Dann würden wir es eben anders machen, gab er nicht nach. Mir würden schon die richtigen Wege einfallen, da sei er schon tatsächlich sehr optimistisch.
Ich ließ mich nach längerer, von beiden Seiten nicht über Gebühr ernst genommener Diskussion schließlich auf den Kompromiss ein, uns zeitnah zusammenzusetzen, um zu überlegen, ob wir ein paar nicht ausgetretene Wege finden könnten, um in dieses Spiel mit hohem Einsatz einzusteigen.
Mit Sibil?
Das war ohne Frage seine Bedingung, wenn auch seine einzige.
Mit Sibil.
Fabian hielt sein Rotweinglas mit zwei Fingern und sagte:
Wir schütten das Gewesene in den Orkus, wenden das beschriebene Blatt um, beginnen ein weißes Blatt neu zu beschreiben. Bist du einverstanden, Freund Martin?
Fabian war der geborene Menschenfischer, hatte es einfach im Blut, mit seiner magischen Anziehung den anderen zu sich zu holen und festzubinden.
Eine letzte Prüfung setzte ich allerdings vor den neuen Bund.
Stichwort Tante Frieda, Fabian?
Er beugte sich mir entgegen, flüsterte, erklärte mir, wie der alten Frau zu helfen sei, wie wir ihr helfen würden. Und er half unserer Tante Frieda. Er hatte wohl gespürt, dass er das machen musste, wenn er mich wirklich im Boot haben wollte.
Natürlich hatte sich einiges zwischen uns verändert. Aber nach zwei, drei Treffen mit Bier bei mir und Rotwein bei Fabian, erschien mir alles wieder so wie damals, wir waren wieder die Brüder, die wir einmal waren.
Fabian hatte gewonnen, mich in seinem Netz gefangen. So war das. Ein neuer, ein abenteuerlicher Weg sollte für mich seinen Anfang nehmen.
Bis hin zum bitteren Ende.
Am frühen Sonntagvormittag spazierten Fabian und ich am Fluss entlang. Er war ohne Sibil gekommen, was mich erstaunte, wusste ich doch inzwischen, dass Fabian ohne Sibil nichts machte, sie lebten eine Symbiose. Wusste sie vielleicht nichts von unserer Begegnung? Glaubte er erst einmal abklären zu müssen, ob wir tatsächlich wieder zueinanderfinden, auf einem Gleis in die gleiche Richtung fahren konnten? Darum war mir zunächst nicht ganz wohl. Spielte er ein Spiel? Konnte ich mich doch zu gut erinnern, dass ihn eine Inszenierung, und sei sie noch so unbedeutend, immer verlockte? Hatten wir noch die gleiche Wellenlänge wie früher? Mochte er noch meine schwarzen Ideen, die rücksichtslos auf das angestrebte Ziel losgingen? Ich ermahnte mich zur Vorsicht.
Auf dem Dammweg waren nur vereinzelt Jogger unterwegs, für Spaziergänger mit ihren Hunden war es noch zu zeitig. Silberne Birken, Mohn- und Kornblumen, eine farbige Sonne, wie von van Gogh gemalt, begleiteten uns. So konnten wir ungestört reden, Gedanken austauschen, in der Diskussion sogar mal laut werden, niemand war in der Nähe, keine Ohren waren irgendwo neugierig gespitzt.
Fabian machte den Anfang, zeichnete mir noch einmal in groben Zügen seine Vorstellungen, wie er sich seinen Wahlkampf für den OB-Sessel dachte, was er den Bürgern anbieten, ihnen versprechen konnte, ohne zu viel zu wagen, wie er auf seine Art den Gaukler geben wollte.
Schon bei seinen vielen Worten, die immer malerischer, also unwirklicher wurden, merkte ich, dass da etwas fehlte. Fehlte da mein Anteil, meine klare Deutlichkeit, die kein verschwommenes Wischiwaschi duldet? Der Mix zwischen Fantasie und Realität hatte uns in der Schulzeit nicht im Stich gelassen, hatte immer funktioniert.
Ich hatte die Stunden am Vorabend nicht in Kontemplation verbummelt, faul die Füße hochgelegt, sondern fleißig über Grundzüge eines Konzepts nachgedacht, in mich hineingehört, Ideen verknüpft. Vorstellungen puzzelten sich bald zu bunten Collagen. Sogar ein kurzes Memo hatte ich verfasst; es steckte zusammengefaltet in meiner Hosentasche.
Nachdem er mit seinem Vortrag zu Ende war, redete ich, bis wir den Kaskaden näher kamen, trat dabei nicht so sehr als ratgebender Freund, sondern vielmehr als selbstsicherer Dozent auf. Fabian hörte tatsächlich geduldig und aufmerksam zu.
Zurück am Parkplatz, er war mit dem Wagen da, ich mit dem Rad, stand unser vorläufiger Plan auf recht stabilen Füßen. Aber es war eben nur ein Plan, mehr noch nicht. Fabian versprach, mit Sibil zu reden, denke jedoch, dass sie zustimme, das Konzept sei einfach zu verlockend, zu gut, zudem für unsere Stadt so völlig neu, nehme andere, nicht ausgetretene Wege. Er umarmte mich, stieg in seinen dicken Wagen und rauschte davon.
In meinen vier Wänden, zur Musik von Elvis, beschäftigte ich mich mit dem Ausarbeiten, den wichtigen Feinheiten, unseres Wahlfeldzuges. Ich widerlegte dabei sogar die alte Regel, was du dir in der Nacht ausdenkst, tauge im Morgenlicht nicht mehr viel. Ich folgte der im Halbschlaf geborenen Idee, die Geschichte unserer Stadt näher zu studieren, pickte aus ihr die Rosinen heraus, die mir ins gedachte Konzept passten, ließ mich selbst von der Lyrik des bekannten Dichters unserer Stadt inspirieren. Aus meinem Datenspeicher im Kopf holte ich Schnipsel von damaligem Wissen, das jetzt gut zu gebrauchen war, schrieb sie auf. Jedenfalls: Die gelben Notizzettel an der Wand neben meinem Tisch wurden immer mehr, waren erst einmal ein Chaos, mussten sich erst zu einem runden Ganzen zusammenfügen.
Wir machten es, wie wir es zu Schulzeiten erfolgreich praktizierten, Fabian im Spot, ich als Nebelfigur nahebei, genauso wie von Anbeginn an. Wie früher auch war ich zufrieden mit meinem Platz im Hintergrund, wollte die Figur im Halblicht sein, am besten kaum oder gar nicht beachtet. Von dort waren die Möglichkeiten des Einflusses am wirkungsvollsten. Von diesem Platz konnte ich beobachten und sehen, wo die schwachen Stellen der anderen waren. Von dort aus sammelte ich die Munition, mit der wir in den Krieg zogen. Um das durchzuziehen, brauchte es einen blendenden Frontmann, und der war Fabian allemal.
Einmal im Monat, am zweiten Sonntag, wurde traditionell im feinen gelben Haus Musik gemacht, ein unbedingter Termin nicht nur für mich. Ich hatte nichts einzuwenden, war es doch eine entspannende Auszeit im hektischen Trubel. Dieser Event, wie ich die Stunde ironisch bei mir nannte, schenkte mir als Zugabe den anregenden optischen Genuss der Flöte spielenden Monika, daneben Sibil mit Geige, Fabian am Klavier, die Baronin am Cello, der Baron spielte die Gitarre. Das Publikum, der einzige Zuhörer und Zuschauer, war ich.
An einem dieser frühen Abende, nach der Musik, wollten Fabian und ich gerade zu einem Wahlkampfauftritt aufbrechen. Ich wartete im Flur, da trat Vater von Fernau, der Baron, aus dem Salon, blieb bei mir stehen, lächelte jovial, warf einen schnellen Blick nach oben, von wo Fabian jeden Moment kommen musste.
Ihm gefalle, was wir so treiben würden, sagte er, und ich hörte regelrecht das Schmunzeln heraus. Vor allem wenn wir das bunte Aquarium von Fabians Freunden als Helfer einsetzten, hätte das für einen wissenden Beobachter sogar etwas Witziges. Er wünsche uns viel Erfolg, zweifle aber daran, dass Fabian der Richtige für unsere Stadt sei. Wie er seinen Sohn einschätze, strebe er nach Höherem, da sei er sicher, Oberbürgermeister, was wäre das schon, das Endziel jedenfalls nicht.
Ich nahm seine Worte als einen Scherz, als eine elitäre, fast schon anmaßende Meinung des Barons. Ansonsten hätte ich mich fragen müssen, weshalb er so zu mir sprach. Für mich bedeutete es eine unwichtige Marginalie. Seine Worte nicht als das zu nehmen, nämlich als die Wahrheit, sollte sich als ein fataler Fehler erweisen. Schon damals hätte ich wissen können, wohin der Hase lief. Mir kamen aber keine Zweifel, vor mir lag ein Ziel, das mich lockte.
Meine Vorstellungen gingen in eine Richtung, zu der die Worte des Barons nicht passten. Ich hatte die Moral als ein wichtiges Thema auserkoren, nicht aus Prinzip, was sogar mich zum Lachen gereizt hätte, sondern darum, weil der Gegenkandidat einige dunkle Flecke auf der behaupteten weißen Weste hatte. Wie für Cato Karthago, so war die Moral das Mantra für Fabian als ein wichtiger Baustein in seinen Reden. Ich wusste nur zu gut, dass steter Tropfen den Stein höhlt, und das Wissen darum erweist sich im Verlauf einer Kampagne als ziemlich wirksam.
Читать дальше