Rudolf Stratz - Liebestrank

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"Vielleicht ist es ein Unrecht, einen Menschen ganz für sich haben zu wollen, ohne Rücksicht auf ihn selber, so wie ich Paul als Freund und Sie ihn als Mann! … Wenn es ein Unrecht war, dann hat es sich an uns gerächt …" An ihrem siebenundzwanzigsten Geburtstag zieht die junge Witwe Gabriele Lünhardt nach dreijähriger Trauerzeit zum ersten Mal wieder bunte Kleider an. Ihre Mutter hegt schon Pläne, sie neu zu verkuppeln, doch Gabriele lebt noch immer ganz in der Erinnerung an die große, glückliche Liebe ihres Lebens. Doch noch am gleichen Tag holt sie auch die Vergangenheit ein, in Gestalt des afrikanischen Plantagenbesitzers Werner von Ostönne, bester Freund ihres verstorbenen Mannes Paul und nun ihr erbitterter Feind. Über Ostönne, der ihr die Briefe Pauls an ihn zukommen lässt, erfährt sie, dass ihr Eheglück, zumindest was ihren Mann anging, nur ein scheinbares war, auf dem täglichen Seelenleid und Unglück ihres Mannes aufgebaut, der für seine geliebte Frau das Leben als Afrikaforscher und Plantagenbesitzer in Deutsch-Ostafrika an der Seite seines Freundes Werner aufgegeben hat und mit zerrissener Seele, dem Selbstmord nahe, verstarb … Als Gabrieles bisheriges Leben unter ihr zusammenbricht, ringt sie verzweifelt nach Neuorientierung, für die schließlich sogar der Feind von Ostönne zur Schlüsselfigur wird. Ein psychologisch durchdrungener und einfühlsam erzählter Roman über den Konflikt zwischen Liebe und Lebensberufung.-

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Rudolf Stratz

Liebestrunk

Saga

Liebestrunk Copyright © 1910, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507162

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

1

Gabriele Lünhardt hatte eine eigene Empfindung, als sie an diesem Berliner Herbsttag zum erstenmal wieder ein farbiges Kleid anzog. Der dichte Flor vor den Augen, der lange Schleier, dann das Grau und Weiss der Halbtrauer um ihren verstorbenen Mann, die schwarzen Schleifen waren ihr durch die Gewohnheit dreier Jahre etwas Selbstverständliches geworden, was sie von ihrer Persönlichkeit kaum mehr trennen konnte. Nur zu dem dunklen Lila der Witwen hatte sie sich nie entschliessen können. Ihr schien: es machte sie zu alt — sie, die heute ihren siebenundzwanzigsten Geburtstag feierte.

Sie war schlank gewachsen. Überreiches, aschblondes Haar wuchtete in einem schweren Knoten in ihrem Nacken und überkräuselte das schmalwangige Gesicht mit den klaren, grauen Augen. Sie sah ernst, fast schuldbewusst aus, während sie mit Hilfe ihrer Kammerjungfer sich in das enganliegende Prinzesskleid hüllte — ein Unterkleid von kupferfarbener Seide, darüber in etwas hellerem, zartem Kupferton ein Spitzenstoff, mit Kupfer und Gold in eigenartigem Schlangenmuster überstickt — ein Anblick, der die Jungfer entzückte. Sie war schon im Elternhaus Gabrieles in Westdeutschland bei dem verstorbenen Kommerzienrat Weiferling in Stellung gewesen und hatte die Tochter bei ihrer Heirat vor sechs Jahren nach Berlin begleitet. „Gnädige Frau sehen wunderschön aus!“ sagte sie, neben ihr am Boden kniend.

Die junge Witwe erwiderte nichts. Sie stand in ihrem grossen, hellen, ganz Weiss in Weiss gehaltenen Ankleidezimmer, vor dessen Scheiben das bunte Herbstlaub des Berliner Tiergartens schimmerte. Hier, mitten in der Hauptstadt und doch fast im Walde, nahe der Lichtensteinbrücke, hatten sie und ihr Mann sich ihre reiche Villa gebaut. Nur drei Jahre hatte er sie bewohnt. Dann hatten sie ihn hinausgetragen.

„Gnädige Frau sind in der Toilette noch jünger!“ erklärte die Zofe. Sie kauerte noch da unten und zupfte geschäftig die Falten zurecht. „So waren gnädige Frau als Mädchen!“

Und ihre Herrin dachte sich, ohne hinzuhören: ,Ja — da haben sie ihn hinausgetragen. Nicht an einem trüben Oktobermorgen wie heute, sondern an einem klaren, frostigen Wintertag. Er hat sich nur ein paar Tage unwohl gefühlt. Und dann plötzlich . . . Blinddarmentzündung . . . Warum nur, du grosser Gott? Und wir hier unten falten die Hände und weinen . . . weinen . . .‘

„Was nehmen gnädige Frau für einen Schmuck?“

„Noch keinen!“

Sie dachte wieder, was sie tausendmal gedacht: ,Warum musste es sein? Ich habe ihn doch so geliebt . . .‘

Das Mädchen war aufgestanden. Es bat: „Gnädige Frau sollten sich doch einmal vor dem Spiegel betrachten! . . . Gnädige Frau sind so entzückend! . . . Es wird alles paff sein!“

Sie tat ihr den Gefallen und erstaunte selbst vor der schönen fremden jungen Frau, die ihr im Glase gegenüberstand und ernst, forschend ihren Blick erwiderte. Diese farbenfrohe Eleganz verwirrte sie. War sie das? Durfte sie das sein? Ein Mensch wie andere? Draussen das Leben? . . . Dabei gefiel sie sich. Sie war schön. Schöner noch als bisher in der trüben Verpuppung des Witwenstandes. Zu ihrer gleichmütigen, blonden, klaren Art passte Trauer nicht so gut wie diese zarten, kühlen Farben, die in leisen Seidenwellen an ihr herniederrieselten. Aber sie schaute gleich wieder weg; seufzte, strich sich ihrer Gewohnheit gemäss mit der schmalen, weissen Hand über den Scheitel und frug: ,,Sind meine Mutter und meine Schwester drüben?“

„Jawohl, gnädige Frau! . . .“

Gabriele Lünhardt nickte und ging von ihrem Ankleidezimmer in das anstossende Boudoir und durch die Flucht der Empfangsräume weiter. Sie hatte einen leichten, wiegenden Schritt — ein Gleiten in Hüften und Schultern. Den Kopf trug sie etwas vorgeneigt. Eine sanfte Halslinie wölbte dabei den weissen Nacken, in dem das goldene Flaumhaar schimmerte. Um sie war der schwere, gediegene Reichtum, den der verstorbene Kommerzienrat Weiferling, der Inhaber der grossen Pianofortefabrik Weiferling u. Co., seiner Witwe und seinen beiden Töchtern hinterlassen hatte. Und überall in diesen Prunkgemächern traf Gabrieles Auge auf Andenken von ihrem Mann. Er hatte als Afrikaforscher viel die Öffentlichkeit beschäftigt. Dort das grosse Ölbild von ihm, das seinem Maler seinerzeit auf der Kunstausstellung im Glaspalast den zweiten Preis eingetragen, war oft reproduziert worden. Da wieder hing ein Pastell Dr. Paul Lünhardts noch aus seinen Junggesellenjahren, in der Uniform eines Stabsarztes in der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Und hier die Bronzestatuette eines auf einem Sockel ruhenden Löwen war die Nachbildung seines Grabmals draussen vor den Toren Berlins. Nur der kleine runde, mit Oberlicht in Weiss und Gold gehaltene Musiksaal wies keine Erinnerung an ihn auf. Er enthielt nichts als den auserlesenen, fast immer zu Gabrieles Gebrauch aufgeschlagenen kostbaren Flügel aus der Werkstatt ihres Vaters. Er war der Mittelpunkt des Hauses. In seiner strengen Schmucklosigkeit feierlich gleich einer kleinen Kirche.

Am Eingang zu diesem Allerheiligsten hielt eine alabasterne Herme Gabriele Lünhardts auf hohem Sockel Wacht, von der von oben strömenden Tageshelle durchsonnt und belebt, mit offenen Augen und sprechenden Lippen, gesammelte Ruhe auf den klaren Zügen. Es war ein schöner, jugendlicher Kopf, im Profil herbe und fest, von vorne mehr frauenhaft weich und lächelnd. Er glich ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Gabriele blieb vor ihm stehen und fuhr ihm zerstreut, wie sie es bei sich selber tat, glättend mit der Hand über das Haupt. Es war eine Bewegung, mit der man eine Schwester liebkost. Es lag Wohlwollen darin. Stille Liebe trotz allen Summers. Freude an sich selber . . .

Zwei Zimmer weiter warteten die verwitwete Kommerzienrätin Weiferling, eine rundliche, etwas zu jugendlich hell gekleidete Matrone, und ihre jüngere, zu Anfang der Zwanzig stehende Tochter auf Gabriele, die Mutter und Schwester nach dem Tode ihres Mannes zu sich nach Berlin in ihr Haus genommen hatte. Der Geburtstagstisch stand leuchtendweiss gedeckt, mit Blumen und Geschenken überladen. Es war das erste Mal seit drei Jahren, dass die junge Witwe die Feier des Festes duldete. Das heute sollte ein Sinnbild sein, das Wiederhinaustreten in das Leben, unter die anderen Menschen statt der Trauer um den Einen . . .

Sie hatte die Ihren, die ihr glückwünschend bis zur Schwelle entgegenkamen, geküsst und betrachtete nun stumm, mit gefalteten Händen den Gabenbau. Es blühte und duftete ihr von da unten entgegen, Orchideen und Rosen, Kallas und Lilien rankten sich schmeichelnd zu ihr empor, Briefe, Glückwunschtelegramme, Visitenkarten schimmerten weiss in der farbigen Wildnis. Mama hatte sich gewaltig angestrengt mit ihrem Smaragdarmband, auch die Schwester Gisela hatte das Ihre getan . . . Gabriele gab ihnen die Hand und dankte ihnen, aber sie blieb dabei ernst und still. Auf einmal drangen ihr die Tränen unaufhaltsam in die Augen. Sie ging in das Nebengemach, um allein zu sein. Die weichen Perserteppiche dämpften ihren Schritt, die schweren Portieren schlugen hinter ihr zusammen, um sie standen steif, unbenutzt in diesen reichen Räumen, die seit Jahr und Tag keine grössere Gesellschaft mehr gesehen hatten, die geschnörkelten Tische und Stühle, Prachtwerke lagen umher — Musikmappen — Kupferstiche — überall waltete ein kühler, freisinniger und verwöhnter Geschmack, Vergeistigung in den Dingen. Alles Grelle, Schroffe, allzu Wirkliche war vermieden.

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