Als der Dresdner SC ein Jahr später seinen Pokaltitel verteidigte, waren Kugler und Hofmann wieder dabei; ansonsten trat die Elf unverändert an. Keine Selbstverständlichkeit, denn seit dem Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion – dem »Unternehmen Barbarossa« – hatte die Zahl der Kriegsabstellungen noch einmal beträchtlich zugenommen, und nur ganz wenige DSC-Spieler waren wie Schön noch vom Kriegsdienst befreit.
1941 mussten sich die Dresdner im Halbfinale erneut mit einer Wiener Mannschaft auseinandersetzen, dieses Mal mit Admira, die sie im Ostragehege vor 28.000 Zuschauern mit 4:2 besiegten. Schön spielte von Verletzungen gehandicapt. Die Wiener hatten statt im gewohnten Weiß im Schalker Königsblau auflaufen müssen, weil bei dieser Partie Szenen für den Film »Das große Spiel« gedreht wurden und das Drehbuch es so erforderte. Der Streifen um Liebes- und Ballspiele wurde ein Kassenschlager.
Im Endspiel traf der DSC Anfang November auf den wahrhaftigen Angstgegner Schalke 04, eine Aussicht, die Helmut Schön nach eigener Erinnerung »bedrückte«. Doch dieses Mal schlug man Szepan, Kuzorra und Co. mit deren eigenen Mitteln: Die Dresdner spielten »schalkerisch«. »Sie ›zauberten‹ und ›kreiselten‹«, begeisterte sich die Berliner »Fußballwoche« für die DSC-Stürmer. Helmut Schöns Leistung wurde unterschiedlich beurteilt. Wie erwähnt, fand ihn F. Richard im »Fußball« »zu weich, zu schwach«, räumte aber ein: »Andere fanden gerade in diesem Spiel seine Aufbau-Arbeit ganz hervorragend.« Damit war auch ein Kollege im eigenen Blatt gemeint, der geschrieben hatte: »Schön war ein Mannschaftsspieler, wie er im Buche steht, ohne jeden egoistischen Ehrgeiz. […] In der zweiten Hälfte opferte er sich buchstäblich in der Abwehr auf.« Auch dem »Kicker« zufolge »imponiert uns an Schöns technisch glitzerndem Spiel, daß er wieder ganz im Wirken für die Mannschaft aufgeht, kein Effekthaschen, kein Einzelspiel, alles für den DSC«.
Bereits in der achten Minute hatte Kugler einen Hofmann-Steilpass zur 1:0-Führung verwandelt. Ihre drückende Überlegenheit konnten die Dresdner zunächst nicht in weitere Tore ummünzen, stattdessen erzielte Kuzorra nach kurzem Dribbling bald nach der Pause den Ausgleich. Doch schon zwei Minuten später holte Carstens mit einer feinen Einzelleistung die Führung zurück; bei diesem 2:1 blieb es.
Den Pokalsieg zu wiederholen, war in diesem – allerdings noch recht jungen – Wettbewerb zuvor noch keinem Verein gelungen. Dazwischen lag für Schön auch noch der Gewinn des seinerzeit recht populären Reichsbundpokals, den Auswahlmannschaften der verschiedenen Gaue austrugen. Sachsen gewann das Endspiel in Chemnitz vor 30.000 Zuschauern mit 2:0 gegen Bayern. Die sächsische Auswahl bestand faktisch aus einer um Ernst Willimowski erweiterten DSC-Mannschaft; der gebürtige Schlesier stürmte in der Mitte, Schön auf halblinks, und der Treffer zum 2:0-Endstand entsprang einer der vielen gelungenen Koproduktionen der beiden.
Zwar zählte der Dresdner SC nun seit Jahren zu den deutschen Topteams, musste aber mit dem Makel leben, im wichtigsten Wettbewerb, der Deutschen Meisterschaft, bisher gescheitert zu sein. Auch in der zurückliegenden Saison 1940/41 hatte man das Endspiel verpasst, weil das Halbfinale gegen den alten Bekannten Rapid Wien 1:2 verloren gegangen war. Dieses Mal hatte man sich auf tatsächlich neutralem Boden in Beuthen getroffen. Schön war schon angeschlagen ins Spiel gegangen, verletzte sich Mitte der ersten Halbzeit nochmals am Knie, musste einige Minuten lang behandelt werden und wäre wohl ausgewechselt worden, wenn es seinerzeit möglich gewesen wäre. Immerhin siegten die Dresdner im Spiel um den dritten Platz gegen den VfL Köln 99.
Trotz der verpassten Meisterschaft und noch vor der Pokalverteidigung blickten die Dresdner im Sommer 1941 auf die erfolgreichste Saison ihrer Geschichte zurück. Insgesamt hatten sie 43 Spiele ausgetragen, davon 40 gewonnen und nur eines – das gegen Rapid – verloren. Neun Spieler hatten an mindestens 30 Partien mitgewirkt, was angesichts der Kriegsumstände beachtlich war. Erfolgreichster Torschütze war Fritz Machate, der 1940/41 in 35 Spielen 56 Tore erzielt hatte. Helmut Schön hatte in 27 Begegnungen mitgespielt und 22-mal getroffen. »Ihm sieht man die Strapazen dieses für den DSC so erfolgreichen Jahres vielleicht am meisten an«, bemerkte der »Fußball«.
Fritz Machates Einsatzzahl ist umso bemerkenswerter, als er zu jenen Spielern aus der »friedensmäßigen Besetzung« (»Fußball«) gehörte, die im Sommer 1941 an der Front standen. Allerdings war er der einzige der sieben aufgeführten »Frontsoldaten«, der regelmäßig zum Einsatz kam. Hans König beispielsweise lief nur noch ganz selten auf, und der zur Marine versetzte Hans Kreische lag verletzt im Lazarett.
Solche Zahlen sind allerdings schwer zu bewerten, weil die Angaben unterschiedlich ausfielen und nicht immer klar ist, ob mit »Frontsoldaten« alle zum Kriegsdienst eingezogenen Spieler gemeint waren oder nur die tatsächlich an der Front stehenden. Bereits im März 1940 hatte der Verein selbst in seinem Rundbrief »an alle feldgrauen DSCer!« berichtet, zehn Spieler des Ligakaders seien »zur Wehrmacht einberufen« worden und »Mannschaftsführer Georg Köhler steht ebenfalls an der Front«. Ein knappes Jahr später, im Januar 1941, meldete der »Kicker«, nahezu alle Spieler der ersten DSC-Mannschaft trügen die Uniform. Vom Spiel einer »Dresdner Wehrmachtself« berichtete er: »Es war beinahe die richtige DSC.-Elf, nur Helmut Schön fehlte, er war der einzige Zivilist in der Mannschaft.« Letzteres galt aber auch für Richard Hofmann, mit seinem vorgerückten Alter und der fehlenden Ohrmuschel. Als Einkäufer einer Maschinenfabrik, deren Besitzer aktives DSC-Mitglied war, genoss er die rettende Einstufung als »unabkömmlich«.
Als sich Anfang Januar 1942 der frisch gekürte Pokalsieger mit dem amtierenden Deutschen Meister maß – Dresdner SC gegen Rapid Wien, eine Art früher Supercup –, fehlten laut »Fußball« von 22 Stammspielern beider Mannschaften 14, also mehr als die Hälfte. Für die DSC-Elf muss man diese Aussage relativieren. Hier konnten die gesamte Verteidigung sowie die Läuferreihe in Bestbesetzung antreten, lediglich im fünfköpfigen Sturm mussten vier Spieler ersetzt werden. Dazu zählten allerdings auch Hofmann und Schön, die wie erwähnt keine Soldaten waren; Hofmann war gesperrt, Schön verletzt. Letztendlich reduzierte sich bei diesem Spiel der kriegsbedingte Ausfall auf lediglich zwei DSC-Akteure.
Insofern ist die folgende Aussage des »Fußball« lediglich eingeschränkt korrekt: Rapid und dem DSC sei »nur widerfahren, was Hunderten von deutschen Fußballvereinen vor ihnen schon passiert war, und wovon künftig wohl keine deutsche Sportgemeinschaft verschont bleiben wird. Die Forderungen der Front gehen allem anderen voran, ihnen hat auch unser Sport seinen Tribut zu zollen.« Die nachfolgende Passage demonstriert den propagandistischen Zweck dieser Aussage sowie des Spiels selbst: »Nun erst recht! Rapid und der DSC. haben soeben ein leuchtendes Beispiel gegeben: Sie haben ihre beiden Begegnungen nicht etwa abgesagt, sondern auch unter den erschwerenden Bedingungen durchgeführt.«
Schön selber schrieb in seinen Erinnerungen von 1970 über die Situation der Mannschaft in den späteren Kriegsjahren, es habe auch bei wichtigen Spielen manchmal Aufstellungsschwierigkeiten gegeben. »Zum Glück hatten wir es aber im Lauf der Zeit verstanden, zu den militärischen Dienststellen und den unmittelbaren Vorgesetzten unserer Spieler einen guten Kontakt herzustellen, so daß es manchmal gelang, den einen oder anderen wenigstens kurzfristig beurlauben zu lassen. Wir sind damals darob beneidet worden, und es gab viele ›Querschüsse‹. So griff man besonders den Freund unserer Mannschaft, den Dresdner Stadtkommandanten General Mehnert an und warf ihm vor, daß er uns zu viele Vorteile gewährt hätte. Das stimmte aber nicht.«
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