Inge Podbrecky
Unsichtbare Architektur
Bauen im Austrofaschismus: Wien 1933/1934–1938
Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte
Publikationsreihe des Vereins für Geschichte der Stadt Wien
Herausgeberin: Susanne Claudine Pils
Band 61
Inge Podbrecky
Bauen im Austrofaschismus: Wien 1933/1934–1938
© 2020 by Verein für Geschichte der Stadt Wien und Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck
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Internet: www.studienverlag.at
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ISBN 978-3-7065-6102-0
Satz und Umschlag: StudienVerlag/Maria Strobl – www.gestro.at
Titelbild: Blick in die Operngasse, Entwurf Eugen Kastner und Fritz Waage; Wien im Aufbau, Assanierungsbauten, Wien 135, 51.
Alle Abbildungen ohne Quellenangaben sind Fotos der Autorin.
Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlungoder direkt unter www.studienverlag.at
Für wohlwollende Unterstützung beim Zustandekommen dieser Arbeit danke ich dem Archiv für Baukunst Innsbruck, Margarete Huber †, Wolfgang Huber, Pedro Kramreiter, Sabine Plakolm-Forsthuber, Martin Reinhart, Tamara Scarpellini, Georg Steinmetzer und Johann Zolles.
Meinem Mann Christian Mayer bin ich nicht nur für unsere inhaltlichen und methodischen Gespräche dankbar, sondern auch und vor allem für seine liebevolle Unterstützung, Ermutigung und Geduld während des Schreibvorgangs.
Einleitung
DER DEUTSCHE KATHOLIKENTAG 1933 IN WIEN ALS AUFTAKT DIE PROTAGONISTEN BETRETEN DIE BÜHNE
DAMNATIO MEMORIAE UND „GEWOLLTE“ DENKMALE
Das „Heldendenkmal“ im Burgtor
1934. Aus den Augen, aus dem Sinn? Eilige Denkmalbeseitigungen
Die Dollfußdenkmäler
Katholisch-dynastische Denkmäler für Marco d’Aviano und Kaiser Franz Joseph
Resümee
KIRCHLICHE BAUTEN
Die Vorgeschichte: Wiener Sakralbauten der 1920er und frühen 1930er Jahre und der Einfluss der katholischen Reformbewegungen
Die „Gottesburgen“: Kirchenbau im Austrofaschismus
Evangelisch: Die Zwinglikirche
Resümee
ÖFFENTLICHE BAUTEN, INFRASTRUKTUR, STÄDTEBAU
Partei- und Staatsbauten
Schulgebäude
Straßen-, Brücken- und Bahnbauten
Städtebauliche Projekte außerhalb der Assanierungsgebiete: Maria am Gestade und der Platz vor der Votivkirche
Bahninfrastruktur
Telefonie- und Postbauten
Industriebau
Resümee
WOHNBAU
Hochbauten
Geschosswohnbauten
Familienasyle
Kommunale Geschosswohnbauten/Gemeindebauten
Assanierungsbau: Hochbauten
Zum Vergleich: Nicht geförderte Geschosswohnbauten
Flachbau
Assanierungsbau: Flachbauten/Zweifamilienhäuser
Zum Vergleich: Nicht-geförderte Eigenheime der 1930er Jahre
Siedlungen
Resümee
AUSSENREPRÄSENTATION: ÖSTERREICHISCHE BAUTEN UND AUSSTELLUNGEN IM AUSLAND
Ausstellungseinrichtungen im Ausland
Weitere Bauten im Ausland
Resümee
PERSONEN, KÜNSTLERVEREINIGUNGEN, INSTITUTIONEN
Resümee
„GIBT ES EINE AUSTROFASCHISTISCHE ARCHITEKTUR?“
Literatur- und Quellenverzeichnis
Literatur
Quellen
Liste der verwendeten Zeitungen und Zeitschriften
Abkürzungen
Personenregister
In der Tautenhayngasse 28 im 15. Bezirk steht ein recht wienerischer Wohnbau: Vier Trakte um einen geräumigen, begrünten Hof mit einem einzigen Zugang, an der Ecke ein flach gedeckter Turm ( Abbildung 1).
Abbildung 1: Franz Wiesmann, Wien 17, Tautenhayngasse 28, 1936 (Foto Bundesdenkmalamt/Bettina Neubauer-Pregl)
Abbildung 2: Ludwig Davidoff, Elderschhof, Wien 2, 1930/1931 (Foto Bundesdenkmalamt/Bettina Neubauer-Pregl)
Die Fassaden sind schlicht, die Fenster einfach eingeschnitten, ohne Rahmungen. Ihr Rhythmus gliedert die Fassaden und zeigt Lage und Funktion der Räume dahinter an. Im Inneren liegen kleine Wohnungen mit Vorzimmer, Wohnküche, WC und Zimmer. Ein „Gemeindebau“ der 1920er Jahre, wie es scheint ( Abbildung 2). Die Einordnung fällt leicht, denn die Wohnbauten des Roten Wien sind im Stadtbild so präsent, dass das Identifizieren sozialdemokratischer Gebäude mitsamt ihrer dahinter stehenden Ideologie geradezu reflexartig erfolgt: Die Geschlossenheit der Anlage gegen die umgebenden Straßen, die Enklave des abgeschirmten Hofs, die expressive Geste des Turms, die No-Nonsense-Fassaden, sogar die Inschrift „Erbaut von der Gemeinde Wien im Jahr 1936.“
Aber 1936? Mitten im Austrofaschismus erbaut, in einer Epoche, an deren Beginn die blutige Niederschlagung der Wiener Sozialdemokratie gestanden war, die zwischen 1919 und 1934 mehr als sechzigtausend Wohnungen in ihren städtischen Wohnbauten geschaffen hatte?
Wie ist das möglich? Der austrofaschistische Wohnbau sieht auf den ersten Blick aus wie jener seines politischen Gegners ( Abbildung 2). Nach einer kurzen Verunsicherung sucht man nach Mitteln der Unterscheidung. Lassen sich am Gebäude Hinweise auf faschistische Inhalte finden? Und wenn ja, welchen Regeln folgen sie?
Die Architektur selbst bietet keinen einzigen Anhaltspunkt für eine Identifizierung als austrofaschistischer Bau. Allerdings war anstelle der heutigen Bauinschrift ursprünglich, wie ein historisches Foto zeigt, „Familienasyl St. Engelbert“ zu lesen ( Abbildung 3). Diese Asyle waren ein Sondertyp des austrofaschistischen Wohnbaus, auf den später noch eingegangen wird. 1An der Turmfassade ist auch Kunst-am-Bau angebracht, eine Figur, wie das auch an sozialdemokratischen Gemeindebauten üblich war. Dargestellt ist hier aber ein Bischof, mit Mitra, Stab und einem Kind, eine sakrale Figur, wie sie im antiklerikalen sozialdemokratischen Wien nicht akzeptabel gewesen wäre ( Abbildung 4):
Abbildung 3: Franz Wiesmann, Ehemaliges Familienasyl St. Engelbert (WIEN IM AUFBAU, Familienasyle)
Abbildung 4: Anton Endstorfer, Hl. Engelbert (Wien im Aufbau, Familienasyle, 21)
Es ist der heilige Engelbert, Namenspatron des 1934 ermordeten und im Austrofaschismus nahezu heiligmäßig verehrten Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß. Diese Figur ist das einzige Distinktionsmerkmal, das heute noch einen eindeutigen ideologischen Hinweis gibt: Der Austrofaschismus war ein Klerikalfaschismus, und der Dollfuß-Personenkult war Staatskult, getragen von Regierung, Kirche und Institutionen.
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