„Wie soll ich das wissen?“ knurrte Klaus. Von ihm aus konnte Sommerhoff der Mann im Mond sein, und er beabsichtigte, das Christine wissen zu lassen, da sagte sie: „Er ist Bildhauer.“
Diese Mitteilung verfehlte ihren Eindruck nicht. Als Mann des praktischen Lebens besaß Klaus in bezug auf Künstler eine Menge Vorurteile. Er war geneigt, sie in Bausch und Bogen für wurzellose Existenzen zu halten, die dem lieben Herrgott die Tage und redlichen pflichtbewußten Männern die Frauen stahlen. Die Erfahrungen eines Freundes, dem von einem Kunstmaler die Braut ausgespannt worden war, hatten Klaus in seiner Abneigung gegen alles, was da malte, schrieb und musizierte, sehr bestärkt. Und das farbenfrohe Bild, das Christine nun von Sommerhoffs Hauswesen entwarf, war nicht dazu angetan, sein Mißtrauen zu verringern.
„Eine schöne Wirtschaft!“ sagte er feindselig.
„Es ist halb so schlimm“, beruhigte Christine. „In einer Woche bringe ich die Sache in Schwung. Er hat bisher nie eine vernünftige Hilfe gehabt.“
„Warum nicht?“ forschte Klaus verbissen. „Frauen fliegen doch bekanntlich auf Künstler.“
„Besonders Putzfrauen!“ Christine mußte lachen im Gedanken an die „Putzweiber“, wie sie auf Sommerhoff flogen. Doch dann entsann sie sich des Gesprächs vom Morgen und sagte: „Sei nicht lächerlich, Klaus! Sommerhoff könnte mein Vater sein.“
„Wie alt ist er denn?“ fragte Klaus mit Überwindung.
„Mindestens fünfzig“, sagte Christine. Sie sah den Bildhauer vor sich, seine kräftige untersetzte Gestalt, den Kopf mit dem graublonden zerzausten Haar, die zahllosen Fältchen um die hellen Augen und den sarkastischen Zug um den Mund. „Mindestens fünfzig!“ wiederholte sie nachdrücklich.
„Das sind die Schlimmsten“, sagte Klaus wider alle Vernunft.
Im nächsten Augenblick wünschte er, er hätte es nicht gesagt, denn Christine vertauschte ostentativ den Platz an seiner Seite mit dem Rohrsessel. Es war schon dämmerig im Zimmer, eigentlich hätte sie auf stehen und das Licht andrehen müssen, schon um Frau Dirrmoser, die natürlich draußen herumspionierte, keinen Grund zu falschen Vorstellungen zu geben. Aber sie blieb sitzen, den Blick eigensinnig auf den verblassenden Abendhimmel im Ausschnitt des Fensters geheftet. Warum verdarb Klaus ihr die Freude an ihrer neuen Arbeit? Weil Sommerhoff Künstler war? Nein, weil er ein Mann war! ,Am liebsten sperrte er mich in ein Kloster ein‘, dachte Christine ärgerlich.
Seine Stimme kam durch die Dunkelheit zu ihr: „Christel?“
„Ja?“
„Bist du böse?“
„Nein — aber —“
„Schau“, sagte er eindringlich, „du bekommst eine Menge Arbeit und verdienst weniger als bisher.“
Aha, nun versuchte er, es auf dieses Geleise zu schieben!
„Ja“, sagte sie, „ich verdiene wohl etwas weniger, aber dafür muß ich nicht den ganzen Sommer im Laden stehen, und außerdem habe ich das Essen frei.“
„Das du selbst gekocht hast“, schaltete Klaus mit einem unverkennbaren Unterton von Hohn ein.
Christine beschloß, ihn zu überhören. „Selbstverständlich!“ sagte sie fest. „Übrigens hast du den Nutzen davon, denn ich werde mich zu einer Musterhausfrau entwickeln.“
Klaus gab es auf. Frauen hatten eine Art von Logik, gegen die ein Mann einfach nicht aufkam. „In Gottes Namen also!“ seufzte er und fügte kriegerisch hinzu: „Aber das sage ich dir: sobald ich einen Produzenten für den ,Rapido‘ habe —“
„Wird geheiratet“, vollendete Christine. Sie stand auf und lehnte ihre weiche kühle Wange einen Augenblick an die seine. Dann drehte sie das Licht auf. Es entquoll einer von einem Behang aus weißen und grünen Perlen umgebenen Birne hoch oben an der Decke, und der jähe Übergang von sanfter Dunkelheit zu grellem Licht machte sie beide blinzeln. Klaus hatte sich erboten, einen Lampion zu stiften, um mit seiner Hilfe die Beleuchtung weniger unbarmherzig zu gestalten, aber Christine fürchtete, es werde nach Budenzauber aussehen und die brave Frau Dirrmoser zu moralischen Bedenken veranlassen.
„Für fünfundzwanzig Mark im Monat kann man nun einmal keinen Luxus verlangen“, stellte sie vernünftig fest, während sie hin und her ging und etwas zum Abendessen zusammensuchte. Aber plötzlich blieb sie wie angewurzelt mitten im Zimmer stehen.
„Klaus!“ sagte sie und sah ihren Verlobten vorwurfsvoll an. „Wie oft habe ich dir gesagt, daß du die Zigarettenstummel nicht dem Bären ins Maul werfen sollst!“
Wenn Christine später an die ersten Tage ihrer Tätigkeit bei Sommerhoff zurückdachte, kam sie sich vor wie Don Quixote im Kampf gegen die Windmühlenflügel. Sie war so tapfer und von unbändigem Eifer erfüllt ans Werk gegangen, aber sie hatte nicht gewußt, daß Unordnung etwas ist, das schichtweise auftritt. Wenn sie an einer Stelle dem Chaos mit Aussicht auf Erfolg zu Leibe gerückt war, wurde unter dem einen Chaos ein neues sichtbar. Ein weniger willensstarkes Mädchen hätte vielleicht die Waffen gestreckt, aber Christine, bis an die Zähne mit Besen, heißem Wasser und schwarzer Seife bewaffnet, war entschlossen, durch sämtliche Schichten zu den Regionen blitzender Sauberkeit und segensreicher Ordnung vorzudringen.
Ihre Aufgabe wurde durch den Wunsch ihres Arbeitgebers nach Ruhe und Ungestörtsein erschwert. Am ersten Morgen hatte er ihr einen Fünfzigmarkschein zwischen die Berge von Geschirr auf den Küchentisch gelegt und die Hoffnung geäußert, sie werde ihn nun nicht mehr behelligen, bis das Geld ausgegeben sei.
„Legen Sie mir dann die Abrechnung vor“, hatte er gesagt und war im Atelier verschwunden.
Christine sah einen Beweis ehrenden Vertrauens in der Tatsache, daß ihr eine so große Summe anvertraut wurde. Andrerseits konnte sie nicht umhin zu befürchten, daß dieses Vertrauen Sommerhoff manchmal zum Schaden gereicht habe. Ihr Vater pflegte zu sagen, man dürfe die Menschen nicht allzu großen Prüfungen auf ihre Ehrlichkeit aussetzen. Aber schließlich war es nicht ihre Sache, Sommerhoff darauf aufmerksam zu machen. Sie würde sparsam wirtschaften und ihr Bestes tun. Während sie an Töpfen und Tiegeln herumscheuerte, dachte sie an Klaus und seine Bestrebungen, der Hausfrau das Leben zu erleichtern. Zum erstenmal begriff sie wirklich, daß sein Apparat zum Geschirrabwaschen etwas Großartiges war, ebenso wie der „Rapido“. Sie brauchte nur die Schuhe ihres Brotherrn nach einem Regenspaziergang anzusehen, um sich nach den elektrisch betriebenen Bürsten zu sehnen. Sommerhoff liebte es, Wald und Flur bei jedem Wetter zu durchstreifen, und seine Schuhe legten beredtes Zeugnis von der Beschaffenheit des heimischen Bodens ab. Christine begann, den Himmel von anderen Gesichtspunkten aus zu betrachten als bisher; sie freute sich, wenn die Sonne schien, nicht nur weil Sonnenschein an sich des Menschen Herz erfreut, sondern weil sie dann hoffen durfte, Sommerhoffs Schuhe nur von einer leichten Staubschicht bedeckt vorzufinden.
Wirkliches Kopfzerbrechen verursachte ihr aber weder die Sommerhoffsche Fußbekleidung noch das allgemeine Tohuwabohu. Wirkliches Kopfzerbrechen verursachte ihr lediglich der Speisezettel. In der Nacht vor ihrem Dienstantritt hatte sie nicht einschlafen können, weil sie sich vorgestellt hatte, es frage sie jemand auf Ehre und Gewissen, was sie eigentlich kochen könne. Einem im Examen durchgefallenen Schüler hätte nicht erbärmlicher zumute sein können als Christine, wie sie gleichsam an den Fingern abzählte: Sahnenschnitzel, Bratkartoffel, Spiegeleier. — Wie eine Erleuchtung kam der Gedanke an Apfelstrudel über sie. Apfelstrudel war ihre Spezialität, es fragte sich nur, ob ein Mann besonders darauf erpicht war. Ihr Vater und Klaus zum Beispiel liebten das Handfeste in Gestalt von Kalbshaxen und Geräuchertem mit Kraut. Ein Glück, daß es auf den Sommer zuging! Im Sommer gab es Salat, ja, der Sommer warb geradezu für das Kühle, Erfrischende, Vitaminreiche in Gestalt von Salat! Mit der Vision einer Salatschüssel vor Augen, die sie mit hartgekochten Eiern verzieren würde, schlief Christine endlich ein.
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