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Inhaltsverzeichnis
Ratten. – Lebhafte Bettgenossen. – Die Strohpuppe.
Am Morgen schlichen wir uns ins nächste Dorf und erhandelten eine tüchtige Rattenfalle, trugen sie in den Keller, öffneten das größte Rattenloch und hatten in vielleicht einer halben Stunde fünfzehn der fettesten, prächtigsten Ratten gefangen. Nun schleppten wir, der Sicherheit halber, die ganze Ladung zusamt der Falle unter Tante Sallys Bett, was der unnahbarste und geheiligtste Ort im ganzen Hause war, dem sich so leicht keine der kleinen Rangen zu nahen wagte, und machten uns auf die Spinnenjagd. Während wir weg waren, muß das Unglück den kleinen Thomas Franklin Benjamin Jefferson Alexander Phelps in die Nähe des Rattenverstecks führen! Er die Bescherung entdecken und die Falle öffnen, war natürlich eins; und als wir zurückkamen, um unser mühsam erworbenes Eigentum an uns zu nehmen, stand Tante Sally auf dem Bett und schrie Mord und Totschlag, Diebe, Räuber, Feuer, und die Ratten führten den tollsten Kriegstanz vor ihr auf, tobten, pfiffen und rasten über Bett, Tische und Stühle, daß einem Hören und Sehen verging. Als sich die wilde Jagd durch die von uns offen gelassene Thüre etwas verzogen hatte, kriegte die arme abgehetzte Frau einen Rohrstock her, klopfte uns, ohne viel zu fragen, die Kleider am Leibe tüchtig aus und wir brauchten dann zwei volle Stunden, um weitere fünfzehn oder sechzehn Ratten zu fangen, die den andern das Wasser nicht reichten an Größe und Schönheit. Es waren eben auserlesen schöne Exemplare gewesen, wie ich nie wieder gesehen habe.
Wir legten uns außerdem einen tüchtigen Vorrat von verschiedenen Spinnen, Käfern, Fröschen, Raupen und sonst noch allerlei an und hätten gerne noch ein Hornissen-Nest gehabt, aber daraus wurde nichts. Dann gings auf die Schlangenjagd und wir hatten bald so einige Dutzend Blindschleichen und Ringelnattern beisammen, die wir in einem zugebundenen Sack auf unser Zimmer legten. Mittlerweile war's Abendessenszeit geworden. Ob wir hungrig waren! Ein ordentliches Tagewerk lag hinter uns. So hieben wir denn tüchtig ein und als wir wieder auf unser Zimmer kamen, – da – da war keine einzige Schlange mehr zu sehen, alle weg, wie weggeblasen. Wir hatten den Sack nicht fest genug zugebunden und das Rackerzeug hatte sich durchgeringelt. Das focht uns aber nicht viel an, denn wir dachten, weit könnten sie doch nicht sein, und sie würden sich schon wieder einfangen lassen. Wahrhaftig, in der nächsten Zeit konnte man sich über Schlangenmangel im Hause nicht beklagen. Immer ab und zu fiel mal eine von irgendwo herunter und immer gerade in die Schüssel, vor der man eben saß, oder auf den Teller oder hinten auf den Nacken, wenn man den Kopf bückte, kurz, immer dahin, wo man sie am wenigsten brauchen konnte. Schön waren sie aber alle und fein gestreift und mich hätte eine Million davon weiter nicht geniert. Tante Sally aber war das ganz einerlei, die haßte alle ohn' Ansehen der Person und Familie, ob gestreift oder gefleckt – sie konnte sie nicht ausstehen. Und jedesmal, wenn ihr eine in den Weg kam, ob von oben oder von unten, ließ sie alles liegen und stehen, und lief mit Windeseile davon und ihr Geschrei konnte man in Jericho hören. Nicht einmal mit der Feuerzange getraute sie sich eine anzufassen. Und wenn sie sich nachts im Bett umdrehte und zufällig ein solch armes, unschuldiges Tierchen berührte, schlug sie ein Geheul auf, als ob das Haus in Flammen stünde. Ich konnte die Frau gar nicht begreifen! Ihren alten Mann regte sie so auf mit der Sache, daß er einmal sagte, er müsse fast wünschen, der Herr habe die Schlangen zu erschaffen vergessen, durch sie sei schon so viel Unheil in die Welt gekommen. Was er damit meinte, weiß ich nicht; vielleicht hatte ihm Tom doch einmal von Jim und der Klapperschlange ausgeplaudert. Ja, nachdem schon eine ganze Woche lang die letzte Schlange spurlos aus dem Hause verschwunden war, hatte Tante Sally die Angst vor denselben noch nicht verloren, noch nicht halb verloren. Wenn sie so still dasaß und an nichts dachte, brauchte man sie nur mit einer Feder auf den Hals zu tippen und sie fuhr erschrocken herum und beinahe aus ihrer Haut heraus. Es war zu komisch! Tom sagte aber, alle Frauen seien so; er sagte, die seien so erschaffen, aus irgend einer besonderen Ursache, warum, wisse er selber nicht, aber so sei's.
Wir bekamen jedesmal eine Tracht ab, wenn ihr eine Schlange über den Weg kroch, und sie bedeutete uns, es würde noch 'was ganz anderes setzen, wenn wir das Haus wieder damit bevölkerten. Das wir's gewesen, ließ sie sich trotz allen Zuredens nicht nehmen, ja – sie war eine kluge Frau, die Tante Sally! Die Prügel genierten mich weiter nicht, ich war besseres gewöhnt, aber die Mühe, die wir hatten, um zu einem neuen Vorrat von Schlangen zu kommen, war verdrießlich. Na, wir hatten bald wieder eine Partie beisammen und schafften sie nebst allem andern in Jims Hütte. Dieselbe hätte noch einmal so groß sein dürfen, um alle die Einwohner bequem zu fassen. Das war ein Gewimmel! Aber lustig war's, wenn sie bei der Musik alle um ihn herumschwärmten und ihm zu Leibe rückten. Die Spinnen machten ihm besonders heiß, die konnte er nicht leiden und sie ihn auch nicht und so lagen sie immer im Kampfe. Er sagte, wegen all der Ratten und Schlangen und dem Mühlstein hätte er gar keinen Platz mehr im Bett. Schlafen könnte er ohnehin nicht mehr, selbst wenn er Platz hätte, so lebhaft gehe es bei ihm zu, und das immerwährend, ohne alle Unterbrechung, denn das Viehzeug schlafe nie alles auf einmal; sondern, wenn die einen schliefen, wachten die andern. Seien die Schlangen einmal ruhig, dann machten's die Ratten um so toller, und Spinnen und Käfer und das andre Getier ließen ihn überhaupt nie in Ruhe, – kurz, er meinte, wenn er diesmal freikäme, wirklich und wahrhaftig frei, dann wolle er nie, nie mehr in seinem Leben Gefangener sein und wenn er's bezahlt bekäme – lieber gleich auf einmal sterben!
Na, nach Verlauf von drei Wochen war denn alles in bester Ordnung. Das Hemd war ebenfalls in einer Pastete hineingeschmuggelt worden und wenn nun des Nachts Jim von einer Ratte gebissen wurde, benutzte er die Blutstropfen, um geschwind etwas in sein »Tagebuch« zu kritzeln, während die »Tinte« noch frisch war. Die Federn waren gemacht, die Inschriften und was dazu gehörte, waren auf den Mühlstein geritzt, der Bettpfosten war durchsägt und das Sägmehl von uns aufgeleckt worden, wogegen unser Magen erstaunlich rebellierte, so daß wir meinten, alle sterben zu müssen, aber es ging noch gnädig vorüber. Wahrhaftig, das war das unverdaulichste Sägmehl, was mir je vorgekommen, und Tom meinte das auch.
Also, wie gesagt, endlich war alles fertig; die Arbeit und viele Plage hatten uns freilich ziemlich mitgenommen, namentlich Jim, aber das that nichts, wir waren stolz darauf! Onkel Silas hatte ein paarmal nach New-Orleans geschrieben wegen des durchgebrannten Niggers, aber natürlich keine Antwort erhalten. Nun sprach er davon, Jim in den Zeitungen von St. Louis und New-Orleans auszuschreiben. Als er die von St. Louis nannte, lief mir ein kalter Schauder über den Leib und selbst Tom gab zu, daß nun keine Zeit mehr zu verlieren sei. Jetzt müssen die ›onnaniemen‹ Briefe dran, sagte er.
»Die – was?« fragte ich.
»Die ›onnaniemen‹ Briefe!« wiederholte er, »das sind Warnungen an die Leute, daß etwas los sei. Einmal wird's so gemacht und einmal anders. Aber einer muß immer herumspionieren und dann den Befehlshaber des Schlosses von allem in Kenntnis setzen. Als Ludwig XIV. von den ›Twillerieen‹ durchbrennen wollte, hat's ein Dienstmädchen besorgt. So kann man's auch machen, aber ein onnaniemer Brief ist ebensogut. Wir können ja alles beide benutzen. Und gewöhnlich wechselt die Mutter des Gefangenen die Kleider mit ihm und bleibt im Kerker zurück, während er wegschleicht. Das müssen wir auch thun!«
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