„Ach . . . lassen Sie doch Ihre Leute unterwegs!“ Er zuckte die Achseln und blieb stehen. „Wenn ich sage ‚umgebracht‘, so meine ich damit natürlich nicht, dass Sie ihm Rattengift in die Suppe getan haben! An die Blinddarmentzündung glaube ich! Aber der Mensch hat auch eine unsterbliche Seele . . . sozusagen sein besseres Teil . . . was hat denn Paul in diesem Hause damit angefangen? Wo ist denn die hier schliesslich geblieben? . . . he?“
Er frug es herausfordernd. Sie bebte am ganzen Leibe vor Empörung.
„Ich begreife nicht, woher Sie den Mut nehmen, so zu mir zu reden! . . . Ich kann nur glauben, dass Sie in den Tropen zuviel an Gesundheit und Erziehung zugesetzt haben. Aber nun ist’s genug!“
Er überhörte das wieder. Er meinte: „Sie bedauerten doch eben, dass ich Ihnen auf Ihren Brief nicht geantwortet habe. Nun bringe ich Ihnen die Antwort persönlich. Die müssen Sie hören. Sie würden ja doch keine Ruhe haben, wenn ich jetzt ginge, ohne weitere Erklärung . . . Sie würden sich hinterher den Kopf darüber zerbrechen! Denn ich glaube wirklich, wie ich Sie jetzt so vor mir sehe: Sie sind ganz ahnungslos! . . . Sie begreifen noch gar nicht, was Sie für eine Schuld auf sich geladen haben . . .“
Vor Gabriele Lünhardt drehte sich das Zimmer im Kreise. Sie konnte kaum herausbringen: „Was haben Sie für ein Recht, so mit mir zu sprechen . . .?“
„Als Pauls Freund! Das war keine Freundschaft, wie wenn sie hier auf der Bierbank Schmollis machen . . . wir haben uns als Männer getroffen . . . draussen . . . wo man bald weiss, was ein Mann wert ist, das war wie eine Blutsbrüderschaft!“
„Und daraus leiten Sie die Mission her, mich nach Jahren hier zu beleidigen?“
Er liess sich nicht beirren.
„Ein Mann ist dazu da, dass er auf der Welt nach aussen hin etwas vor sich bringt! Das wollten wir beide, Schulter an Schulter. Ich hatte mein Leben darauf aufgebaut, nach schweren Enttäuschungen, die mir widerfahren waren. Wir hatten gemeinsam das Stück Urwald in Angriff genommen, aus dem inzwischen meine Plantage entstanden ist. Die Arbeit war viel zu viel für einen einzigen Mann. Es musste sich einer auf den anderen verlassen. Kaum aber hatten wir angefangen, so ging Paul vor sieben Jahren, um mehr Geld aufzutreiben, auf ein Vierteljahr nach Europa, und kam nicht wieder, sondern blieb bei Ihnen. Und ich konnte schauen, wie ich allein mit allem fertig wurde.“
Es war nicht Gabriele Lünhardts Absicht gewesen, überhaupt noch mit ihrem Gast zu sprechen. Sie stand da, zitternd vor Zorn, und wartete nur, bis er zu Ende sein und freiwillig gehen würde. Aber angesichts seiner letzten Ungerechtigkeit konnte sie sich nicht enthalten, zu erwidern: „Hat er sich Ihnen denn etwa verschrieben, mit Leib und Seele? . . . Er hat hier eben Besseres gefunden! . . . Er hat sein Glück gefunden! . . . Es war ein Zufall, dass er und ich uns trafen — aber dann war er auch entschieden! . . . Von da ab gehörte sein Leben mir und nicht mehr Ihnen! Und im übrigen . . . Sie sagten, er habe hier Geld aufbringen sollen! Hat er Ihnen denn nicht reichlich Geldmittel zur Verfügung gestellt, auf meinen eigenen Wunsch?“
„Ich hab’ sie aber nicht genommen! . . .“
„Warum nicht?“
„Weil sie von Ihnen kamen! . . .“
Seine gelassene Todfeindschaft erfüllte sie mit Grauen. Das war ihr noch nie widerfahren im Leben, dass jemand sie so hasste! . . . Sie dachte sich: ,Er wird mir doch nicht plötzlich an die Gurgel springen oder ein Messer hervorziehen? Fähig scheint er zu allem! Und warum ist er denn eigentlich überhaupt hier, wenn er mich so verabscheut? Er muss doch einen Grund haben! . . .ʻ Dann versetzte sie kühl, unwiderruflich dem Gespräch ein Ende zu machen: „Das sind geschehene Dinge. Der Tod ist dazwischen. Wir haben keine Macht mehr, etwas zu ändern! Also beruhigen Sie sich! Sie müssen sich doch selber sagen, dass einem Mann die Frau mehr ist als der Freund. Sie hätten im gleichen Fall genau so gehandelt . . .“
„Ich beklage auch nicht, dass ich meinen Freund verloren habe, sondern dass er sich verloren hat!“
„. . . sich verloren hat!“
„Mit Haut und Haar! Und das darf ein Mann nicht! Er soll schaffen . . . schaffen . . .“
Auf einmal verstärkte er seine bis dahin gedämpfte Stimme: “Aber da lebt ein Herr in Berlin — reitet spazieren — läuft in Gesellschaften — sitzt in der Oper — kurzum, stiehlt unserem Herrgott nach Noten den lieben langen Tag — und das ist Paul Lünhardt — mein Paul Lünhardt, der wirklich einmal etwas Gutes und Nützliches war und tausendmal zu schade dafür, Ihren Schleppträger zu machen . . .“
„Herr von Ostönne! Jetzt ist aber meine Geduld zu Ende! . . .“
„Ein ganzer Kerl war er da drüben! Ein Deutscher von dem Schlag, der uns so bitter nottut . . . und der hält Ihnen nun das Strickgarn!“
„Herr von Ostönne: Sie waren doch früher Offizier! Ich weiss wirklich nicht, wo Sie Ihre Erziehung gelassen haben!“
„Meinetwegen draussen im Vorzimmer. Auf schöne Worte kommt’s jetzt nicht an! . . . Mein armer Paul! . . . Dies verfluchte Drohnenleben! Und nichts dagegen zu machen! Er blieb nun mal hier im warmen Nest. Ich verachte die Leute, die zu was Besserem geboren sind und sich dann von ihrer Frau durchfüttern lassen!“
Sie richtete sich empört auf. „Das . . . das sagen Sie von meinem Mann?“ stammelte sie.
„Ist’s denn nicht wahr? Er hatte nichts . . . seine paar Kröten waren auf den Forschungsreisen draufgegangen und Sie . . .,“ er streifte mit einem spöttischen Rundblick die kostbare Wohnungseinrichtung, “Sie sind doch reich! . . . Sehr sogar! Man sieht’s! Ich hab’s ihm seinerzeit geschrieben: Eine reiche Heirat — das ist der Traum von Barbiergesellen! . . . Ein Mann erwirbt! Der lässt sich nichts schenken!“
„Wenn Sie ihn deswegen verachten, dann haben Sie ihn nie gekannt! Als ob es Berechnung gewesen wäre, dass er mich geheiratet hat, und nicht reinste Liebe . . .“
„Das weiss niemand besser als ich!“
„Nun also! Und Liebe macht glücklich! Und zum Glück sind wir auf der Welt! Und nicht bloss, wie Sie sich einbilden, um unter den Wilden im Urwald zu sitzen!“
„Für einen Mann ist Arbeit Glück, Frau Lünhardt. Und Liebe ist doppeltes Glück für ihn . . .“
„Ja eben!“
„. . . wenn sie ihn in dem fördert, was er ist und soll! Sie aber haben Paul den Boden unter den Füssen weggezogen! Er hat seitdem nicht mehr gewusst, wozu er auf der Welt war. Ob man dann noch zufällig an einer Krankheit stirbt . . . tot ist man schon vorher . . .“ „Herr von Ostönne . . .,“ versetzte die junge Witwe mühsam, „ich glaube, nun haben wir uns wohl alles gesagt — nicht wahr? . . . Sie haben Ihr Herz ausgeschüttet! Das war Ihnen wohl schon lange ein Bedürfnis. Sie haben auch, scheint es, etwas Fieber — ich betrachte Sie als einen Kranken und habe mir von Ihnen Dinge ins Gesicht sagen lassen, die mir noch nie ein Mensch gesagt hat. Aber nun ist’s heraus und ich hoffe, wir sehen uns nicht wieder! Nur um das eine möchte ich Sie bitten, ehe Sie gehen: bemitleiden Sie meinen Mann nicht noch im Grabe! Er hat es nicht nötig! Er hat in der kurzen Spanne Zeit, die uns zusammenzuleben vergönnt war, alles besessen, was er vom Schicksal wollte. Er war sehr glücklich, das dürfen Sie mir glauben.“
Der Plantagendirektor sah sie prüfend an. Dann sagte er kurz: „Frau Lünhardt . . . ich bitte, mich noch einen Moment setzen zu dürfen! Ich bin, wie Sie eben selbst andeuten, von dem Klimawechsel ein wenig mitgenommen. Das lange Stehen strengt mich an!“
Er nahm, ohne eine weitere Erlaubnis von ihr abzuwarten, Platz, dicht neben dem Kamin, und schlug ein Bein über das andere. Die spielenden Flämmchen wetterleuchteten von unten über sein sonnenverbranntes, düsteres Antlitz. Er schaute ihnen eine Weile zerstreut, in sich fröstelnd, zu, dann hob er entschlossen den Kopf.
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