1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 „Und nun heraus mit der Wahrheit! Und wenn uns das Dach hier über dem Kopf zusammenfällt! Gesagt muss es werden! Sonst hätte ich mir den Weg hierher überhaupt sparen können . . .“
„Was haben Sie denn noch?“ frug Gabriele nervös. Eine neue, unbestimmte Angst vor dem unheimlichen Besucher kam über sie. Es ging ihr durch den Sinn: „Hätte ich nur Bankholtz gesagt, ich wollte ihn gar nicht erst sehen! Aber das konnt’ ich doch nicht . . . ich wusste doch nicht . . . nun ist’s zu spät . . .ʻ
Sie hatte sich nicht gesetzt. Sie war weit von Ostönne am Fenster stehen geblieben. Seine schwarzen Augen verfolgten sie bis dorthin. Es fing allmählich an zu dämmern. Er sagte langsam, jedes Wort betonend: “Sie sind in einem schweren Irrtum befangen, Frau Lünhardt. Sie meinen, Ihr Mann sei mit seinem Schicksal sehr zufrieden gewesen . . .“
„Dazu hatte er allen Grund!“
„Ich aber sage Ihnen: er war in seinen letzten Lebensjahren der unglücklichste Mensch unter Gottes Sonne!“
„Was?“
„Und zu helfen war ihm nicht. Er wollte es ja selbst so! . . . Er war ja weiches Wachs in Ihrer Hand . . . Das war sein Verhängnis, dass er schwächer war als Sie!“
„Ich verstehe Sie nicht!“
“Und das war Ihr schweres, nie wieder gutzumachendes Unrecht, dass Sie Ihre Stärke benutzt haben, um ihn so völlig zu unterdrücken und in eine Welt hinüberzuziehen, in die er so gut gepasst hat, wie ich zum Vortänzer bei Hofe. Wären Sie an seine Seite getreten als Kamerad in seinem Beruf und in seiner Arbeit, weiss Gott: ich hätte Ihnen die Hand geschüttelt und gedankt, und wenn ich zehnmal meinen Freund darüber verloren hätte! Er wäre doch er geblieben! . . . Aber Sie waren blind egoistisch. Sie haben ihn seiner Liebe zu Ihnen geopfert. Und dass er starb, als Sie ihn glücklich so weit hatten, das war die richtige Strafe Gottes . . .“
Es war ein schweres Schweigen. Dann fuhr er fort: „Sie sind eine starke Natur. Eine zu starke! Sie haben den Bogen überspannt! Ihr Mann war unglücklich . . . das wiederhole ich Ihnen! Sie hat er geliebt — o gewiss! . . . viel mehr, als gut war! . . . Aber an sich selber hat er zugleich verzweifelt! . . . Das verträgt auf die Dauer keiner. Daran ist er gestorben! . . .“
Gabriele Lünhardt war sehr bleich geworden.
„Sie kommen da in mein Haus . . . Herr von Ostönne. Sie sagen mir da auf einmal Dinge, die . . . Es ist gerade, als ob Sie nicht zurechnungsfähig wären . . . Nie bin ich oder sonst jemand auf diese Gedanken gekommen . . .“
„Antworten Sie mir einmal die reine Wahrheit, Frau Lünhardt: Hätten Sie Ihren Mann nach Afrika begleitet, wie es jetzt so manche Frauen tun?“
“Dazu taug’ ich nicht! Das wusst’ er auch!“
„Haben Sie je viel mit ihm über seine Pläne, seine Erlebnisse gesprochen?“
„Ich verstehe doch davon nichts!“
„Haben Sie sich je bemüht, seine Freunde in Ihrem Haus um ihn zu versammeln?“
„Ich kann nichts dafür, dass sie weggeblieben sind!“
„Haben Sie ihn also nicht schliesslich äusserlich und innerlich ganz vereinsamt? Denn das war das Ende. Ich weiss es sehr genau, Frau Lünhardt!“
„Von wem?“
„Von Paul selber!“
“Den haben Sie, seit er mich geheiratet hat, bis zu seinem Tode nicht mehr gesehen und gesprochen! . . . Und nun kommen Sie auf einmal und rütteln an den Fundamenten meines Lebens. Denn das ist darauf aufgebaut — auf dieser heiligen Überzeugung — auf diesem Glauben an ein Glück — wenn auch ein verlorenes! In dem Glauben liegt mein Frieden. Sie werden ihn mir nicht nehmen . . .“
„Ich muss!“ sagte der Afrikaner, aufstehend und nach seinem Zylinderhut greifend. „Es ist meine Pflicht. Die Vergeltung dafür, dass Sie sein Leben entzweigeknickt haben wie ein Streichholz!“
Sie warf den Kopf zurück. Jetzt reizte dieser Junggeselle, der sich da nachträglich in ihre Ehe drängte, allmählich ihren Hohn.
„Sie sind zu lange in Afrika geblieben, Herr von Ostönne . . . Sonst würden Sie wissen, dass man solche Dinge nicht ausspricht, ohne sie beweisen zu können!“
„Ich habe Beweise!“
„Was denn?“
„Briefe!“
„Von ihm?“
„Ich werde sie Ihnen schicken!“
Er stand an der Türe. Er wiederholte: “Briefe von ihm, bis zu seinem Todestag!“
Es war, als ob sie ihm etwas erwidern wollte — aber sie schwieg mit einem erschrockenen und hasserfüllten Blick auf ihn. Er gab ihn ihr hart zurück. Auch er blieb stumm. Er verbeugte sich plötzlich und ging.
Es verstrich wohl eine Viertelstunde, ehe Gabriele Lünhardt wieder ganz zu sich kam. Am liebsten hätte sie sich vorgestellt, sie hätte diesen plötzlichen Besuch aus Afrika nur geträumt. Aber er war dagewesen. Sie merkte es an ihrem wilden Herzklopfen. Eine unbestimmte Angst trieb sie durch die Zimmer hin. Die waren alle leer. Nirgends ein Laut. Vor den Fenstern der Herbst. Himmel und Zukunft still. Leise durchfröstelte sie die Angst des Alleinseins, die sie sonst von sich hielt. Sie hatte ja sich! Aber nun wurde sie für einen Augenblick beinahe an sich selber irre.
Ratlos sass und ging sie umher. Sie wollte in das Musikzimmer und drehte wieder um — sie stand vor ihrem Geburtstagstisch und sah leer darüber hin, sie fuhr zusammen, als sie in dem grossen Wandspiegel nebenan eine schöne junge Frau in kupferfarbigem Kleid sah und sich klarmachte, dass sie es sei, die auf einmal nicht mehr Trauer trug . . . Das fehlende Schwarz wurde ihr zum Vorwurf. Sie wehrte sich dagegen. Sie hatte ein gutes Gewissen! Es sollte keiner kommen und ihr das bisschen Harmonie ihres Lebens mutwillig stören. Es konnte es auch keiner! Diesem Herrn von Ostönne hatte die Tropensonne zu heiss auf dem Scheitel geschienen.
Aber die Briefe . . . die Briefe . . .
Sie wollte nicht weiter daran denken. In denen stand wahrscheinlich gar nichts darin — wenn sie überhaupt existierten. Am Ende war das auch nur ein rachsüchtiges Geschwätz dieses Mannes, wie alles andere. Sie setzte sich an den Schreibtisch, um ein paar Geburtstagsglückwünsche zu beantworten — sie nahm ein Buch zur Hand und sprang wieder auf, als habe sie jemand gerufen. Es war wie eine Stimme: . . . die Briefe . . . die Briefe. Es war wie die Stimme ihres Mannes . . .
Schliesslich suchte sie bei ihm selber vor sich Schutz. Am Ende der prunkenden Wohnräume, etwas zurückgelegen, war die Türe zu einem Gartenzimmer. Die öffnete sie selten. Oft monatelang nicht. Jetzt drückte sie die Klinke auf und war mit einem Schritt mitten in Afrika — im Arbeitsstübchen Paul Lünhardts — des einzigen Orts im ganzen Hause, der ihm ganz gehört hatte. Eine schwere, sonderbare Luft brütete darin, die durch alles Fensteröffnen in den letzten Jahren noch nicht vertrieben worden war — von Schiffsknaster, von Kampfer, von mottigen Tierfellen, von Gehörnen an den Wänden, der weissen Knochenmasse eines Elefantenschädels in der Ecke, von zermürbten Lederköchern mit Giftpfeilen, Massaispeeren, Federputz, Zauberkram, von Büchern, Büchern in Menge — ärztlichen Kompendien, Reiseberichten, Atlanten, Globuskugeln, Wandkarten. Alles von einer dichten Staubschicht überzogen. Der Raum war genau so geblieben wie er bei Paul Lünhardts Tode gewesen. Die alten, wurmstichigen paar Möbel aus seiner Junggesellenzeit standen unverrückt. Auf dem Schreibtisch lag noch ein angefangener Brief — die verräucherte Lampe, die dazu geleuchtet hatte, war halbgefüllt wie damals, in den Winkeln am Fenster, hinter den verschabten Plüschvorhängen, woben die Spinnen ihr Netz.
Die junge Witwe atmete in schweren Zügen die seltsame Atmosphäre des totenstillen Raumes ein, dieses Mitteldings von Mausoleum, Studierstube, Schiffskabine und Naturalienkabinett. Sie fühlte sich als Fremde hier. Sie war hier eigentlich immer ein Eindringling gewesen. Sie war fast nur hereingekommen, um ihren Mann zu holen, wenn drüben in den Salons Gäste sassen. Dann hatte er geschimpft und gelacht und sich schliesslich doch aus seiner Höhle, wie sie es nannte, hinüber unter den Lichterkreis des Kronleuchters, unter die schwatzende Gesellschaft ziehen lassen. Jetzt dünkte es ihr auf einmal fraglich, ob sie daran immer recht getan? Er war hier so gern gewesen, hatte sich hier eingeschmökert und eingequalmt, den bescheidenen Kachelofen in der Ecke oft eigenhändig nachgeheizt, um sich nicht erst durch einen der vielen Dienstboten des Hauses in seiner Behaglichkeit stören zu lassen. Das hier war sein Reich — sie hielt sich nie länger als ein paar Minuten darin auf. Man nahm immer den Geruch von kaltem Rauch in Haar und Kleid mit hinaus! Aber sie bereute jetzt doch, dass sie als Witwe nicht öfter hier gewesen war. Sie hätte pietätvoller sein sollen! Sein Bild besass sie drüben überall. Die Spuren seines Eigenlebens hier hatten sie nie gelockt. Diese Schwelle hier war die Grenze gewesen. Von da ab hatte er nicht mehr ihr gehört, sondern Afrika . . . der Vergangenheit . . .
Читать дальше