Walter Kowarik
Mein Freund hat ein Boot in Venedig
Eine Erzählung mit Illustrationen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Walter Kowarik Mein Freund hat ein Boot in Venedig Eine Erzählung mit Illustrationen Dieses ebook wurde erstellt bei
1 Ankunft
Was ist Zeit?
2 „Unsere“ Wohnung
Hirschkäfer
Orientierung
Die Hühnerleberwurst
Die tote Katze
3 Das Boot
Die Brille
Das Brett
Wasser im Boot
Der neue Motor
Ein Unglück kommt selten allein
4 Eine faszinierende Stadt
Markusplatz
San Marco
Dogenpalast
Rialto
Oper
Das Los der Künstler
Ein Traum
Politik
Geschichte
Religion
Wie wir auf die Katze kamen
Unsere anderen Katzen
Tiere und Menschen
Öffentlicher Verkehr
Das Ende eines Paradieses
36.999
Esoterik
Glück
Verlorene Liebe
San Michele
Lido
Schi fahren
Murano
Verhandlung
Englischstunde
5 Weitere Ereignisse: Das Backrohr
Tipps fürs Restaurant
Klopapier
Aqua alta
Es könnte noch schlimmer sein
Hausbau
Badezimmer
Die Sicherung
Dick und dünn
Liftspiele
Langeweile
6 Abreise
Impressum neobooks
Venedig – lange hatte ich es nicht mehr gesehen. Als Kind kam ich einmal mit meinen Eltern und Großeltern auf dem Schiff von Mestre für einen Tag hierher, wir liefen begeistert durch die Stadt, sogen begierig ihre Atmosphäre, ihre Bilder, Gerüche und Klänge auf, gingen über unzählige Brücken, besichtigten tolle Paläste, sahen schwarze Katzen in den abendlichen Hintergassen. Viele bleibende Eindrücke.
Wie lange ist das her, denke ich, als ich mich nun mit meiner Frau Hannah – diesmal im Auto – der Stadt nähere.
Nach etlichen Stunden Fahrt auf gut ausgebauten Autobahnen und über den Damm, der Venedig mit dem Festland verbindet, finden wir das uns von unseren Freunden beschriebene öffentliche Parkhaus auf der Piazzale Roma und werden am Einfahrtschranken sofort per Lautsprecher auf Deutsch aufgefordert, einen Platz auf der 10. Etage aufzusuchen. Davor hatte man uns bereits gewarnt, da dieses 10. Stockwerk das Dach darstellt, und somit den ganzen Tag über die Sonne auf das Auto brennt.
Wir versuchen also, wie uns empfohlen, weiter unten unterzukommen, aber auf der uns angeratenen 4. Ebene gibt es eine Absperrkette mit der Beschriftung „Nur reservierte Plätze“, und dies wiederholt sich auch in den darüber liegenden Stockwerken. Im 8. Stock gibt es endlich eine Möglichkeit einzufahren – doch hier sitzt ein Bewacher, der uns gleich wieder weiter schickt. Im 9. wieder nur reservierte Plätze – so landen wir nun doch im 10. Stock und sind nach längerem Suchen sogar froh, überhaupt noch einen Platz gefunden zu haben.
Wir trösten uns auch damit, dass es im 10. Stock möglich ist, das Auto abzusperren, was sonst nicht erlaubt ist. Zweck ist wahrscheinlich, das Auto durch das Parkhauspersonal hin- und herschieben zu können, Ergebnis manchmal auch (wie uns erzählt wurde), dass man am Ende ohne Benzin dasteht, wenn der Tank per Schlauch entleert wurde.
Allgemein wurde uns geraten, bei einem abgestellten Auto die Fenster nicht zu schließen, damit erspare man sich bei der Rückkehr, sie eingeschlagen vorzufinden. „Italiener schließen nie ihre Fenster“, hieß es. Am sichersten sei es weiters, ein Säckchen mit Lebensmitteln oder Klopapier sichtbar liegen zu lassen. Dann würde vermutet, dass der Besitzer bald zurückkehrt.
Apropos Klopapier – aber davon später.
Das Parkhaus ist praktisch voll – ein Bombengeschäft, wenn man bedenkt, dass es pro Tag etwa soviel kostet, wie 13 Straßenbahnfahrscheine in Wien. Trotzdem ist es noch die günstigste Möglichkeit hier zu parken, in den umliegenden Parkhäusern kostet es noch mehr. Prinzipiell kann man das Auto mittels Fähre auch auf den Lido bringen, ich habe aber bisher nicht wirklich ergründen können, ob bzw. wo man auf dem Lido überhaupt länger als wenige Stunden parken darf.
Dieses Parkhaus könnte viele Geschichten erzählen. Verwandte berichteten zum Beispiel vor kurzem, sie seien am Wochenende in Venedig gewesen. „Wie seid ihr gefahren? War es schön? Was habt ihr alles gesehen?“
„Nun, wir waren mit dem Auto unterwegs. Da gibt es so ein Parkhaus, wir sind bis hinauf in den 10. Stock gefahren, weil nirgends Platz war. Oben war aber auch nichts frei.“
„Und, wo habt ihr dann geparkt?“
„Gar nicht. Wir haben umgedreht und sind wieder nach Hause gefahren.“
Nun, wir jedenfalls haben doch noch einen Parkplatz gefunden, und so geht es jetzt von der Piazzale Roma mit dem Vaporetto Richtung Zentrum mitten ins Herz von Venedig. Hier fährt unter anderen die Linie 1, die den Canal Grande entlang zockelt, einen prachtvollen Blick auf all die Palacci bietend, die diese Haupt(wasser)straße säumen.
Das Vaporetto ist eine Art Wasser-Autobus, viele Linien durchmessen Venedig in alle Richtungen und sorgen für rasche Verbindungen. Rasch im Sinne dieser Stadt, denn als Erstes, wenn man mit dem 1er losfährt, erkennt man, dass die Uhren hier anders gehen. Es ist wunderschön, den Canal Grande entlang zu fahren, im Zickzack immer wieder anzulegen, all die prachtvollen Sehenswürdigkeiten zu betrachten, die Atmosphäre dieser Stadt einzuatmen – doch man fürchtet bald, nicht mehr lebend am Ziel anzukommen. Das Vaporetto benötigt fast eine Stunde für die gar nicht lange Strecke bis zu San Marco. Ohne Gepäck wäre man zu Fuß wohl nicht langsamer.
Doch hier läuft das ganze Leben in diesem Tempo, getriggert davon, dass alles über das Wasser transportiert werden muss.
Von Station zu Station im Zickzack weiter gleitend kommt man rasch ins Grübeln. Nicht, dass man nicht im Vorüberfahren die großartigen Palacci bewundern würde, aber durch den allgegenwärtigen Verfall schweifen die Gedanken immer wieder ab zur Vergänglichkeit, zu der Einsicht, dass nichts, so schön es auch sein mag, Bestand hat.
Venedig wird laufend erneuert und wirkt trotzdem immer verfallen. So, wie man täglich in einen neuen Fluss steigt, der doch derselbe bleibt, ändern die Renovierungen eigentlich nichts an der fast unwirklichen Kulisse, die einerseits voll von Ästhetik und Harmonie die Seele erfreut und andererseits doch auch einen morbiden Zug beinhaltet. Aber das ist ja die wahre Kunst, durch Veränderungen das Schöne nicht zu zerstören – eine Kunst, die in vielen Gegenden leider nicht (mehr) beherrscht wird.
Sehen Sie sich um in Ihrer Stadt – gibt es dort ein spannendes Zusammenspiel von Alt und Neu? Hat man Kulturbauten errichtet und erhalten, oder sind nur Wellblech-, Platten- und Garagensilos übrig geblieben? In Venedig ist es anders als in vielen anderen Städten, und falls Venedig versinkt, dann wirklich prachtvoll und mit Stil...
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