Unausgeschlafen und mürrisch vom unsanften Wecken erweisen sich Dusche und Bad ebenfalls nicht als ganz so komfortabel wie gedacht – ich werde noch darauf zurück kommen.
Trotzdem, die Wohnung ist super, gut gelegen, recht nahe an San Marco und an Arsenale, nicht direkt im touristischen Zentrum und doch in bester Ausgangsposition für die Stadt.
Als weiteren Komfort bietet ein Digitalklaviers die Möglichkeit künstlerischer Betätigung, und der Hausherr, der Johann Sebastian Bach zu seinem Lieblingskomponisten erwählt hat, spielt vortrefflich eine Fuge nach der anderen. Mein Können als Amateur, der sich gerne in der Art der Bar-Pianospieler an vielerlei Melodien erfreut, ist zwar bescheidener, dennoch gefällt mir mein Spiel und es macht mir Spaß. Auf Wunsch würde ich durchaus auch – für andere unhörbar – mit Kopfhörern spielen, diese Bitte wird jedoch nicht geäußert. Vielleicht fürchten meine Zuhörer, dass es noch nerviger sei, statt der Melodien nur mehr das Klappern meiner Fingernägel auf den Tasten zu hören.
Außerdem gibt es noch eine Yogamatte, die als Unterlage zur Übung von Körper und Geist dient. Hier betreibt Miriam ihr Yoga, sie macht am Morgen ihre Asanas und erzählt jedem, wie angenehm und gesund das sei.
Dass auch ich einiges an Yoga beherrschen würde, ruft vorerst nur ungläubige Bemerkungen von Miriam hervor. Erst als ich mich im Lotossitz niederlasse und anschließend einen perfekten Kopfstand ausführe, glaubt man mir meine Befähigung zu Meditation und Asanas. Es ist hier wirklich auch höchst angebracht, die Meditationskünste zu pflegen, um die innere Ruhe zu stärken. Denn so kann man vielleicht lernen, die vielen Stechmücken zu vergessen, die nach unserem Blut lechzten.

Wir haben zwar Gelsenstecker, die ihre Angriffslust etwas reduzieren, aber bei offenen Fenstern – und wenn man die Fenster geschlossen hält, kommt man wirklich um – gibt es immer wieder liebe Tiere, die es trotzdem bis zur nackten Haut schaffen. Man gewöhnt sich nicht daran, und selbst die Begeisterung über die außergewöhnlichen Leistungen der Insekten – wie sie ihre Beute riechen und ansteuern, wie sie fliegen und wie rasch sie ausweichen können, wenn man sie zu ermorden versucht – macht das Jucken nicht erträglicher.
Die vielen Insekten erinnern mich an ein unvergessliches Erlebnis zu Hause:
In unserem Garten gibt es natürlich auch Stechmücken, Bienen, Wespen, ja sogar wunderschöne Libellen, die unsere Katze bisweilen zu jagen versucht. Weiters brummen Rosenkäfer immer wieder durch die Luft, und an Hummeln ist ebenso kein Mangel. Aber etwas ganz Besonderes konnte ich an einem lauen Sommerabend beobachten: Hirschkäfer.
Diese Tiere, mehrere kleinere Weibchen von vielleicht 5 cm Größe und größere Männchen von 6-10 cm Größe, mit beachtlichen Zangen versehen, krabbelten in einem Winkel des Gartens nahe unserer Terrasse unter einem Rosenbusch umher, kletterten teilweise auch langsam an diesem Strauch empor – und flogen. Das hatte ich noch nie gesehen! Die Dämmerung brach herein, da erhoben sich diese Riesenkäfer, denen man kaum zutrauen würde, sich anders als sehr behäbig kriechend fortzubewegen, in die Luft. Mit leisem Gesumm – kaum lauter, als ein Rosenkäfer – zogen sie hoch hinauf und weit dahin, nicht plump, sondern elegant und scheinbar mühelos. Die großen Käfer stehen dabei fast senkrecht in der Luft, der schwere Hinterleib hängt sozusagen herab, während ihre Flügel schlagen und die Tiere dabei auf schöne Geschwindigkeiten beschleunigen. Auch haben sie offenbar keinesfalls die Not, bald wieder Boden unter die Füße zu bekommen, sie fliegen souverän und anhaltend – unglaublich.
Dass Nachbarn, auf die Käfer aufmerksam gemacht, nur Abscheu zeigten, hat mich sehr verblüfft. Ich als Techniker kann diese Tiere nur bewundern und bin fasziniert von der Fähigkeit scheinbar so plumper Tiere, sich in die Luft erheben zu können und einen Rundflug zu absolvieren – Menschen gelingt das bekanntlich nur mit komplizierten Maschinen und viel Treibstoff.
Was diese Käfer unter unseren Rosenbusch verschlagen hat, ist mir bis heute unbegreiflich. Laut Lexikon ernähren sie sich von Eichensaft, der hier allerdings weit und breit nicht zur Verfügung steht.
Leider ist es mir bisher nur an jeweils einem Tag in zwei aufeinanderfolgenden Jahren geglückt, dieses Schauspiel zu beobachten – seither aber nicht mehr wieder. Es mag am Wetter gelegen sein oder daran, dass ich natürlich nicht täglich daheim sein kann, um Tiere zu beobachten. Vielleicht ist es der Hochzeitsflug der Käfer, vielleicht fliegen sie tatsächlich nur einmal pro Jahr, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es ein beeindruckendes Erlebnis war, und dass ich hoffe, irgendwann wieder einmal meine Frau rufen zu können: „Komm schnell – die Hirschkäfer fliegen wieder!“
Wir begeben uns auf unsere ersten Erkundigungen und suchen uns Markierungspunkte, um in der Stadt zu navigieren.
Venedig, das sind über 100 Inseln im Meer, und wenn auch der Hauptkern von Venedig nicht groß ist, so ist er doch zu Beginn durchaus schwierig zu überblicken. Die vielen kleinsten Gässchen, die Menge an Kanälen, wo teilweise Gehsteige an den Häuserfronten entlang führen, teilweise aber die Fassaden direkt ans Wasser grenzen, und die über 300 Brücken verwirren Nicht-Einheimische oft beträchtlich.
Trotzdem kann man sich in weiten Bereichen einfach orientieren und zurecht finden, denn einige wichtige Punkte geben die notwendigen Orientierungshilfen.
Ein solcher Orientierungspunkt ist der Piazzale Roma (P.le Roma oder P. Roma), der Busbahnhof. Er liegt wie der Bahnhof (Ferrovia) am Ende des Dammes, der die Inselstadt mit dem Festland, mit der Stadt Mestre, verbindet. Hier kommt man an, wenn man zur Anreise den Zug wählt, aber auch, wenn man mit dem Auto kommt oder mit dem Bus vom Flughafen.
Der Canal Grande, der sich S-förmig durch die Stadt schlängelt, verbindet P. Roma mit San Marco.
Weitere Fixpunkte sind die Brücken über den Canal Grande: Die Brücke Ponte degli Scalzi beim Hauptbahnhof S. Lucia, Rialto mitten im Zentrum der Stadt und Academia, kurz vor dem südlichen Ende des Canal Grande.
Man wird im Zentrum, wenn man auf den Touristen-Wegen unterwegs ist, an Häuserecken immer wieder Pfeile mit der Aufschrift „Rialto“ bzw. „San Marco“ finden – dann weiß man, dass die Richtung stimmt.
Die Hausnummerierung wird einem wie erwähnt Rätsel aufgeben, da sie keineswegs, wie man es von den meisten anderen Städten gewohnt ist, systematisch erscheint. Ein Suchen nach einer Adresse bleibt so eine meist unlösbare Aufgabe.
Aber die Wohnung unserer Freunde hatten wir ja durch ihre genaue Wegbeschreibung bereits gefunden – und damit gebe ich Ihnen auch gleich eine Empfehlung: Lassen Sie sich genau beschreiben, bei welcher Haltestelle Sie aussteigen und welche Wege Sie nehmen müssen. Sonst irren Sie womöglich zwischen Rialto und San Marco hin und her, bis ich Sie zufällig bei einem meiner nächsten Venedig-Aufenthalte dort treffe.
Bei der Rückkehr sitzt vor dem Haus eine rote Katze, die sich einen kleinen Fisch aus dem Kanal geangelt hat und diesen nun genüsslich verzehrt.
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