„Bitte, machen Sie es so, wie Sie es bisher gemacht haben“, sagte sie und errötete noch mehr.
„Wie bisher?“ Er rang sichtlich mit sich. Dann sagte er: „Die Putzweiber bekamen Stundenlohn und das Essen natürlich.“
„Na also!“ sagte Christine fröhlich. „Ich werde mir alle Mühe geben, ein ordentliches Putzweib zu werden.“
Ein Schmunzeln erschien auf seinem Gesicht. „Sie dürfen das nicht so auffassen, als verachte ich die Zunft der Putzweiber“, sagte er. „Wahrscheinlich tun sie ihr Bestes. Nur ist ihr Bestes leider nicht das meine.“
Christine mußte lachen. Er besaß einen grimmigen Humor, und wenn er lächelte, sah er gleich um zehn Jahre jünger aus.
„Ist es Ihnen recht, wenn ich gleich morgen anfange?“ fragte sie.
„Je eher, desto besser!“ Er streckte ihr die Hand entgegen, und Christine legte die ihre einen Augenblick hinein. Dann begleitete er sie hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen, die Hunde wälzten sich jaulend im feuchten Gras. Christine rollte ihr Ölcape zusammen, stopfte es in die Kapuze und verstaute beides auf dem Gepäckträger ihres Rades.
„Sehr praktisch!“ lobte Sommerhoff, der in der Tür stehend ihrem Aufbruch beiwohnte. „Gedenken Sie immer mit dem Rad herauszufahren?“
„Bei schlechtem Wetter fahre ich mit dem Vorortverkehr“, sagte Christine und schob ihr Rad zur Gartenpforte. „Bis morgen also, Herr Sommerhoff!“
„Bis morgen, Fräulein — darf ich Fräulein Christine sagen?“
„Sagen Sie ruhig Christel!“ Christine schwang sich auf ihr Rad, als ein dröhnendes „Hallo“ sie veranlaßte, noch einmal abzusteigen. Sommerhoff stand mit windzerzaustem Haar am Zaun und rief: „Das Fahrgeld vergüte ich Ihnen selbstverständlich!“
„Danke schön!“ rief Christine zurück.
Ihr neuer Arbeitgeber war ein Sonderling, soviel stand fest. Es würde nicht ganz einfach sein, es ihm recht zu machen, aber im Grunde — das spürte sie — war er viel gutmütiger , als er sich gab. Hätte er ihr das mit dem Fahrgeld zum Beispiel nicht ebenso gut morgen sagen können?
Während sie die nun schon bekannte Hauptstraße gewann, fand Christine, es spreche für ihn, daß er es schon heute getan hatte.
Zu Hause, unter dem Bild des flüchtenden Korsen, saß Klaus und wartete auf Christine. Er saß schon eine geraume Weile dort. Mit dem Glockenschlag fünf hatte er die Firma Kienagl & Eisenmann verlassen, ja, er hatte sogar eine Unterredung mit einem Herrn Kerngruber, den „Rapido“ betreffend, verschoben, nur weil es ihn drängte zu erfahren, was aus Christines verrücktem Einfall geworden war. Noch mehr drängte es ihn, ihr zu sagen, daß er nach wie vor dagegen sei. Hundertprozentig dagegen! Klaus liebte es, sich in Prozenten auszudrücken, wenn er einer Meinung oder einem Gefühl Nachdruck verleihen wollte. Seitdem Christine am Mittag seinen Blicken entschwunden war, hatte er über ihr Vorhaben nachgedacht. Und je mehr er nachgedacht hatte, um so weniger gefiel es ihm. Warum in aller Welt blieb sie nicht bei ihren Büchern? Konnte es einen besseren und nützlicheren Umgang geben als Bücher?Klaus’ literarischeBedürfnisse beschränkten sich zwar auf Abenteuer- und Kriminalromane. Ein Mann, der aktiv an der Verbesserung der Welt beteiligt ist, und sei es auch nur im kleinen, kann seinen Kopf nicht mit allen möglichen abseitigen Problemen vollstopfen. Aber Christines Belesenheit imponierte ihm, abgesehen davon, daß es hübsch gewesen war, sie abends in ihrer Buchhandlung abzuholen. Während sie mit dem eindringlichen Eifer, dessen sie fähig war, einem Käufer die Vorzüge eines Buches pries, hatte Klaus ihr über eine Zeitschrift hinweg zugeblinzelt, ganz erfüllt von dem beglückenden Wissen, daß dieses schöne Geschöpf eines Tages ihm gehören werde.
Sein Stolz auf Christine kannte keine Grenzen. Er hatte Mädchen vor ihr gekannt, keines von ihnen hatte es ihm schwer gemacht, es zu besiegen. Christine besiegen zu wollen, wäre dem Versuch gleichgekommen, eine Knospe vorzeitig zum Blühen zu bringen. Aber diese Unerschlossenheit erhöhte nur ihren Reiz. Schamhaft und scheu, wenn es um Dinge des Herzens ging, ließ sie sich selten zu unmittelbaren Gefühlsäußerungen hinreißen. Ihre Zärtlichkeit war lind und kühl wie Sonnenschein an einem Vorfrühlingstag. Und trotzdem gab es Augenblicke, in denen Klaus spürte, was sie sein würde, wenn sie erst einmal ganz zu sich selbst erwachte. Um dieser Verheißung willen war er bereit zu warten, denn er wollte sein Glück nur ihrer Freiwilligkeit verdanken. Inzwischen hütete er sie wie ein Kleinod. Er ertrug es nicht, die Blicke anderer Männer mit Wohlgefallen auf ihr ruhen zu sehen, niemals aber würde er zugegeben haben, daß seine Wachsamkeit etwas mit Eifersucht zu tun haben könne. Es sei die verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines Mannes, seine Braut vor Zudringlichkeiten zu schützen, behauptete er, und Christine verzichtete gutmütig darauf, ihn wissen zu lassen, daß sie selbst dazu sehr wohl imstande sei.
Klaus warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Schon halb sieben! Wo blieb Christine? Zornig drückte er seine Zigarette aus und warf den Rest dem mottenzerfressenen Bären in den Rächen. Es verbesserte seine Laune nicht, daß Frau Dirrmoser alle fünf Minuten den Kopf zur Tür hereinsteckte und heuchlerische Besorgnis über Christines Verbleib äußerte. Beiläufig gab sie ihm zu verstehen, daß es ihrer unmaßgeblichen Meinung zufolge nicht gut tue, wenn ein junges Mädchen einem alleinstehenden Herrn die Wirtschaft führe. Da dies auch Klaus’ Meinung war, geriet er allmählich in Raserei. Mit unverkennbarem Widerwillen folgte er Frau Dirrmosers Bericht über die Tochter der Familie Zacherl im ersten Stock, die von „so einem“ ein Kind davongetragen habe. Im Begriff, die Gattin des Taxibesitzers zu allen Teufeln zu wünschen, hörte er, wie draußen die Korridortür geöffnet wurde. Frau Dirrmoser unterbrach sich in einer blumigen Schilderung der Einzelheiten und enteilte. Eine Sekunde später vernahm Klaus Christines helle Stimme, und dann stand sie, frisch und fröhlich Wie nur je, im Zimmer. Sein Vorhaben, ihr mit Zurückhaltung zu begegnen, scheiterte an der Freude, sie wohlbehalten vor sich zu sehen.
„Gottseidank, daß du endlich da bist!“ sagte er und gab ihr einen Kuß.
„Ich fuhr mit dem Rad hinaus“, berichtete Christine. Sie legte Hut und Jacke ab und ordnete vor dem Spiegel ihr Haar. „Auf dem Heimweg hatte ich Gegenwind und kam kaum vom Fleck.“
Gegenwind! Klaus atmete auf. Daß man nie an das Nächstliegende dachte!
„Aber es war wunderbar draußen! “Ihre Augen glänzten, und ihre Wangen waren rosig überhaucht. „Ich bekam beinah Heimweh, als ich den Duft der Tannen roch. “
„Na — und?“ fragte Klaus ungeduldig. Schließlich war Christine nicht des Tannenduftes wegen hinausgefahren.
„Einen Augenblick!“ bat sie. Sie goß Wasser in die Waschschüssel und wusch sich die Hände. Unnötig lange, fand Klaus. Aber dann kauerte sie sich endlich neben ihn auf den Diwan, eine blanke, seifenduftende Christine, und sagte: „Morgen früh trete ich meinen neuen Posten an.“
Also doch! Hatte Klaus wirklich gehofft, Christine werde etwas unterlassen, das zu tun sie sich vorgenommen hatte? Neben vielen schätzenswerten Eigenschaften besaß sie einen stark ausgeprägten und zielbewußten Willen. In zornigen Augenblicken neigte Klaus dazu, ihn Eigensinn zu nennen.
„Ich habe mir die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen“, nahm er gleichwohl den Kampf auf. „Glaubst du, deine Eltern haben dich den Buchhandel erlernen lassen, damit du hingehst und einem Kaninchenzüchter die Wirtschaft führst?“
Christine lachte. Ihre Eltern waren ein Argument, das er gern ins Treffen führte, wenn die eigenen versagten. „Er ist kein Kaninchenzüchter“, sagte sie, ohne darauf einzugehen, „weißt du, was er ist?“
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