Vanessa Walder - Die Unausstehlichen & ich - Freunde halten das Universum zusammen

Für Noah

Ende der Welt

Grand Theft Rasenmäher

Zeitkapsel

Blind vertrauen

Monster und Aliens

Haie im Himmel

Unter Verdacht

Ketchup

Luftballon

Rat Busters

Beweise

Blaubarts Schuppen

Team Enni

Cross-Country Challenge

Helden

Geständnis

FÜR BRANDON

Kannst du dich an Polizist Dirk erinnern? Das war der, der mich vor ein paar Monaten im Tiergarten niedergerannt und verhaftet hat. Netter Typ so, eigentlich. Der hat versprochen, dass er dir diesen Brief gibt. Er hat auch gesagt, dass er ihn vorher lesen wird, darum sollte ich besser nicht fluchen. Ach, , ich mach’s trotzdem. Ich kann’s ja nachher durchstreichen. Is so oder so . Bringt denen bei der Polizei wohl keiner bei, dass man nicht die Post von andern Leuten liest. Gegen alle Menschenrechte und so, aber was soll ich machen – die UNO und das Rote Kreuz anrufen?

Die lassen mich nicht zu dir, Noah. Nicht, solang du in dem Kinder-Knast sitzt. Ich kenn solche „Einrichtungen“. Aber deine Eltern sagen, es is nur für eine Nacht. Bis du mit dem Psychologen geredet hast, dann darfst du wieder nach Hause. Ich mein: Du hast fast nix Kriminelles gemacht, richtig? Und sogar wenn: Du bist zwölf. Strafmündig ist man erst mit vierzehn. Vorher können die dir gar nix. Is trotzdem mega , ich weiß. Futter so wenig wie möglich von dem Fraß dort. Auf keinen Fall irgendwas mit Fleisch – da kann alles drin sein, Alter! Und geh nie mit nackten Füßen übern Teppichboden!!! Davon kriegst du Schweinepest!

Ja, ich weiß, du wartest auf meine Antwort … Und jetzt siehst du diesen fetten Brief und denkst: ! Was soll denn der ? Mann, Enni – wofür brauchst’n du fünfzigtausend Wörter? Weil die Antwort is ja ’n megasimples Ja oder Nein. Eigentlich sogar bloß ’n Ja, oder? Du hast total recht. Vor ein paar Monaten, Noah – da hättest du überhaupt gar nicht fragen brauchen. Klar wär’s ein Ja gewesen. Ich wär mit dir auf den Mars ausgewandert. Ohne Sauerstoff. Ich glaub, das weißt du. Aber jetzt … jetzt gibt’s keine einfachen Antworten mehr. Darum schreib ich dir das. Weiß schon, is lang und du findest Lesen megamühsam. Muss aber sein, sorry. Weil sonst verstehst du meine Antwort nich und das is wichtig. Mir war noch nie was so wichtig, wie dass du das hier verstehst. Du hast mich auf den ersten Blick verstanden, als ich vor einem Jahr bei euch aufgekreuzt bin. Ab da warst du mein Bruder, auch wenn wir nicht dieselben Gene haben. Ich würd dir sofort meine Niere geben. Nur willst du nicht meine Niere, sondern sämtliche Eingeweide, also alles – mich.

Aber du hast nicht mitgekriegt, was passiert ist, seit die mich ins Internat nach Saaks gesteckt haben. Am Anfang, da wollt ich echt nur wieder weg, abhauen und dich suchen. Und ich war schon so nah dran! Ich bin gut mit Plänen, weißt du ja. Mein Ausbruch-Plan hat super funktioniert. Ich war schon am Bahnhof, den Zug vor der Nase, aber dann is Lucky fast gestorben und die Bullen waren da und wollten alle verhaften, und … Warte, nee, ich muss anders anfangen. Am besten, ich fang am Anfang an.

Du hast mich gefragt, ob’s schrecklich war, als mich deine Eltern ins Internat gesteckt haben und mit dir in die Schweiz sind. Ja und nein. Ich weiß, warum du fragst. Weil du versucht hast, es dir vorzustellen. Weil du nachts in deinem Bett gelegen hast und in meine Haut schlüpfen wolltest, stimmt’s? Und das war schrecklich für dich. Aber für mich war’s nicht das erste Mal, dass sie mich von zu Hause weggeholt haben. Mann, es war nicht mal das fünfte oder das achte Mal. Ich bin ein Heimkind, ein Pflegekind, ein Kind mit besonderen Bedürfnissen, ein Sonderfall. Ich bin die ganzen Sachen, die Erwachsene sagen, wenn sie nicht Freak oder Creep oder Psycho sagen dürfen. Ich bin’s gewohnt, dass sie mich rumschieben. Außerdem bin ich jetzt schon elf. Das erste Mal, da war ich acht. Und mit acht war’s das Ende der Welt.

Als sie mich das erste Mal geholt haben, hab ich gar nich kapiert, was los is. Keiner hat’s so richtig kapiert. Da stehen zwei Frauen vom Jugendamt und meine Mama muss einen Koffer für mich packen. Den roten, der aussieht wie ein Marienkäfer. Den hatte ich gerade erst geschenkt bekommen für den Ausflug an die Ostsee, den wir dann nie gemacht haben.