Heiko Nüllmann
LOGOS GOTTES UND LOGOS DES MENSCHEN
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Herausgegeben von Karl-Heinz Menke Julia Knop Magnus Lerch |
Bonner
Dogmatische
Studien
Band 52
Heiko Nüllmann
LOGOS GOTTES UND LOGOS DES MENSCHEN
Der Vernunftbegriff
Joseph Ratzingers
und seine Implikationen
für Glaubensverantwortung,
Moralbegründung und
interreligiösen Dialog
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ISBN 978-3-429-03514-3 (Print)
ISBN 978-3-429-04648-4 (PDF)
ISBN 978-3-429-06058-9 (ePub)
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011/12 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Theologie angenommen.
Zur Auseinandersetzung mit dem Vernunftbegriff Joseph Ratzingers führte mich die Beschäftigung mit einem theologisch-philosophischen Streitgespräch aus dem Jahr 2000. In diesem verteidigt der damalige Kardinal Ratzinger, Präfekt der römischen Glaubenskongregation, den Glauben vor den Einwänden des atheistischen Philosophen Paolo Flores D‘Arcais. Bei der Lektüre fiel mir auf, dass die grundlegende Meinungsverschiedenheit der beiden Diskussionspartner in ihrer konträren Auffassung davon wurzelte, was man unter ‚Vernunft‘ zu verstehen habe: Während der Vernunftbegriff Ratzingers eine Verantwortung des christlichen Glaubens vor der Vernunft ohne Probleme ermöglichte, verstand D‘Arcais unter Vernunft etwas, das sich mit dem Glauben unter keinen Umständen vertrug. So schien es mir lohnenswert, einmal am Beispiel des Theologen Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. die fundamentale Bedeutung des Vernunftbegriffs für das theologische Denken zu untersuchen. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist die vorliegende Arbeit.
Unterstützt wurde ich bei diesem Projekt von vielen Menschen, denen ich zu Dank verpflichtet bin. Vor allem meinem Doktorvater Prof. Dr. Markus Knapp vom Lehrstuhl für Fundamentaltheologie möchte ich für die durchweg engagierte, motivierende und sehr konstruktive Betreuung meiner Arbeit und die Erstellung des Erstgutachtens herzlich danken. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Professor so viel Zeit zum Lesen sämtlicher Entwürfe und zu so ausgiebigen Gesprächen mit seinen Doktoranden findet. Auch die am Lehrstuhl abgehaltenen Doktorandenkolloquien, in denen Theologie von den Kirchenvätern bis zur Gegenwart im angeregten Gespräch lebendig werden konnte, haben meinen theologischen und philosophischen Horizont nachhaltig erweitert und damit viel zur Qualität dieser Arbeit beigetragen.
Zu danken habe ich außerdem Prof. Dr. Dr. Christian Tapp vom Lehrstuhl für Philosophisch-Theologische Grenzfragen, der meine Arbeit sehr detailliert und mit hohem Zeitaufwand durchgesehen und das Zweitgutachten verfasst hat. Auch für die interessanten fachlichen Gespräche, die das Promotionsverfahren begleiteten, danke ich ihm sehr.
Viele Doktoranden danken ihren Partnern für den seelischen Beistand während der Promotionszeit. Meiner Frau Barbara aber gebührt Dank auch darüber hinaus, da sie mir nicht nur seelisch immer eine Stütze war, sondern auch als meine Lektorin ausgezeichnete Arbeit leistete. So arbeitete sie sich mit der ihr eigenen bewundernswerten Beharrlichkeit durch das umfangreiche Manuskript und war mir auch mit ihren Formatierungskünsten immer eine große Hilfe.
Promovieren ohne finanzielle Unterstützung ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. So danke ich der Konrad-Adenauer-Stiftung für das Vertrauen in meine Arbeit und das damit verbundene Graduiertenstipendium. Auch die vielen Treffen mit Stipendiaten ähnlicher oder gänzlich anderer Fachbereiche sowie das vielfältige Seminarangebot der KAS haben die Zeit meiner Promotion sehr bereichert. Dem Erzbistum Paderborn danke ich für die Bezuschussung der Drucklegung.
Zuletzt danke ich allen, die die Publikation dieser Arbeit möglich gemacht haben: Prof. Dr. Karl-Heinz Menke von der Universität Bonn für die Aufnahme in die Reihe der Bonner dogmatischen Studien , seiner Mitherausgeberin PD Dr. Julia Knop von der Universität Freiburg für die stets aufmunternde und schnelle Beratung in Formatierungsfragen und Herrn Heribert Handwerk vom Echter Verlag für die angenehme und reibungslose Zusammenarbeit.
Dortmund, im Juli 2012 |
Heiko Nüllmann |
0. Einleitung
0.1 Allgemeine Vorbemerkungen
Es gehört zu den Aufgaben christlicher Theologie, das Verhältnis von Glaube und Vernunft zu klären und den christlichen Glauben als vernunftgemäß auszuweisen. Diese Aufgabe ergibt sich aus dem Anspruch des Glaubens, der menschlichen Vernunft nicht unverbunden gegenüberzustehen, sondern ihr im Gegenteil etwas zu sagen zu haben. Denn seit den Anfängen des Christentums wird Jesus Christus als der ‚Logos Gottes‘ verstanden, wobei ‚Logos‘ zugleich ‚Wort‘ und ‚Vernunft‘ bedeutet. Im Christusgeschehen spricht Gott den Menschen an, wodurch die Vernunft des Menschen Anteil an der Vernunft seines Schöpfergottes erhält. Deshalb ist die Vernunft keineswegs aus dem Offenbarungsgeschehen ausgeklammert, sondern im Gegenteil von ihm herausgefordert.
Wenn der Logos Gottes nun aber von der menschlichen Vernunft als vernünftig erkannt werden soll, muss es bei aller Verschiedenheit zwischen ihm und dem Logos des Menschen eine Übereinstimmung geben. Der Logos Gottes muss also ein dem Logos des Menschen gemäßer Logos sein, er muss ihm entsprechen, um vom Menschen als ‚Vernunft‘ erkannt werden zu können. Die Theologie hat die Aufgabe, diese Entsprechung aufzuzeigen. Nur wenn ihr dies gelingt, kann sie den christlichen Glauben als eine der menschlichen Vernunft gemäße Weltanschauung verantworten. Denn nur dann kann gesagt werden, dass der Glaube die Vernunft nicht etwa unterdrückt und auf diese Weise den Menschen von sich selbst entfremdet, sondern sie vielmehr um eine Dimension zu erweitern vermag.
Ein Aufweis dieser Analogie erfordert nicht nur die theologische Bestimmung des Logos Gottes und mithin eine Antwort auf Fragen nach Form und Inhalt der Christusoffenbarung und der Möglichkeit einer unabhängig von dieser Offenbarung möglichen Erkenntnis des Logos in der Schöpfung. Er erfordert darüber hinaus und zuallererst auch eine Bestimmung der von diesem Logos affizierten menschlichen Vernunft. Um in verantwortbarer Weise von Gott sprechen zu können, muss Theologie also wissen, was sie unter ‚Vernunft‘ versteht, und zwar sowohl unter göttlicher als auch unter menschlicher Vernunft.
Dies ist bei Weitem kein rein wissenschaftlich-theoretisches Problem. Denn jeder Glaubende, der seinen Glauben vor der Vernunft verantworten will – und dies sollten nach 1 Petr 3,15 wohl nicht nur die Theologen sein –, muss dabei wenigstens implizit neben einem bestimmten Verständnis des Logos Gottes auch immer von einem bestimmten Verständnis der menschlichen Vernunft ausgehen. Doch ein allgemein-einheitliches Verständnis menschlicher Vernunft ist im Kontext der heutigen Pluralität menschlicher Lebensverhältnisse weitgehend verloren gegangen. Die eine Vernunft gibt es nicht mehr, sondern als ‚vernünftig‘ wird gemeinhin das bezeichnet, was in einer bestimmten Situation der Erreichung eines zuvor festgelegten Zieles und Zweckes dient. Dieses Ziel kann z.B. sein, die Strukturen der beobachtbaren Welt möglichst genau zu beschreiben, wie im Falle der naturwissenschaftlichen Vernunft. Es kann aber auch im größtmöglichen Profit für das eigene wirtschaftliche Unternehmen bestehen, wie im Falle ökonomischer Vernunft. Auch moralische Vernunft, die den Schutz der personalen Würde aller Menschen zum Ziel hat, und ökologische Vernunft, die sich dem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und der Natur verschreibt, sind dann nur noch zwei unter vielen möglichen Rationalitäten, die teilweise auch durchaus, bedingt durch die verschiedenen Zielsetzungen, im Widerspruch zueinander stehen können.
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