Der fünfte Teil des Bandes schließlich ist besonders kleinen, nicht zerlegbaren, nicht sententialen sprachlichen Einheiten gewidmet, die als ‚Partikeln‘ klassischerweise eine Sonderstellung in der Sprachbeschreibung einnehmen. An verschiedenen Beispielen aus dem Deutschen und dem Französischen werden solche kurzen sprachlichen Formen thematisiert und ihre Funktionsweise und Rolle im Diskurs genau analysiert. Die Einzelanalysen zeigen, dass bei diesem bereits intensiv bearbeiteten und diskutierten Kapitel der Grammatik neue begriffliche Klärungen bzw. Diskussionen immer wieder fruchtbar sind: Wie können die einzelnen Kriterien bzw. Definitionen angesichts von Korpusdaten bewertet werden? Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen den für solche sprachlichen Einheiten typischen Merkmalen der Kürze und der Formelhaftigkeit bzw. Pragmatikalisierung beschreiben? Sind konstruktionelle oder kompositionelle Analysen vorteilhafter? Inwiefern hat man es mit ‚regelhaften Konstrukten‘ zu tun? Darüber hinaus zeigen die Analysen, dass mit der Kürze dieser sprachlichen Formen eine besondere Beziehung zum Vorgänger- und Nachfolgediskurs einhergeht, dessen Rezeption durch solche Einheiten gesteuert wird.
Jan Georg Schneiderdiskutiert die Begriffe ‚Diskursmarker‘ und ‚Operator‘, welche in der Forschungsliteratur bisher als konkurrierende Termini benutzt werden. Er schlägt vor, mittels beider Begriffe eine Differenzierung vorzunehmen. Der Begriff ‚Operator-Skopus-Strukturʻ zielt auf eine allgemeinere Ebene ab und weist eine größere Extension auf als der Begriff ‚Diskursmarker-Konstruktionʻ, der sich relativ eng definieren lässt: Die Operator-Skopus-Struktur ist ein allgemeines Verfahren der Gesprächsorganisation, die Diskursmarker-Konstruktion eine auch formseitig beschreibbare Konstruktion. Die Diskussion wird anhand von Daten aus mündlichen Korpora geführt und der Vorschlag der begrifflichen Differenzierung insbesondere am Beispiel der Gesprächspartikel gell erprobt.
Jean-François Marillieranalysiert „fragmentarische Verwendungen“ der Koordinationen mit und , oder und sondern , solche Verwendungen also, bei denen das erste oder zweite Konjunkt oder beide fehlen („fragmentarische Koordinationen“ bzw. „nackte Konjunktoren“). Er zeigt die Systematik solcher Verwendungen, diskutiert die These, dass die Koordinatoren in solchen Verwendungen bedeutungsleere ‚Diskursmarker‘ seien und plädiert entgegen dieser These für eine Interpretation als ‚echte Koordinatoren‘, die Propositionen verknüpfen. Die pragmatischen Effekte solcher Verwendungen ergeben sich aus dem Zusammenspiel der Stellung des Sprechers als erster oder zweiter Sprecher, der Struktur der koordinativen Verknüpfung, den Eigenschaften der Konjunkte, der Bewertung der in der fragmentarischen Struktur involvierten Sachverhalte und aus der Semantik der Konjunktionen.
Liubov Patrukhinauntersucht in Gesprächen das Syntagma ja doch am Anfang eines Turns und analysiert entgegen der bisherigen kompositionellen Analyse von Métrich et al. diese Partikelkombination als „Konstruktion“ im Sinne eines „Form-Bedeutungs-Paars“. Anhand von Korpusdaten zeigt sie, dass die Konstruktion zwei phonetische Varianten hat: ja DOCH und JA (.) DOCH und dass ihre Funktion darin besteht, zu signalisieren, dass auf eine dispräferierte Frage oder Aussage eingegangen wird.
Heike Baldauf-Quilliatrebehandelt das Konstrukt [ ah + Nominalphrase] in französischen Alltagsinteraktionen. Sie weist nach, dass die syntaktisch und prosodisch komplette Einheit eine eigenständige Handlung ausführt und als dichtes, knappes, verbloses oder non-sententiales Format bezeichnet werden kann. Als erster Schritt eines ersten Sprechers ( First Pair Part ) funktioniert [ ah + Nominalphrase] als Notifikation ( noticing nach Goodwin / Goodwin): Der Turn zeigt auf ein Element aus dem außersprachlichen Umfeld der Teilnehmer. Als Second Pair Part ist das Format eine affektiv gefärbte Antworthandlung auf eine Information oder eine Ankündigung, die daraufhin von den Teilnehmern gemeinsam weiterbearbeitet wird.
Das Projekt – die Tagung und die Publikation – wurde von der Université Sorbonne Nouvelle, insbesondere dem CEREG (Centre d’Etudes et de Recherches sur l’Espace Germanophone EA 4223), und vom DAAD unterstützt, bei denen wir uns sehr bedanken. Unser Dank gilt ebenfalls allen TeilnehmerInnen an der Tagung, den AutorInnen dieses Bandes, sowie natürlich dem wissenschaftlichen Beirat der Tagung. Und ganz herzlich danken wir Irmtraud Behr, der wir dieses Buch widmen, für die langjährige konstruktive und gleichzeitig freundschaftlich-kollegiale Zusammenarbeit.
Anne-Laure Daux-Combaudon
Anne Larrory-Wunder
Baldauf-Quilliatre, Heike, 2016. „Knappe Bewertungen im empraktischen Sprechen. Vom Nutzen und Nachteil der „Ellipse“ für die Analyse“. In: Marillier / Vargas (Hrsg.), 201–216.
Balnat, Vincent 2013. „Kurzvokal, Kurzwort, Kurzsatz, Kurztexte: Kürze in der Sprachbeschreibung des Deutschen“. In: Zeitschrift für Literatur und Linguistik (LiLi) 43 / 170, 82–94.
Bär, Jochen A. / Roelcke, Thorsten / Steinhauer, Anja (Hrsg.), 2007. Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte . (= Linguistik – Impulse & Tendenzen, 27). Berlin / New York: de Gruyter.
Behr, Irmtraud / Lefeuvre, Florence (Hrsg.), 2019. Le genre bref. Des contraintes grammaticales, lexicales et énonciatives à une exploitation ludique et esthétique . (= Sprachwissenschaft). Berlin: Frank & Timme.
Behr, Irmtraud / Quintin, Hervé, 1996. Verblose Sätze im Deutschen. Zur syntaktischen und semantischen Einbindung verbloser Konstruktionen in Textstrukturen . (= Eurogermanistik, 4). Tübingen: Stauffenburg.
Gardt, Andreas, 2007. „Kürze in Rhetorik und Stilistik“. In: Bär / Roelcke / Steinhauer (Hrsg.), 70–88.
Hennig, Mathilde, 2013. Die Ellipse. Neue Perspektiven auf ein altes Phänomen . Berlin / New York: de Gruyter.
Marillier, Jean-François / Vargas, Elodie (Hrsg.), 2016. Fragmentarische Äußerungen . (= Eurogermanistik, 32). Tübingen: Stauffenburg.
Plewnia, Albrecht, 2003. Sätze, denen nichts fehlt. Eine dependenzgrammatische Untersuchung elliptischer Konstruktionen . (= Germanistische Linguistik Monographien, 11). Hildesheim: Olms.
Spitzl-Dupic, Friederike (Hrsg.), 2018. Parenthetische Einschübe . (= Eurogermanistik, 34). Tübingen: Stauffenburg.
„Kurze Formen“ in der Sprachtheorie / Les « formes brèves » dans la théorie linguistique
‚Kürze‘ und kurze Formen in der Geschichte der deutschen Grammatikographie
Friederike Spitzl-Dupic
Brevitas (Kürze) ist ein Begriff, der bekanntlich aus der antiken Rhetorik stammt und seitdem in Rhetoriken, Stilistiken, aber auch Grammatiken und Poetiken regelmäßig einerseits als Analyseinstrument und andrerseits als Ideal und Maßstab für den sprachlichen Ausdruck vorkommt. Kürze gilt als Mittel der eleganten und überzeugenden Rede, wobei die meist diskutierte „kurze“ Form in der Geschichte der Sprachtheorie die Ellipse ist, deren explikative Kraft besonders in der Grammatikographie zur Erklärung von regelabweichenden Strukturen eingesetzt wird oder auch zu deren Kritik.
In der uns hier interessierenden deutschen Grammatikographie, in der die Ellipse als Analysebegriff seit den Anfängen präsent ist (dazu Lecointre 1990), dient sie ebenfalls einerseits zur Erklärung von Ausdrücken, die als nicht regelkonform angesehen werden, andrerseits wird vor ihrem Gebrauch gewarnt, da sie zum Verlust von Deutlichkeit und Bestimmtheit in der Rede führen könne. Es handelt es sich dabei um zentrale Topoi in der Beurteilung von Sprache, Sprachen und Sprechen. Diese Topoi schreiben sich in die ab dem 17. Jh. virulente sprachkritische und sprachpolitische Diskussion ein, wo in deutschsprachigen Gebieten das Deutsche besonders mit den „Konkurrenz“- und Referenzsprachen Latein und Französisch, aber auch anderen Sprachen (s.u. unter 1.) verglichen wird. Diese Vergleiche führen sehr regelmäßig zu der Nennung von „Vorzügen“ und „Nachteilen“ der deutschen Sprache, aber auch zu Vorschlägen ihrer Verbesserung.
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