„Was hat es eigentlich mit den großen kanarischen Hunden auf sich, nach denen der Archipel wohl benannt ist, wenn ich mich recht erinnere – Islas Canarias, und canis ist doch das lateinische Wort für Hund?“
„Über die Hunde hat schon Plinius berichtet: Juba, dem König von Mauretanien, war bei einer Expedition nach Fuertaventura aufgefallen, daß dort viele große Hunde umherstreunten und nur wenige Menschen zu sehen waren. Heute aber gibt es keine wilden Hunde mehr auf den Inseln, man züchtet sie nur noch als Wachhunde, die Bardinos genannt werden.“
„Herzlichen Dank für die Geographiestunde; jetzt bin ich über die Inseln bestens unterrichtet und kann mir in Ruhe Gran Canaria ansehen“, meinte Niña.
Wir meldeten uns im Segelclub an, ließen uns bei der Polizei eine Aufenthaltsgenehmigung geben und bestiegen einen Guagua , einen jener archaischen Autobusse, die ebenso billig wie alt sind.
Las Palmas, die größte Stadt der Kanarischen Inseln, liegt sieben Kilometer südlich vom Hafen, mit dem sie zusammengewachsen ist. Aber schon hundert Meter hinter den grünen Gärten der Vorortshäuser türmen sich Sanddünen auf. Sie dringen fast in die Hinterhöfe ein. Hier wie in Maspalomas, der „Sahara von Gran Canaria“, meldet sich das nahe Afrika.
Von Schlangenfett, blauen Flecken und Schildläusen
Die Kathedrale von Las Palmas wird von großen, metallenen Hunden bewacht, deren Ahnherren den Inseln den Namen gaben. Nicht weit von dem ehrwürdigen, stillen Gebäude wird es laut und bunt: dort liegt der Markt, auf dem man von weißen Mäusen über alte, verschimmelte Bücher bis zu modernen Kameras fast alles kaufen kann.
Im Schatten einer Mauer hockte ein Bauer inmitten wahrer Berge von selbstgepflücktem Salbei, Süßholz- und Enzianwurzeln. Neben ihm hielt ein intelligent aussehender älterer Händler ominöse Präparate feil.
„Dr. Vander, Biologe“, stellte er sich vor. „Was wünschen Sie, mein Herr? Haben Sie Rheumatismus? Hier ist das beste Schlangenfett zur Kur. Und diese kleinen Flaschen enthalten ein wirksames Wurmmittel, aus einheimischen Pflanzen hergestellt. Bitte schauen Sie sich einmal dieses Thermometer an, das habe ich selbst fabriziert.“
Das Thermometer war ein kleines Meisterwerk; die Temperatur wurde durch eine gefärbte Flüssigkeit angegeben. Dr. Vander – der Himmel weiß, wie er wirklich hieß – hatte regen Zuspruch. Er war felsenfest davon überzeugt, der Menschheit von allergrößtem Nutzen zu sein. Nun, für Las Palmas wollte ich das schon gelten lassen; ich hatte dort einmal für kurze Zeit an einem Krankenhaus hospitiert und kannte die örtlichen Verhältnisse.
In der Markthalle kauften wir verlockende Früchte von gewaltigen, vielfarbigen Obstpyramiden herunter: fetthaltige Avokado-Birnen, die die bestschmechende Mayonnaise abgeben, Äpfel, Anona-Früchte, Kirschen, Tomaten, Bananen, Orangen … Freundliche Marktfrauen schenkten Niña ein paar andere tropische Früchte, nach denen sie sich neugierig erkundigt hatte: Papaya, kanarische Quitten und Süßkartoffeln.
Mit Früchten reich beladen ließen wir uns an dem besuchtesten Strand der Kanarischen Inseln, Las Canteras, nieder, der durch ein die Bucht abriegelndes Felsenriff gegen Seegang geschützt ist.
Anfangs weigerte Niña sich hartnäckig, vor aller Augen ins Wasser zu gehen: sie ist nicht etwa wasserscheu, sondern sie schämte sich der vielen blauen Flecken an Armen und Beinen – Souvenirs aus dem Zyklon. Ich tröstete sie mit dem Hinweis, daß die Damen für farbenreiche Blutergüsse viel anfälliger seien als das härtere Geschlecht.
Am Abend bummelten wir durch die Ciudad Jardin, die Gartenstadt von Las Palmas, und gönnten uns einen Cocktail im Luxushotel Santa Catalina, dessen wohlgepflegte Parkanlagen an das Pueblo Canario, eine besondere Touristenattraktion, grenzen.
Jeden Sonntag kann in diesem „Kanarischen Dorf“ der umworbene Tourist eine Gruppe von Canarios bewundern, die in ihren bunten, in Wirklichkeit längst nicht mehr getragenen Trachten tanzen und singen. Das Pueblo Canario verdankt seine (ein wenig kunstgewerbliche) Existenz einem Einfall des kanarischen Malers Nestor, der es entwarf und bis ins Einzelne durchdachte – selbst die Muster der kanarischen, handgewebten Trachten stammen von seinem Reißbrett.
In den folgenden Tagen zeigte ich Niña die Insel: ein Miniatur-Kontinent mit wechselnden Landschaftsbildern. Von rauhen, nackten Bergen blickt man auf tropisch reiche Fruchtplantagen und üppige Gärten, in denen es duftet und blüht.
Die Kanarier leben hauptsächlich vom Ertrag dieser Plantagen: sie führen Bananen, Tomaten, Frühkartoffeln und Zwiebeln aus. Um das Jahr 1500 legten sie große Zuckerrohrfelder an. Als Kolumbus das Zuckerrohr jedoch nach Kuba brachte, verdrängte der Kubazucker den kanarischen bald vom Markt. Von Amerika führten die erfinderischen Inselbewohner dann Opuntien ein, auf denen sie Schildläuse – Cochenilles – züchteten, deren Farbstoff „Karmin“ die Lippen unserer Großmütter rötete und noch heute die Teppiche der Perser färbt. Deutschlands Anilinstoffe raubten den Tierchen ihre Existenzberechtigung, sie lebten zu teuer. Aber die klugen Kanarier wußten wieder Rat: sie sattelten auf Obst und Gemüse um!
Nach allen diesen Exkursionen flog die Niña nach Deutschland zurück und konnte bis zu meiner Ankunft auf den Karibischen Inseln nur brieflich an der Weiterfahrt teilnehmen. Das bedeutete aber nicht, daß sie sich nun weniger Sorgen gemacht hätte. Ganz im Gegenteil!
Schon immer hatte mich die Vergangenheit der Kanarischen Inseln interessiert – die Guanchen seien mein Lieblingsthema, behauptete die Niña –, und nun suchte ich das Museo Canario in Las Palmas auf, in dem mit viel Liebe und Fleiß die wenigen wirklich aufschlußreichen Fundstücke zusammengetragen worden sind, die vom Leben dieser Ureinwohner der Inseln berichten.
Als die Spanier die Insel eroberten, versuchten sie, ähnlich wie auf ihren späteren Eroberungszügen in Amerika, möglichst alle heidnischen Elemente zu vernichten. Dabei ging es freilich nicht ganz so grausam zu wie bei der Einnahme Südamerikas. Möglicherweise war die offene und tapfere Kampfesweise der Guanchen einer der Gründe dafür. Jedenfalls wurden die Ureinwohner nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet, sie fielen auch keiner eingeschleppten Seuche zum Opfer, sondern vermischten sich nach der Eroberung sehr schnell mit den Eindringlingen. Und das ging um so leichter vonstatten, als sie dem Südspanier blutsmäßig verwandt waren und ihre Ehr- und Ehebegriffe sich mit denen der Spanier deckten.
Zur Zeit der Eroberung der Inseln, im 15. Jahrhundert, war es für einen gläubigen Christen eine selbstverständliche Pflicht, die Überlieferungen der Ureinwohner – Zeichen, Schriften oder Kultgegenstände – zu vernichten. So nimmt es nicht wunder, daß man von den Sammlungen des Kanarischen Museums ein wenig enttäuscht ist. Viele Fragen um die Guanchen sind noch ungeklärt und können selbst von den Wissenschaftlern nicht beantwortet werden.
Das bestätigte auch eine Unterredung mit dem stellvertretenden Museumsdirektor. Als Segler interessierte mich natürlich die Frage, warum die Ureinwohner der Kanarischen Inseln keine Seeleute gewesen seien. Ein Achselzucken war die Antwort. Man weiß es nicht. Die Kanarischen Inseln, sagt man, seien die letzten Gipfel des versunkenen Erdteils Atlantis, und Bergbewohner wären eben selten Seeleute. So argumentieren die Vertreter der Atlantis-Theorie 1.
Tatsächlich besaßen die Guanchen keinerlei eigene Boote, nicht einmal primitive Einbäume oder Flöße. Wenigstens erklärte mir der Wissenschaftler, man habe bis heute noch keine Bootsreste auf der Insel gefunden. Dem entspräche auch die Tatsache, daß einstmals jede der Kanarischen Inseln ein kleines Reich für sich bildete und daß die Guanchen sich zwar gegenseitig verstanden, jedoch auf jeder Insel einen eigenen „Dialekt“ sprachen.
Читать дальше