»Wer ist da? Steht oder ich schieße!«
Wir aber standen nicht, sondern rannten drauf los wie toll. Dann kam ein sonderbares Geräusch und bum, bum, bum! sausten die Kugeln um unsre Köpfe. Noch hörten wir, wie sie riefen:
»Da sind sie, da sind sie! Nach dem Fluß zu! Ihnen nach, die Hunde los!«
Dann kam eine atemlose Pause und dann – setzte die ganze Bande hinter uns her. Wir hörten sie, weil sie dicke Stiefel trugen und gehörig gellten, wir aber waren barfuß und gaben keinen Laut von uns. Wir befanden uns auf dem Pfad zur Mühle und als uns die Verfolger nahe kamen, schlugen wir uns seitwärts in den Wald und ließen sie vorüberrasen, um dann gemächlich hinter ihnen dreinzukommen. Die Hunde hatten sie schlauerweise alle eingesperrt gehabt und bis einer dieselben losgelassen, verging ein gut Teil Zeit. Jetzt aber kamen sie einhergesetzt mit Gebell und Geheul – genug für dreitausend. Es waren aber gottlob unsre Hunde und als sie herankamen und merkten, daß nur wir es seien und alles so still und friedlich bei uns zugehe und keinerlei Pläsier zu erwarten, da umschnoberten sie uns nur kurz und setzten dann mit erneuter Kraft hinter dem schreienden, stampfenden Hausen unserer Verfolger drein. Wir aber weiter, immer hinterher bis zur Mühle, und dann rechts hinunter dem Fluß zu, da, wo wir das Boot am Abend befestigt hatten, dieses losgemacht, hineingehoppst und gerudert bis zur Mitte des Flusses, als gelte es unser Leben, immer mit möglichst wenig Geräusch. Von da an hielten wir gemächlich auf die Insel zu, wo das Floß verborgen lag, und wir konnten unsre Verfolger fortwährend abwechselnd schreien und johlen und die vierfüßigen dazwischen bellen hören am ganzen Ufer entlang, bis wir schließlich so weit weg waren, daß die Töne in der Entfernung erstarben. Da waren wir auch schon am Floß angelangt und ich sage:
»Jim,« sag' ich, »jetzt bist du wieder ein freier Mann und ich wette, von nun an für immer und immer!«
»Unschön sein's gewesen, un schön sein's gegangen, Huck! Alte Jim nie nix haben gesehen so schöne, gute Plan für zu machen frei arme Nigger! Sein gewesen beste Plan, den man können erfinden. So viel Arbeit un so schwer un so lang' Zeit un so durchnander! Sein aber auch gewesen Massa Tom, gute Massa Tom seine Plan!«
Wir waren alle so froh und vergnügt, als wir nur sein konnten, und Tom war der Glückseligste von uns, denn er hatte eine Kugel, eine wirkliche und wahrhaftige Kugel, in den Schenkel gekriegt.
Als Jim und ich das hörten, fühlten wir uns nicht halb mehr so wohl, als vorher. Es that ihm ziemlich weh und blutete und wir legten ihn unter das kleine Bretterhäuschen, das wir zum Schutz gegen Regen errichtet hatten. Ich riß mein Hemd herunter und in Streifen und schickte mich an, die Wunde zu verbinden. Er aber stößt mich weg und sagt:
»Nein, gieb mir die Lumpen, ich besorg' das selbst. Steht doch nicht so herum. Die Ruder her und abgestoßen! – Aber gelt, das haben wir fein gemacht, Jungens, fein, kolossal sein, sag' ich euch! Na, ich wollt' nur, wir hätten die Flucht von Ludwig XVI. zu beaufsichtigen gehabt – alles wär' anders gekommen und kein Kopfabhauen und keine Guillotine und nichts dergleichen! Nein, nichts da – den hätten wir flott beiseite geschafft – elegant, sag' ich euch! Aber nun – alle Mann an Bord – vorwärts! Los!«
Jim aber und ich berieten uns und überlegten, was wir zu thun hätten und nach ein paar Minuten sag' ich:
»Jim,« sag' ich, »sprich du!«
Und Jim sagt:
»Du, Huck, alte Jim nur eins wollen sagen. Wenn junge Herr Tom wären worden gerettet und befreit vom Jim un Huck, un Jim hätten gekriegt Kugel in Bein, Tom Sawyer hätten nie gesagt: Kugel nix machen für alte Jim sein Bein – nur vorwärts, weiter, Jim nix brauchen Doktor, Tom wollen erst sein frei. Nein, junge Herr Tom nie nix würde sagen so! Un alte Jim auch wissen, was er haben zu thun. Alte Jim nix gehen von die Fleck, eh' Doktor sein da, zu sehen nach Kugel, alte Jim nie nix gehen eine Schritt weiter und wenn er müssen warten vierzig Jahr!«
Ich wußt's ja, inwendig war Jim ein Weißer, so weiß wie irgend einer, wenn auch von außen nichts davon zu sehen war. Ich wußt's, daß er so sprechen würde und nun war alles gut und mir selbst eine Last vom Herzen. Wir teilten nun Tom unsern Entschluß mit, der natürlich nichts davon wissen wollte und schalt und tobte und schließlich selbst probierte, herauszukriechen und das Floß flott zu machen, was wir ihn aber nicht thun ließen. Am Ende, als er sah, daß wir fest blieben und daß ich mein Boot fertig machte, meinte er:
»Na, wenn ihr denn durchaus so dickköpfig sein wollt, so ist's am Ende besser, ich sag' dir, was du thun mußt, wenn du ins Dorf und zum Doktor kommst. Du verriegelst die Thür hinter dir, fesselst den Mann und verbindest ihm gut die Augen. Dann läßt du ihn schwören, daß er stumm sein will wie das Grab, steckst ihm einen Beutel mit Geld in die Hand und führst ihn dann durch lauter Hinterthüren und Seitenwege, immer im Dunkeln, bis zum Boot, ruderst die Kreuz und Quer um alle Inseln herum, um ihn irre zu führen, durchsuchst ihm dann die Taschen nach Kreide, nimmst ihm die weg und giebst sie ihm erst wieder, wenn du mit ihm ins Dorf zurückkommst, denn sonst macht er sich mit der Kreide ein Zeichen an unser Floß, um's später wiederzufinden. – Das thun sie nämlich alle.«
Ich versprach's genau so zu machen und Jim wollte sich im Wald verstecken, wenn er mich mit dem Doktor kommen sehe, bis der wieder weg wäre, und so stieß ich denn ab und ruderte flink dem Dorf zu.
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Zweiunddreißigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Der Doktor. – Onkel Silas. – Schwester Hotchkiß. – Tante Sally in Nöten.
Der Doktor war ein freundlicher, gutmütig aussehender, alter Mann, den ich natürlich erst aus seinem besten Schlaf wecken mußte. Ich erzählte ihm, wie ich und mein Bruder gestern zusammen ausgezogen wären zum Jagen nach Spanish Island und wie wir dort die Nacht auf einem gefundenen Stück Floß kampierten und daß mein Bruder wahrscheinlich um Mitternacht einen bösen Traum gehabt haben müsse, denn sein Gewehr sei losgegangen und habe ihn ins Bein geschossen, und er möge doch mitkommen und nachsehen, was sich thun ließe, aber ja nichts verraten, denn wir wollten am Abend wieder heim und unsre Leute überraschen.
»Wer sind denn eure Leute?«
»Ei, die Phelps drunten auf der Mühle.«
»So, so,« macht er und nach einer Minute fragt er: »Wie hast du gesagt, daß er den Schuß kriegte?«
»Er hat geträumt und da ging das Gewehr los.«
»Sonderbarer Traum!« brummt er.
Dann zündete er sich eine Laterne an, nahm seinen Messerbeutel und wir setzten uns in Trab. Als er aber das Boot sah, traute er ihm nicht recht und sagte, das sei wohl genügend für einen, aber für zwei sicher nicht genug. Platz' ich los:
»Ach, Sie brauchen keine Angst zu haben, wir sind da drin zu dritt gefahren und ganz bequem.«
»Zu dritt? Wer war denn der dritte?«
»Ei, ich und Sid und – und – und die Gewehre; – ich hab' mich eben versprochen.«
»Ah, so?« war alles, was er sagte.
Er setzte seinen Fuß auf die Bank und wiegte das Boot hin und her und probierte, wie fest es sei, und meinte dann, er wolle sich doch lieber nach einem größeren umsehen. Die aber waren alle angekettet und so stieg er allein ins Boot und meinte, ich könne ja warten, bis er wieder käme, oder am Ufer nebenher laufen; das beste sei, ich würde heimgehen und meine Leute auf die Nachricht vorbereiten. Das aber wollte ich nicht und sagt's ihm auch und sagt' ihm dann noch, wie er das Floß finden könne, und er stieß ab.
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