Man fand sich zu Bruck im „Strausse“ bei guter Pflege verloren in einem heftigen Samstagsverkehr von Reisenden vieler Strassen, die hier sich kreuzen, was die Reisenden seit alters her mit den hübschen Dienstmädchen zu tun pflegen. Letzteres kam bei unserer Gesellschaft nur für Herrn Tyson und den Bootsmann Brace in Frage. Aber es ist in den einschlägigen Akten der lieben Stadt nirgends ihr Name betreffs zahlungspflichtiger Vaterschaft erwähnt oder sonst etwas Böses nachzuweisen, so dass alles gut gegangen sein mag und damit behördlich unerwähnenswert.
Fast wäre auch der Mohrin Fatima ein Abenteuer geglückt, als sie nämlich zum Begiessen der Agave, welche Lady Hamilton zur Erinnerung an Palermo mit nach England nehmen wollte, noch einmal in die Wagenremise schlüpfte. Der Hausknecht, der da schlief und sich nach Hausknechtsart bei Ankunft der Herrschaften um die Bediensteten nicht bekümmert und kein Auge an ihnen vergeudet hatte, ausser dem bekannten nichtssehend verächtlichen, wachte davon auf und sah durch seine dösenden Lider etwas Schlankes, lang und weiblich Gewandetes im Dustern huscheln. Halt, dachte er, ein Dieb oder etwas Besseres, und kam sachte auf und schnurrte ihr barbeinig entgegen, als sie vom Kutschbock hüpfte, und fing sie warm auf in seinen leckernden Armen. Aber hu, wie erschrak er, dachte nichts anderes, als es sei des Teufels Grossmutter, die ihn seines schwachen Fleisches wegen zur Pönitenz heranziehen wollte, liess sie eilends fahren und vergrub sich in seinen Woilach, aus dem er diese Nacht nicht wieder hervorzulocken war.
Der Steirabua. Ausblick vom Semmering.
Nun kam man empor auf die Wasserscheide zwischen Steiermark und Niederösterreich. Der gamslederbehoste Postillon blies schmelzend in den Wind zum Abschied und machte den englischen Damen verliebte Augen, und während die Reisenden über die neuerliche Pyramide und k. k. Aufmerksamkeit betreffs der Schlacht am Nil ihre hohe Befriedigung äusserten, auch die Batteriegräben der Franzosen und die Geschosseinschläge von Anno siebenundneunzig betrachteten, sang er das schöne Lied vom Steirabu, der a Kernnatua ist und jodelte den Kehrreim, dass es sechsfach von den Latschen widerhallte und das Viehzeug in den Käfigen wild wurde und Cornelia Knight fürchtete, dem kräftigen Burschen sei schlecht geworden.
Beim zweiten Verse versuchten allerdings auch die Engländer zu jodeln, voran Lady Hamilton, die den geeigneten Resonanzboden dafür aufzuweisen hatte. Aber eine bedeutendere Wirkung erzielte die ganze Anstrengung nicht, nicht einmal bezüglich des Trinkgeldes. Daher gelten seit jenem denkwürdigen Übergang Lord Nelsons über den Semmering die Engländer und Engländerinnen dortselbst als zugeknöpft und unmusikalisch.
Ein schmaler Regen endete das Konzert. Wohl dämpfte er auch den Staub, der die Fernsicht verwölkte, aber Wien war noch immer nicht zu erblicken, selbst durch das gute Schiffsglas des Admirals nicht. Es wurde kühl und zugig, Fatima klapperte vor Frost, und auch die andern fühlten nun, wie sehr sie vom Süden kamen und griffen nach Decken und Mänteln. Die klagende Meerkatze, der zeternde Papagei und der winselnde Bologneser wurden nicht vergessen. Man hatte die dritte und letzte Barre überschritten, und aller Empfindung offen lag das nördliche, erstarrte Spiegelbild der Triester Bucht vor ihnen. Was hiess da Mitteleuropa, was sollten da lange tröstliche Umschreibungen! Es war der Norden, der sie anwehte und Herrn Tysons Pfeifendampf zersträhnte.
Doch da erwachte Nelsons in der starren Brandung der Gebirge eingeschrumpfter Sinn. Er schrie ganz laut Kommandos, die in ihm sich angesammelt hatten und noch glatt den Foudroyant betrafen. Ah, er meinte Nordseeluft zu wittern. Er nieste dreimal. Welche Erleichterung! Seine Nüstern hatten den Staub des Südens nun satt. Sein von der Südsonne halberblindetes gesundes Auge tat sich weit auf und wurde grau und hartfeucht wie Westwindwellen im Kanal.
Sir William wollte ihm noch all die Befestigungen zeigen, die ringsum die steilen Hänge zierten. Aber es war ihm schnurz. Mochte Bonaparte hier hindurchkartätschen oder nicht. Er würde ihn nicht hindern. Hier war er gewesen. Es mochte sehr schön sein. Aber er gehörte nun mal nicht auf die Chausseen des festen Landes.
Die Zofe Loinette aber wünschte heimlich und mit schlechtem Gewissen, dass man doch einmal dem grossen Konsul ihres Vaterlandes begegnen möge. Währenddes der kleine Konsul Andersson eine Diligence zu zwei raschen Pferden bestieg, um noch diese Nacht Wien zu erreichen und die Unterkunft seiner Landsleute vorzubereiten.
Abwärts in die Wiener Ebene.
Abwärts! Durch die grossartige Schönheit des Adlitzgrabens, eine damals selbst für Feiertage unentdeckte Schönheit. Die Landschaft rächte sich wegen des ihr mangelhaft zuteil werdenden Lobes und warf den zweiten Wagen um, wobei Tysons Pfeifenkopf zerbrach und Fräulein Knights Knie auf eine Bitterwasserflasche schlug, was beiden nicht bekam, und das schämige Fräulein musste erdulden, dass ihr gar nicht unschönes Bein das Licht des Verbindens erblickte.
Nach zwei Stunden erreichte man Schottwien. Das Posthaus war mit Tannengrün und Rosen bekränzt. Wie aufmerksam! Doch die Rosen waren verwelkt. Und es galt nicht dem grossbritannischem Helden, es war dem Kaiser und der Kaiserin zu Ehren, die bis hierher ihrer in einer Person vereinigten Tante, Mutter und Schwiegermutter entgegengefahren waren. Der Kaiser hatte Lust gehabt, ein paar Tage in dem kühl gelegenen Orte zu verweilen. Die Königin von Neapel habe nur spöttisch gelächelt; man habe zu Mittag gespeist und sei auf und davon, ohne sich umzusehen.
Auch die Engländer hielten sich nicht lange auf, nahmen einen heissen Kaffee im Wagen, während die Pferde gewechselt wurden und der Steirabua zum endgültigsten Male jodelte.
Aber im nächsten Posthause liessen sie sich von der piksauberen Postmeisterin mit Forellen, Eierschmarren und Glühwein bewirten. Der grossmächtige Ofen war geheizt und schien nicht wenig Anteil daran zu haben, dass der Semmering auf dieser Seite so kahl geholzt war.
Dann öffnete sich im Abendschein, dem sie entgegenfuhren, hinter Gloggnitz die breite Wiener Ebene, vom Schneeberg überleuchtet. Der Regen war in nichts verdunstet, die Hitze lagerte hier unten zäh im allzuleichten West. Der tolle Staubwurm, der sich hinter den Wagen erhob, rollte träg steigend einem grauverschleierten, fieberrot sich entzündenden Himmel zu und drohte sich unheimlich in Sir Williams seit Palermo empfindlichen Körper hinabzusenken. Die Unterschiede der Temperaturen und der Bodenhöhen, die Anstrengungen der vielen Tage Fahrt, die ungenügenden Nachtschlafe wollten sich rächen. Sir William wehrte sich männlich, klagte keineswegs. Doch sein Fieber schien ansteckend. Niemand fühlte sich wohl.
Endlich Wiener Neustadt. Es war tiefe Nacht. Die Luft drückend. Die Bürger, die nicht schlafen konnten, drängten sich vorm Gasthof „Zum Hirschen“. Es war stumme Neugierde. Da sass die Runde der Engländer, ass schweigend, erschöpft, das nahe Wien lag ihnen auf der Kehle. Und dass es Sir William so schlecht ging. Er wollte keinen Arzt, noch nicht hier, keinen so lächerlichen Vorreiter für Wien. In Wien, da werde er endlich ein wenig Ruhe haben. Signora Madre und Gaetano wachten an seinem Bette.
Von der Königin Karoline fand man nirgends einen Gruss, keinen Fingerzeig, nichts. Die ganze hohe k. k. Familie war eilends nach Schönbrunn gejagt. Lady Hamilton war empört und fluchte auf walisisch: „Charlotte muss eine verdammte Unruhe im Bauch haben. Mir scheint, sie flüchtet vor ihren Erinnerungen, und wir sind ein höchst gegenständlicher Teil davon.“
Sie hatte das bittere Gefühl der Vernachlässigung und zudem Zahnschmerzen. Auch Nelson war gekränkt. War das der Dank für seine Begleitung? Aber es war ja keine. Man tippelte ja nur hinterdrein, als Hofhund, als Dreck an königlicher Hofschleppe. Verdammt! Das wagte man den Besten Englands zu bieten? Gut! Man würde sehen. Man war auf sich selber angewiesen. Das sollte doch mit dem Satan zugehen, wenn man nicht ebenso hübsch allein durchkam.
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