10. März 2020, Estadio Mestalla, Valencia: Das Rückspiel, das als Geisterspiel vor 55.000 leeren Rängen ausgetragen wird, gewinnt Atalanta in Valencia mit 4:3. Damit ziehen die Italiener ins Viertelfinale der Champions League ein, das bei Veröffentlichung dieses Buchs noch nicht ausgelost worden ist.
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Wenn es auch für Norditalien keine eindeutigen Beweise für eine Verantwortung des »Spiel null« bei der Ausbreitung des Virus gibt, sieht es mit Blick auf Spanien und Valencia anders aus. Inzwischen geht man davon aus, dass die Partie sehr wohl Auswirkungen auf den Verlauf der Corona-Pandemie in der spanischen Stadt genommen hat. So berichtet etwa Die Zeit von einem Journalisten aus Valencia, der sich beim Spiel in Mailand angesteckt habe. Kurze Zeit danach hätten sich auch mehrere Spieler und Klubmitarbeiter infiziert. Bis Mitte März wird mehr als ein Drittel der Belegschaft des FC Valencia positiv auf Covid-19 getestet worden sein. In Spanien gibt es am 19. Februar, dem Tag des Hinspiels, lediglich zwei bestätigte Corona-Fälle. 14 Tage später sind es schon 151. Die Verantwortlichen des spanischen Klubs machen keinen Hehl daraus, worin sie die Ursache für die rasche Ausbreitung sehen: »Trotz der vom Klub umgesetzten Maßnahmen nach dem Spiel (…) in Mailand (…) zeigen die jüngsten Resultate, dass die Teilnahme an solchen Spielen zwangsläufig mit der positiven Testrate von rund 35 Prozent zusammenhängt.«
Tatsächlich ist Mailand kein Virus-Erstkontakt für den FC Valencia. Der Klub hat in der heimischen Liga zuvor bei Deportivo Alavés in Vitoria gespielt. Wie sich später herausstellt, einer der Corona-Hotspots in Spanien. Der FC Valencia ruft die spanische Bevölkerung auf, in den eigenen vier Wänden zu bleiben.
Prominentes Todesopfer: Ex-Real Präsident stirbt an Corona
Im Zeitraum vom 4. bis 21. März steigt die Corona-Fallzahl in Spanien von 151 auf über 21.500 an, die Zahl von 1.000 Todesopfern durch die Krankheit wird in dem Land übertroffen. Unter ihnen, in der Statistik als Nummer 1.422 geführt, findet sich auch ein Mann, der über Jahre den spanischen Fußball geprägt hat: Lorenzo Sanz, ehemals Präsident von Real Madrid. Der 76-Jährige hat es vom Preisboxer zum Multimillionär gebracht und ist über Jahre einer der schillerndsten Figuren im spanischen Fußball gewesen. Als Präsident von Real Madrid gewann er mit seinem Trainer Jupp Heynckes 1998 die Champions League. Im Jahr 2000 holten die Königlichen abermals den Henkelpott unter Sanz’ Ägide. Nach seiner Zeit bei Real Madrid kaufte er den FC Malaga und wäre fast wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis gelandet.
Sanz ist kurz vor seinem Tod an Covid-19 erkrankt. Nach Tagen auf der Intensivstation hat er den Kampf gegen die Krankheit verloren. Seine Familie durfte nicht zu ihm, wie es das Protokoll der spanischen Behörden in der Corona-Zeit angeordnet hat. »Er hatte so ein Ende nicht verdient«, teilte sein Sohn Lorenzo Sanz jun. mit. Die spanische Profiliga spricht den Hinterbliebenen ihr Beileid aus. Der Spiegel schreibt: »Die Liebe zum Fußball, auch zu ihm als Zirkus, hat in Spanien bisher noch alles überdauert. Während Jahrzehnten von Diktatur, Abschottung und Fatalismus lernten ihn die Nachkriegsgenerationen als Zerstreuung und Projektionsfläche kennen. Rivalitäten wie die zwischen Madrid und Barcelona haben ihn dabei symbolisch überhöht – aber schafften auch ein verbindendes Interesse.« Auf den Fußball und seine einigende, kompensatorische Kraft kann die für ihr Krisenmanagement unter Beschuss stehende Regierung dieser Tag nicht bauen.
Der Fall eins
Hannovers Timo Hübers erzielt ein Tor, bekannter macht ihn Corona
Sein rechter Fuß ist der stärkere. Am liebsten spielt er in der Innenverteidigung, er ist aber auch schon als defensiver Mittelfeldspieler aufgelaufen. Die Webseite Transfermarkt taxiert seinen Marktwert auf 400.000 Euro. Bislang stehen für den 23-Jährigen fünf Erst- und drei Zweitligaspiele in den Leistungsdaten. Sein erstes Tor im Profifußball erzielt Timo Hübers am 6. März 2020 im Spiel gegen den 1. FC Nürnberg. Zu diesem Zeitpunkt können wahrscheinlich nur wenige Fußballfans in Deutschland überhaupt etwas mit dem Namen des Abwehrtalents von Hannover 96 anfangen. Fünf Tage nach dem Treffer gegen Nürnberg erlangt der ehemalige Juniorennationalspieler bundesweite Berühmtheit: Hübers ist der erste Profifußballer in Deutschland, der positiv auf das Corona-Virus getestet worden ist.
6. März 2020, Max-Morlock-Stadion, Nürnberg: Timo Hübers von Hannover 96 (links oben, grünes Trikot) köpft beim Zweitligaspiel in Nürnberg zum 1:0 ein (18. Minute). 96 gewinnt die Partie mit 3:0. Fünf Tage später ist Hübers der erste deutsche Profi, der positiv auf das Corona-Virus getestet wird.
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»Auf einmal befindet man sich selbst mittendrin«
»Zunächst war es wirklich sehr surreal für mich. Natürlich hat man über die Medien schon eine Menge von dem Virus mitbekommen, trotzdem wirkte es noch sehr weit weg. Ich hatte nicht wirklich das Gefühl, dass das Virus in Deutschland angekommen ist – und auf einmal befindet man sich selbst mittendrin. Wenn man sich jetzt die Berichterstattung anschaut, sieht man, wie ernst das Thema nun auch in Deutschland ist«, berichtet Hübers via Videoschalte auf den Kanälen seines Vereins. Er hat sich bei einer Veranstaltung in seiner Heimatstadt Hildesheim infiziert und handelt schnell. »Timo hat sich absolut vorbildlich verhalten. (…) Als er davon erfuhr, dass eine Person, die mit ihm auf der Veranstaltung gewesen war, positiv getestet wurde, meldete er sich direkt beim Arzt und begab sich provisorisch in häusliche Quarantäne«, lobt Gerhard Zuber, sportlicher Leiter bei 96. Einen Kontakt zu anderen Mitspielern des niedersächsischen Klubs habe es nicht gegeben, eine Ansteckung sei folglich unwahrscheinlich. Dennoch wird das Team des Zweitligisten samt Trainerstab vorsorglich auf das Virus getestet. Ergebnis: Hübers Mitspieler Jannes Horn hat sich ebenfalls mit Corona angesteckt. Daraufhin schickt Hannover 96 den gesamten Kader für 14 Tage in häusliche Quarantäne. Außerdem beantragen die Niedersachsen bei der DFL die Absetzung der anstehenden Zweitligaspiele gegen Dresden und Osnabrück.
Häusliche Quarantäne im deutschen Profifußball – ein absolutes Novum. Hübers beschreibt: »Die Aufgaben meines täglichen Lebens versuche ich an Freunde und Bekannte abzugeben, die nicht unter häuslicher Quarantäne stehen.« Sein wichtigstes Kommunikationsmittel: FaceTime-Anrufe. Damit versucht er, den sozialen Kontakt »virtuell aufrechtzuerhalten«. Um die Profis in der Quarantäne sportlich weiter zu fordern und im Rhythmus zu halten, verteilt Hannover 96 Trainingspläne für zu Hause. Noch ist den Beteiligten nicht klar, dass ihr Spiel in Nürnberg das letzte für einen längeren Zeitraum ist. Hübers hat beim 3:0-Sieg gegen den »Club« 90 Minuten auf dem Platz gestanden – der FCN handelt umgehend und testet vorsorglich alle Spieler, Trainer und Mitarbeiter auf Corona. Eine Maßnahme, die sich als richtig erweisen wird. Denn Nürnbergs Mittelfeldspieler Fabian Nürnberger hat sich ebenfalls mit dem Virus infiziert. »Mir geht’s sehr gut«, sagt der 20-Jährige. »Ich merke bislang keine Symptome oder Anzeichen des Virus und habe auch schon ein bisschen trainiert, um mich fit zu halten. Ich spüre bislang gar nichts. Ihr müsst euch um mich keine Sorgen machen.« Nürnberger rät den Club-Fans, am besten zu Hause zu bleiben. Der 1. FC Nürnberg ordnet auf Anweisung der Gesundheitsbehörden für sein gesamtes Zweitligateam 14 Tage Quarantäne an. Wie zuvor schon Hannover 96 beantragt auch Nürnberg die Absetzung des kommenden Spiels (gegen den FC St. Pauli). Außerdem geben die Club-Verantwortlichen ein Statement ab, wie es in den folgenden Tagen und Wochen mit ähnlichem Wortlaut von vielen Fußballvereinen verlautbart wird: »Wir stehen in dauerhaftem Austausch mit den Gesundheitsbehörden und der DFL. Unseren Spielern geht es so weit gut. Wir werden alle Maßnahmen ergreifen, um unsere Mannschaft sowie alle Mitarbeiter des 1. FC Nürnberg bestmöglich zu begleiten und unterstützen.«
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