Daran schließen die Beiträge der FachwissenschafterInnen an. Die Themenblöcke setzen sich zum einen mit Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin auseinander: Michael Wunder beleuchtet die Konzeptionen einer genetischen Verbesserung des Menschen und ihrer philosophischen Prämissen und zieht Linien der Kontinuität vom Genetikermanifest 1939 bis zur gegenwärtigen Diskussion um genetic enhancement . Benjamin Greggs Beitrag fokussiert auf den Prozess, der in einer demokratischen Gesellschaft den Einsatz humangenetischer Maßnahmen regulieren soll und versucht, deren philosophische Grundlagen zu definieren. Eva Maria Bachinger setzt sich mit den Versprechen der Fortpflanzungsmedizin und ihrer diagnostischen Verfahren auseinander und reflektiert deren ethische und sozialpolitische Voraussetzungen und Konsequenzen. „Die Optimierung des Menschen“ ist Rainer Müller folgend zwischen Dialektik der Aufklärung und Emanzipation vor dem Hintergrund der Entwicklung des demokratischen Rechts- und Sozialstaates zu betrachten. Wohin sich Demokratie, Wohlfahrtsstaat und Public Health in Folge der aktuellen naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen und der Digitalisierung, die derzeit verstärkt Lebens- und Arbeitswelten, Subjektivität und soziale Handlungsweisen verändern, entwickeln, ist laut Rainer Müllers Beitrag noch nicht absehbar. Karin Harrasser widmet sich der „riskanten Allianz“ von Behinderung und Technik. Neue Technologien können für Menschen mit Behinderungen – sofern sie ihnen zugänglich sind – Teilhabe ermöglichen, aber auch zum Normalisierungs- und Anpassungsinstrument werden, das andere Zugänge zu und Perspektiven auf Behinderung verdrängt und neue Zwänge mit sich bringt. Michael Girkinger wirft in seinem Artikel einen kritischen Blick auf den Persönlichkeitsbildungsmarkt. Er betrachtet dessen Angebote und Erfolg im Spannungsfeld von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen wie Selbstdisziplinierung, Selbstsorge, Selbstverwirklichung und einem Drang zur permanenten Selbstoptimierung. Die zunehmende Entwicklung hin zu einer wunscherfüllenden Medizin steht im Fokus von Tobias Eichingers Beitrag. Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Wunscherfüllung in der Medizin sowie deren Entwicklung zu einem „Lifestyle-Produkt“, werden von ihm aus ethischer und philosophischer Perspektive in ihrer ganzen Ambivalenz betrachtet. Die aufkommende „Upgradekultur“, die Optimierung der Person auf unterschiedlichen individuellen und persönlichen Ebenen wird von Dierk Spreen als Begleiterscheinung der Individualisierungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte betrachtet. In seinem Text stellt Spreen Probleme und mögliche Grenzen dieses Versuchs einer Antwort auf individualisierte Risiken der Gesellschaft zur Diskussion. Den Abschluss bildet Markus Jansen, der Tendenzen und Entwicklungen im Konzern Google und seiner Proponenten untersucht, die dem erneuten Versuch dienen sollen, einen „neuen Menschen“ zu schaffen. Laut den VertreterInnen des Transhumanismus könnten neue digitale Technologien die biologische Unzulänglichkeit des Menschen überwinden und letzten Endes hin zu einer post-biologischen Menschheit führen. Die Rolle von Google und vor allem von dessen Vordenker Ray Kurzweil bei der Entwicklung dieser neuen, scheinbar verheißungsvollen Möglichkeiten, stehen im Zentrum von Jansens Analysen.
Die im vorliegenden Tagungsband analysierten Strategien einer Optimierung des Menschen sind – zumindest teilweise – schon Bestandteil unseres Alltags geworden. Trotzdem bleibt die zentrale Frage, ob und wie es gelingen kann, diese Optimierungsstrategien einzuhegen bzw. entscheidende Fragen in der Öffentlichkeit zu diskutieren: Cui bono? Wem nützen diese Maßnahmen? Soll, etwa im Bereich der Gentechnik, alles Machbare auch gemacht werden? Wenn diese Diskussion nicht geführt wird, reduziert sich die Entwicklung, wie in der Geschichte von Daedalus, auf das Problem der technischen Machbarkeit. Deren ideelle Basis bildet die Annahme einer vollständigen Beherrschung der Natur, und es gehe, so wird suggeriert, nur noch um einige absehbare Schritte, bis der Mensch sich zum Schöpfer seiner selbst erklären könne.
Derzeit erleben wir allerdings, dass das Auftreten eines Virus die einschlägigen Pläne zumindest modifiziert. Die tiefe Krise, die die Corona-Pandemie verursacht, stellt Gesellschaften auf den Prüfstand: Wie gehen sie mit den Schwächsten um? Sollen, wie der verbreitete utilitaristische Zugang besagt, Alte, Kranke und Menschen mit Behinderung im Extremfall geopfert werden, um junge leistungsfähige Menschen zu „retten“? Wie werden die Lasten der ökonomischen und sozialen Krise verteilt?
Als Veranstalter der Internationalen Hartheim Konferenz sehen wir uns in diesem Kontext gefordert, die entsprechenden ethischen, politischen und sozialen Fragestellungen zu verfolgen und auch weiterhin im Rahmen der Tagungen zu diskutieren.
Wir möchten an dieser Stelle noch unsere Trauer über den Tod von Prof. Dr. Rainer Müller zum Ausdruck bringen. Er verstarb im Oktober 2019. Für seinen spannenden und fundierten Beitrag sowie die gute Zusammenarbeit bei der Internationalen Hartheim Konferenz und der Entstehung des vorliegenden Bandes bleiben wir ihm dankbar verbunden.
Brigitte Kepplinger, Florian Schwanninger
Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann
Der optimierte Mensch – ein Gespräch
Michael Köhlmeier:
Der Eine, der Ewige – Gott – stand auf seiner Erde und zog einen Kreis um sich, so weit sein Auge reichte. Im Umkreis eines Blickfeldes, dort sollte der Garten Eden sein, das Paradies. Wissen Sie, parallel zur Bibel gibt es sehr viele Geschichten, die sind zur gleichen Zeit entstanden wie die Bibel und sind in diese nicht aufgenommen worden. Sie sind teilweise vor der Bibel entstanden, sie sind teilweise erst viel später dazu erzählt worden – vielleicht auch um Widersprüche zu erklären, zum Beispiel einen Widerspruch gleich am Anfang der Bibel, wo es heißt: Am ersten Tag schuf Gott das Licht, aber am dritten Tag erst die Sonne. Das war ein Widerspruch, das muss man erklären. Ich erzähle Ihnen etwas, was nicht unbedingt in der offiziellen Bibel steht, aber ihr dennoch folgt. Also am Anfang stand Gott da und er hat nicht die Erde erschaffen oder die ganze Welt erschaffen, sondern er hat das Chaos, das vor ihm war, geordnet – das Tohuwabohu oder wie Martin Buber und Franz Rosenzweig übersetzen: Irrsal und Wirrsal hat er geordnet. Aber er hat auch die Ambition gehabt etwas Eigenes zu schaffen, nämlich den Menschen. Für den wollte er eine Heimat und das wäre der Garten Eden gewesen, das Paradies. Und er stand da und hat diesen Garten geschaffen – wunderbar schön, aber es war dunkel. Es konnte ihn niemand sehen. Da hatte er seinen Liebling, seinen Vize, seinen Stellvertreter gebeten, diesen Garten Eden zu beleuchten: Helel ben Schachar, den Sohn der Morgenröte, oder die Lateiner sagen „derjenige der das Licht trägt“, der Lichtträger, nämlich eben Luzifer – Lux ist das Licht, fer tragen. Ihn hat er gebeten, er soll diesen Garten Eden beleuchten, damit man ihn sieht. Und Luzifer, Helel ben Schachar, stellt sich in die Fußstapfen Gottes, sendet sein Licht aus und sieht wie unglaublich schön das ist, was Gott geschaffen hat. Da hat ihn der Neid erfasst. Er hat an sich hinabgeblickt und hat gesehen, dass seine Füße nur um ganz klein wenig kleiner sind als die Fußstapfen Gottes. Dann hat er sich gedacht: „Wenn ich einen Überraschungsangriff starte, vielleicht gelingt es mir.“ Er hat ausgerufen: „Ich bin wie Gott!“ Und da stand dann ein anderer da mit einem Flammenschwert in der Hand und der hat gesagt: „Wer ist wie Gott?“ – ein Engel – und er hat sich damit selbst den Namen gegeben: Michael. Michael heißt „Wer ist wie Gott?“ Ich weiß das, ich hab’ viel mit meiner Mutter darüber diskutiert. Gott hat Michael den Befehl gegeben, „Helel ben Schachar“, den Luzifer, zu bestrafen. Michael hat mit ihm gerungen und hat ihn in die Hölle geworfen. Das heißt, erst durch den Fall des Luzifer ist die Hölle entstanden, aber bevor er gefallen ist, hat Luzifer sich noch am Himmel anklammern wollen und hat einen Fetzen vom lebendigen Himmel gerissen, mit hinunter in die Hölle. Das kann man auch sehen, das sieht man immer noch, in sternenklaren Nächten kann man das sehen. Das ist die Milchstraße, dieser Fetzen. Wie gesagt, das hat er mitgerissen in die Hölle und das garantiert ihm, dass er jederzeit – nicht für lange Zeit, immer nur so für sehr, sehr kurze (Wir wissen, wie’s in der Apokalypse des Johannes heißt: Der Teufel hat wenig Zeit und er weiß es.) – kann er aber ab und zu Gott besuchen, oben im Himmel, weil er dieses Pfand hat vom Himmel. Wie es beim „Faust“ heißt: „Ab und zu spricht er mit dem Alten gern.“ Weil hätt’ er das nicht mitgemacht, könnte man den Faust ... Wir hätten auch nicht das Buch Hiob. Das beginnt auch damit, dass der Teufel in den Himmel geht, um Gott zu sprechen.
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