellänge Distanz an uns vorbeisegeln, und wir werden ihn nicht bemerken.“
Während der letzten Stunde waren Batuti und Big Old Shane nicht mehr an Deck der Schebecke gesehen worden. Die Männer munkelten allerlei, und sie trafen wohl auch den Kern der Sache, ohne jedoch zu erraten, was der Gambiamann und Old Shane tatsächlich ausheckten. Das stellte sich erst heraus, als beide kurz vor Einbruch der Dämmerung wieder auf der Kuhl erschienen.
Batuti trug seinen Langbogen und einen Köcher voll Pfeile, Shane schleppte ein seltsames Gebilde, eine Kupferschüssel mit Dach.
Zum zweitenmal an diesem Tag war die Kombüse geplündert worden. Aus Protest ließ sich Mac Pellew überhaupt nicht mehr blicken, und der Kutscher sagte aufgebracht: „Kein Feuer im Herd, keine Schüssel mehr – ich schlage vor, jeder sucht sich einen Angelhaken. Im Meer gibt es genug Fische. Die sollen roh eine Delikatesse sein.“
Die Glut, von der der Koch redete, flackerte in der Schüssel, die er ebenfalls erwähnt hatte, und der Regen konnte ihr absolut nichts anhaben. Big Old Shane hatte zugesehen, wie die Holzkohlen innerhalb kürzester Zeit gelöscht worden waren, und hatte folglich auf Abhilfe gesonnen.
Batuti zog den ersten Pfeil aus dem Köcher, unverkennbar einen der gelegentlich Verwendung findenden Pulverpfeile, nur war die am Schaft befestigte Hülse jetzt dich mit ölgetränkten Leinenstreifen umwickelt. Auch die Lunte wurde auf diese Weise geschützt, was dem Pfeil jedoch ein plumpes Aussehen und mit Sicherheit miserable Flugeigenschaften verlieh.
Die meisten Männer auf der Kuhl blickten skeptisch drein.
„Das Ding fliegt bestimmt nicht viel weiter als Als Kügelchen“, sagte der Profos.
„Ein bißchen weiter schon.“ Batuti entblößte sein makellos weißes Gebiß, als er ein zuversichtliches Lächeln zeigte.
Die „Ghost“ wechselte eben wieder den Kurs und ging hoch an den Wind. Bis auf der Schebecke die Segel ebenfalls herumgeholt wurden, fiel sie auf gut zweihundert Yards zurück.
„Seid nicht so lahm!“ brüllte der Profos. „Batuti will uns seine Schießkünste vorführen. Wie kann er das bei einer solchen Entfernung?“
„Danke“, sagte der Gambiamann.
„Oh, bitte sehr, Euer Gnaden.“ Carberry deutete einen Kratzfuß an. Er war dann aber so schlau, sich nicht weiter zu äußern.
Das nächste Manöver der „Ghost“ war vorauszusehen. Ruthland brauchte eigentlich nur Abstand zu halten und den Einbruch der Nacht abzuwarten, um sich in ihrem Schutz erneut abzusetzen.
Der Himmel über dem offenen Meer färbte sich blutig rot. Die Sonne, deren Stand bislang nur zu ahnen war, versank hinter der Kimm.
Die Dunkelheit brach in diesen Breiten schnell herein.
„Jetzt oder nie“, sagte Batuti. „Ich brenne darauf, den Halunken alles heimzuzahlen.“
Er sprach aus, was jeder Arwenack fühlte. Niemand wurde gerne von Landsleuten hintergangen.
Big Old Shane schätzte die Entfernung zur „Ghost“. Obwohl die Schebecke gut am Wind hing, holte sie nur langsam auf. Seit die Kanonen kläglich versagt hatten, wuchsen die Kerle auf der Karavelle offensichtlich über sich selbst hinaus. Einige ihrer Manöver belasteten das Schiff bis zum äußersten.
„Zu weit“, sagte Shane. „Das schaffst du nicht.“ Trotzdem half er dem Gambiamann, die Lunte anzustecken. Der Wind erschwerte das Vorhaben, denn das ölgetränkte Tuch durfte keinesfalls Feuer fangen.
Batuti begann leise zu zählen. Bei zehn angelangt, spannte er die Sehne des Langbogens bis zum äußersten. Die Adern an seinen Schläfen schwollen an. Mit hellem Singen schwirrte der Pfeil von der Sehne.
Deutlich war zu sehen, daß der Wind ihn abtrieb. Ungefähr nach der halben Distanz zuckten Flammen auf. Im nächsten Augenblick verpuffte das Pulver in einem Funkenwirbel.
Auf der „Ghost“ herrschte Aufregung. Niemand wußte so recht, was geschehen war, aber jeder fürchtete einen Angriff des Seewolfs.
Batuti legte einen zweiten Pfeil auf die Sehne. Diesmal wartete er nicht so lange.
Der Wind trieb den Pfeil weiter ab. Etwa zwanzig Yards hinter dem Heck der Karavelle und ebensoweit an Steuerbord explodierte die Pulverladung in einem grellen Blitz.
Batuti grinste breit.
„Was sagst du jetzt, Ed?“ fragte er den Profos. „Wer Pfeil und Bogen erfunden hat, war bestimmt nicht dumm.“
„Noch hast du den verlausten Kahn nicht versenkt“, erwiderte Carberry grollend. „Streng dich gefälligst an. Oder soll ich den Bogen spannen?“
„Untersteh dich“, sagte Batuti. „Unter deinen Pranken bricht selbst die beste englische Eibe.“
Die Verwirrung auf der Karavelle war offensichtlich. Zum erstenmal killten bei einem Kurswechsel die Segel. Die Kerle hatten zwar die Pulverblitze gesehen, kannten aber die Ursache nicht. Sie reagierten entsprechend nervös.
„Ar-we-nack!“ Der Schlachtruf der Seewölfe, aus mindestens einem Dutzend Kehlen stammend, begleitete den nächsten Pfeil auf dem Flug zur „Ghost“. Die Detonation erfolgte querab und fast schon vor der Verschanzung.
Höchstens noch achtzig Yards trennten die beide Schiffe voneinander. Aber die Dunkelheit war schneller als die hervorragend gesegelte Schebecke. Wie ein gieriger, unersättlicher Moloch kroch sie über das Meer, fraß sich an den Rümpfen der Schiffe hoch, verschlang Back und Achterdeck und zog sich an den Masten entlang in die Höhe.
Nur die Segel schimmerten noch eine Weile fahl durch die Nacht – Schemen von seltsamer Konsistenz, die sich lediglich zögernd aufzulösen schienen.
Inmitten dieses Bildes, dem etwas Endgültiges anhaftete, zuckte plötzlich grelle Glut auf. Ein Feuerball setzte sich an einem der Segel fest. Flammen loderten auf, doch genauso schnell vergingen sie wieder, weil die herrschende Nässe ihnen keine Nahrung bot. Einzelne Funken, vermutlich Überreste des verglimmenden Pfeiles, torkelten dem Deck entgegen.
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