Doch dann hat mir der Psychoonkel in Saaks erzählt, dass du von zu Hause abgehauen bist. Im ersten Moment war ich total happy, dass du mich nicht vergessen hast, dass du das für mich machst! Die haben mir gesagt, dass du bei der Polizei angerufen hast, um zu fragen, in welches Heim sie mich gesteckt haben. Das wollten sie dir nicht sagen. Aber Polizist Dirk hat deinen Eltern geraten, sie sollen dich mit mir reden lassen. Haben sie aber nicht. Und dann bist du abgehauen. Ich hab gewusst, dass du mich suchst. Das war schön. Nur ist mir irgendwann eingefallen, dass du nicht so gut bist mit Plänen. Und dass du zwölf Jahre alt bist. Gut, es is Sommer und du wirst nicht erfrieren. Auf der anderen Seite hast du keine Ahnung, wo ich bin. Sogar wenn du’s wüsstest: Du bist in Luzern in der Schweiz, ich bin in Saaks am
der Welt. Und ins Internat kommt man auch nicht einfach so rein.
Vom Saakser Bahnhof musst du erstmal zur Talstation von der
Seilbahn. Und dann mit der Gondel den Berg hoch. Nochmal fast tausend Meter. Klar, es gibt einen anderen Weg, hinten rum durch den Fenrisforst. Nur lauern da ganze Rudel von
Wölfen!
Mir haben sie damals erklärt, dass das eine extra-spezial super
geile Elite-Schule mit Halbinternat ist. Halbinternat heißt, dass die meisten Schüler hier nur für den Unterricht herkommen, aber ein paar Auserwählte haben das Riesenglück, dass sie hier auch wohnen dürfen. Sechsundzwanzig sind es gerade. Rate mal, wie krass geil ich das gefunden hab! Ich will abhauen und die stecken mich in ein Internat mittendrin im Nirgendwo, wo du nur mit der Gondel wieder wegkommst! Für mich war von Anfang an klar: Das is ’ne Alpen-Klapse, ’n Psycho-Schuppen, ’n Knast für.
Bloß, als ich dann hier war … Da hat plötzlich nichts mehr gestimmt. Die Möbel im Internat sehen aus wie in den Boutiquen in Berlin. Riesige
Kronleuchter an den Decken,
offene Kamine in den Aufenthaltsräumen. Tablets für jeden Schüler. Die Rechner für den Informatikunterricht werden jedes Jahr gegen neue Modelle ausgetauscht. Ich mein –
, Noah, das machen die nicht mal in der Firma von deinem Papa!
Das Internat war mal ein ganz nobles Hotel. Gibt sogar noch ’n
Helikopter-Landeplatz auf der anderen Seite vom See. Hier haben Leute Urlaub gemacht, die auf keinen Fall gestört werden wollten. Stars, Politiker, Milliardäre … Rothschilds, Rockefellers, Röhnheims – die Leute, denen die Welt gehört. In der Bibliothek hängen alte Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen sie in die Kameras lächeln, während sie unter den Weiden am See Picknick machen oder ausreiten, Tennis spielen und Ruderboot fahren, mit Strohhüten im Sommer und Pelzmänteln im Winter. Manche Gesichter kommen mir bekannt vor, was komisch ist, weil die Fotos uralt sind. Aber das Internat sieht aus, als würde es nur darauf warten, dass seine alten Gäste zurückkommen. Oder vielleicht gehen die Enkel und Urenkel von denen jetzt hier zur Schule … Teuer genug ist es. Alter, das Schulgeld sind 3.800 Euro im Monat!
, die lassen sich’s echt was kosten, ihre Kinder los zu sein, was? Problem is: Ich koste genauso viel. Und das zahlen weder meine noch deine Eltern. Ich hab keine
Ahnung, wer das bezahlt. Die Halbach sagt, ich hab ein Stipendium. Und außer mir bloß noch ein anderer Schüler. Also irgendwer zahlt fast viertausend Euro dafür, dass ich hier bin. Raffst du das? Ich nicht.
Es wird noch besser: Das Saakser Internat existiert gar nicht. Wenn du’s googelst, findest du nur das alte Hotel und die
Gondelbahn. Kein Wort von einer Schule. Es gibt keine
Homepage. Nur die Leute, die hier arbeiten, hab ich im Netz gefunden. Die waren alle mal voll die Bosse, vorher. Der Psycho-Onkel Dr. Dr. Marvin Mergen war Leiter der Psychiatrie an der Berliner Charité. Die Köchin Louisa Krevic hat ein eigenes Restaurant in München gehabt, so ein schickes Ding mit nix aufm Teller, für dünne Leute mit dicken Brieftaschen. Die Leiterin Frau Halbach war mal Managerin bei einer Bank und dann bei irgendeiner Stiftung … und dann ist sie einfach von der
Bildfläche verschwunden, als hätte sie wer ausradiert. Das gilt für alle. Unseren Hausmeister Ahmet Armut findest du gar nicht. Der war irgendwas beim Militär. Keine Ahnung, für welches Land. Auf einem Foto hab ich ihn in Uniform gesehen – mit tausend
Orden und mit Augen, die sich in die Kamera bohren, als könnten sie ein Loch durchschießen. Einer von den Typen, bei denen du besser in Deckung gehst. Weil du weißt, sonst fliegt dir die
um die Ohren.
Okay, und jetzt kommt der spannende Teil: Aus irgendeinem Grund hat die Halbach eine Schülerakte in ihrer Privatwohnung, eingeschlossen in einer Schublade: die von Dante Dahlem. Ich weiß das, weil ich sie da gesehen hab, als ich den Pass von ihrer Tochter Alba geklaut hab. Ja, ja, schon gut! Ich wollte halt zu dir und du brauchst halt einen Pass, um aus der EU in die Schweiz zu kommen. In Dantes Akte waren Kontoauszüge. Eine Kanzlei Nienberg, Lausch & Partner blecht jeden Monat die 3.800 Euro Schulgeld für Dante. Na und?, denkst du jetzt. Geht uns doch einen
dreck an. Dann gehört Dantes Eltern halt eine Kanzlei. Aber das stimmt nicht. Dantes Mutter hat kein Geld. Sein Stiefvater ist der totale Loser, der noch nie mehr als ein paar Monate am Stück gearbeitet hat. Seinen echten Vater kennt Dante nicht mal. Er hat nur so ’ne halbe Erinnerung an einen Mann im Anzug, der ihm als Kind mal beim Spielen zugesehen und sich danach nie mehr gemeldet hat.
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