Clay erhob sich vom Tische und erschien im hellen Viereck der Thür, wo er sich behaglich streckte, denn seine Gelenke waren von dem vielen Durchwaten von Flüssen und dem Klettern über Felsen schmerzhaft und steif. Das rote Erz und der gelbe Schmutz der Bergwerke klebte an seinen Stiefeln und Reithosen, denn er hatte knietief im Wasser gestanden, und sein Hemd schmiegte sich ihm an den Leib wie ein Badeanzug, so dass man, wenn er atmete, seine Rippen und die Umrisse seiner breiten, gewölbten Brust sehen konnte. Ein Ring glühenden Papiers und heisser Asche fiel von seiner Zigarette auf seine Brust und brannte ein Loch in sein Wollhemd, aber er liess es ruhig dort liegen und beobachtete es mit einem gleichgültigen Lächeln.
„Ich wollte sehen,“ erklärte er, als er den neugierigen Blick in Mc Williams’ Augen wahrnahm, „ob es noch etwas Heisseres gäbe, als mein Blut. Es schiesst durch meine Adern wie kochendes Wasser in einem Topfe.“
„Hört ihr,“ sagte Langham, indem er die Hand erhob, „eben wird im Kloster zum Gebet geläutet, und nun ist es zu spät, noch nach der Stadt zu gehen. Ich bin eigentlich ganz froh darüber, denn ich bin zu müde, als dass ich mich noch lange wach erhallen könnte, und ausserdem verstehen die Leute dort nicht, sich in zivilisierter Art zu unterhalten — wenigstens nicht in einer Art, die mir zusagte. Ich wollte, ich wäre in diesem Augenblick zu Hause; was meinen Sie, Mc Williams? Dies ist etwa die Stunde, wo im Lande Gottes alle Leute im Theater sind, oder sie haben gerade ihr Diner beendet und schlürfen kühle grüne Pfefferminzlimonade, worin kleine Stückchen Eis schwimmen. Am liebsten wäre es mir“ — er hielt inne und sah mit zur Seite geneigtem Kopfe Mc Williams an, der wenig Einbildungskraft hatte — „was ich am liebsten thäte,“ fuhr er nachdenklich fort, „das wäre, in einer komischen Oper auf der ersten Reihe dicht am Mittelgange zu sitzen. Die Primadonna müsste sehr schön sein und meistens mich ansingen; ausserdem müssten drei gute Komiker mitspielen, und der Chor dürfte nur aus Mädchen bestehen. Ich habe überhaupt nie recht begreifen können, weshalb Männer im Chor sind. Kein Mensch sieht sie an. Da möchte ich sein. Und Sie, Mc Williams?“
Mc Williams war der Vertreter einer Menschengattung, mit der Clay sehr vertraut war, aber für den auf der Universität ausgebildeten Langham war er eine Offenbarung und ein Genuss. Er stammte aus einer kleinen Stadt im Westen und hatte das, was er von der Ingenieurkunst verstand, auf dem Wege der praktischen Erfahrung gelernt, nachdem er seine Lehrzeit mit dem Abhauen von Büschen und dem Eintreiben von Pfählen begonnen hatte. Den grössten Teil seines Lebens hatte er in Mexiko und Zentralamerika verbracht, und er sprach von seinem Heim, das er seit zehn Jahren nicht gesehen hatte, mit der übertriebenen Anhänglichkeit eines eingefleischten Wanderers. Weil sie aus den Vereinigten Staaten kamen und ihm nach der Heimat schmeckten, zog er, wie allgemein bekannt war, Mais und Tomaten in Blechbüchsen den herrlichen Erzeugnissen des Landes vor. In seinem jungen Leben drängten sich Erfahrungen zusammen, die die Nerven jedes anderen Mannes von zarterer Empfindsamkeit und weniger Sinn für das Lächerliche zu Grunde gerichtet haben würden, aber gerade diese Erfahrungen hatten ihn nur zu einem pfiffigen und auf sich selbst vertrauenden Manne gemacht, der bei allen Gelegenheiten oder Schwierigkeiten vollkommen gelassen blieb.
Nachdenklich sog er an seiner Pfeife und überlegte Langhams Frage aufs sorgfältigste, während Clay und der jüngere Gefährte mit auf die Kniee gestützten Armen seine Entscheidung in gedankenvollem Schweigen erwarteten.
„Ich ginge auch gern in ein Theater,“ sagte Mc Williams endlich mit einer Miene, als ob er zeigen wolle, dass auch er Sinn für die Kunst habe. „Ich möchte den Komiker mal wieder sehen, den ich im Jahre achtzig — ach, wie lange ist das her! — ehe ich an der Atchison-Santa Fé-Eisenbahn arbeitete — gesehen habe. Das war ein gelungener Kerl, und er hiess Owens — John E. Owens.“
„Du lieber Himmel, Mc Williams!“ rief Langham ungeduldig. „Der Mann ist ja schon seit fünf Jahren tot!“
„So?“ entgegnete Mc Williams nachdenklich. „Na,“ schloss er, ohne sich irre machen zu lassen, „das kann ich nicht ändern, aber den möchte ich am liebsten sehen.“
„Sie dürfen noch einen zweiten Wunsch aussprechen, Mac,“ drängte Langham, „nicht wahr, Clay?“
Clay nickte ernst, und Mc Williams runzelte wieder nachdenklich die Stirn.
„Nein,“ sagte er, nachdem er sich eine Weile Mühe gegeben hatte, etwas anderes zu finden, „nein, Owens, John E. Owens, das ist mein Mann; den möchte ich gern sehen.“
„So, nun will ich meinen zweiten Wunsch zum besten geben,“ sagte Langham. „Ich stelle den Antrag, dass jeder von uns zwei Wünsche aussprechen darf. Ich wünsche ...“
„Warten Sie doch; ich habe ja meinen ersten Wunsch noch zu gute,“ unterbrach ihn Clay. „Sie sind schon einmal an der Reihe gewesen. Ich möchte gerne an einem Orte in Wien sein, den ich kenne. Es ist nicht so heiss, als hier, sondern kühl und frisch, ein Konzertgarten mit Hunderten von farbigen Lichtern und Bäumen, und es herrscht immer ein angenehmer Luftzug. Eduard Strauss, der Sohn, missen Sie, leitet das Orchester, das nichts als Walzer spielt. Er steht vor den Musikern und beginnt, indem er die Schultern in die Höhe zieht, sich auf die Fussspitzen erhebt und dann langsam wieder sinken lässt, während er seinen Taktstock ausstreckt, als ob er die Musik damit herausziehen wolle. Der ganze Ort scheint sich zu wiegen und zu bewegen, und es ist, als ob man aufgehoben und auf dem Deck einer grossen Jacht über die Wogen getragen würde, und ringsum sitzen die schönen Wienerinnen und die österreichischen Offiziere in ihren blauen Röcken, hohen Mützen und den blanken Säbeln an der Seite. Und es gibt kühle Getränke,“ fuhr Clay fort, während er das aufsteigende Gewitter beobachtete, „alle möglichen Sorten von kühlen Getränken in hohen, schlanken Gläsern voll Eis — so viel Eis, als Sie nur haben wollen ...“
„Hören Sie auf! Hören Sie auf!“ rief Langham mit einem Zucken seiner schweisstriefenden Schultern, „ich kann’s nicht mehr aushalten, ich verschmachte!“
„Still,“ unterbrach ihn Mc Williams, indem er sich vorwärts neigte und scharf in die Nacht hinausspähte. „Es kommt jemand.“
Unten auf der Strasse konnte man Hufschlag und das Rasseln der Landkrebse hören, die sich in den Büschen verkrochen, und plötzlich kamen zwei Reiter aus der Dunkelheit zum Vorschein und zügelten ihre Pferde in dem aus der offenen Thüre strömenden Lichtschein. Der erste war der General Mendoza, der Führer der Opposition im Senate, der zweite seine Ordonnanz. Der General schwenkte seinen Panamahut bis zum Knie und machte drei Verbeugungen im Sattel.
„Guten Abend, Euer Excellenz,“ sagte Clay, indem er sich erhob. „Wollen Sie so gut sein,“ fuhr er, zu Langham gewandt, fort, „dem Diener zu sagen, er solle mir meinen Rock bringen?“
Langham klatschte in die Hände, worauf das Spiel einer Guitarre aufhörte, Diener und Koch hinter der Hütte hervorkamen und dem General das Pferd hielten, während dieser abstieg.
„Warten Sie, bis ich Ihnen einen Stuhl gebracht habe,“ sagte Clay. „Diese Stufen würden nicht sehr zuträglich für Ihren weissen Anzug sein.“
„Ich habe Glück, dass ich Sie zu Hause treffe,“ entgegnete der Offizier lächelnd, wobei seine weissen Zähne sichtbar wurden. „Der Fernsprecher funktioniert nicht. Ich habe es im Klub versucht, konnte Sie aber nicht anrufen.“
„Das liegt am Gewitter,“ antwortete Clay, während er seinen Rock anzog. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“
Damit ging er ins Haus, um gleich darauf mit einer Anzahl Flaschen auf einer Platte und einem Päckchen Zigarren wieder zu erscheinen. Der Süd-Amerikaner goss sich ein Glas Wasser ein und mischte es mit sehr wenig Jamaikarum.
Читать дальше