»Ach Gott, er ist tot, er ist tot; gewiß ist er tot!«
Tom drehte jetzt den Kopf und murmelte etwas Unzusammenhängendes, man sah, er hatte Fieber, und da schlug sie die Hände über'm Kopf zusammen und jubelte:
»Er lebt, Gott sei Dank, er lebt! Weiter brauch' ich nichts zu wissen!« Und sie küßte Tom ganz flüchtig und rannte dann ins Haus zurück, um sein Bett zurechtzumachen und bei jedem Schritt, den sie vorwärts stürzte, flogen ihr die Befehle nur so nach rechts und links von den Lippen und Nigger und Dienstleute und alles rannte hinter ihr drein, wie die wilde Jagd.
Ich schlich hinter den Männern her, um zu sehen, was sie mit Jim anfangen würden, und der Doktor und Onkel Silas folgten Tom ins Haus. Die Männer schienen sehr aufgebracht und einige sprachen sogar davon, Jim zu töten, ihn baumeln zu lassen, all den andern Niggern zum warnenden Exempel, damit die sich's nie einfallen ließen, durchzubrennen, wie's Jim gethan, und dabei alles so untereinander zu bringen und eine ganz ehrbare Familie wochenlang in Angst und Aufregung zu versetzen. Andre rieten ab davon, sagten, »thut's ja nicht, es ist ja nicht unser Nigger, und wenn sein Herr einmal auftaucht, der läßt ihn sich teuer bezahlen.« Das kühlte die Hitzköpfe ein wenig ab, denn die, die am schnellsten dabei sind, einen Nigger zu henken, wollen am wenigsten davon wissen, dafür bezahlen zu müssen, wenn einmal die Hitze verflogen ist.
Aber fluchen thaten sie auf Jim und immer ab und zu bekam er einen ordentlichen Puff an den Schädel oder einen Tritt oder sonst irgend eine liebenswürdige Aufmerksamkeit. Der aber sagte kein Wort, that auch gar nicht, als ob er mich kennte, und sie schleppten ihn nach seiner alten Hütte, zogen ihm seine eignen Kleider wieder an, brachten die Ketten und fesselten ihn, diesmal nicht an den Bettpfosten, sondern an einen schweren Block, der in den Boden der Hütte eingetrieben wurde, und banden seine Hände und beide Beine und sagten, er solle von jetzt an nichts bekommen als Brot und Wasser, bis sein Herr käme oder er versteigert werden würde, wenn der sich nicht zu rechter Zeit einstelle, und füllten unser Loch auf und meinten, ein paar Männer müßten nun immer nachts bei der Hütte Wache stehen und bei Tage müsse eine Bulldogge an der Thüre angebunden werden. Als sie endlich fertig geworden waren, nahmen sie mit ihren Fußspitzen der Reihe nach Abschied von Jim; auf einmal erscheint der alte Doktor und sagt:
»Hört, Jungens, behandelt den Kerl nicht schlechter, als nötig ist, denn es ist kein schlimmer und kein böser Nigger. Als ich dort aufs Floß kam und den Jungen fand und sah, daß ich ohne Hilfe die Kugel nicht herausbringen würde und doch keine Hilfe nah und fern zu entdecken war, und ich den Burschen auch nicht allein lassen konnte, um zu sehen, ob ich jemanden auftreiben könnte, denn er wurde schlimmer und schlimmer und fing schließlich an zu toben und wollte mich nicht heran lassen, und sagte, wenn ich mit Kreide ein Zeichen ans Floß machte, dann würde er mich töten und dergleichen Unsinn mehr; als ich mir da gar nicht mehr zu helfen wußte, und schließlich laut vor mich hinspreche: ›nun muß ich Hilfe haben, koste es, was es wolle‹, da Jungens – da, sag' ich euch – stand plötzlich der Nigger dort vor mir, wie aus dem Boden gezaubert, und er hat mir geholfen, ohne viel zu reden, und zwar wacker geholfen! Natürlich wußte ich gleich, daß er irgendwo durchgebrannt sein müsse. Da saß ich nun! Was blieb mir übrig, als ruhig auszuharren den ganzen Tag über und die Nacht dazu. Das war eine Klemme, sag' ich euch! In der Stadt warteten meine Patienten auf mich, was sollten die denken, und doch mußte ich bleiben, denn ich wagte nicht, wegzugehen, aus Furcht, der Nigger risse aus und ich bekäme hinterher Vorwürfe. Ein Schiff, das ich hätte anrufen können, wollte auch nicht in die Nähe kommen, und so hieß es denn bleiben und immer bleiben, bis zum Tagesanbruch, diesen Morgen. Nie aber habe ich einen Nigger gesehen, der treuer und besser gepflegt hätte, wie der dort, und doch setzte er dabei seine Freiheit aufs Spiel und schien so müde, so totmüde; er muß furchtbar abgearbeitet worden sein in den letzten Wochen. Der Nigger gefiel mir darum; ich sag' euch, Männer, so ein Nigger ist mehr als tausend Dollars wert – und eine gute Behandlung obendrein. Ich hatte dort alles, was ich brauchte, und der Junge auch, besser vielleicht als zu Hause, denn es war so ruhig und still, wie gemacht für einen Kranken. Aber der Boden brannte mir doch unter den Füßen bei meiner Verantwortung für die beiden und wochenlang konnte ich nicht bleiben; na, da kamen denn endlich ein paar Männer in einem Boot nahe genug, um sie anzurufen. Zum Glück saß der Nigger gerade am Steuer, mit dem Kopf auf den Knieen, und war fest, fest eingeschlafen. So winkte ich ihnen denn, leise zu thun, und sie fielen leise über ihn her und banden ihn, ehe er noch recht die Augen offen hatte, und so hatten wir gar keine Last mit ihm. Und da der Junge gleichfalls schlief, machten wir das Floß leise los, ruderten es dem Ufer zu und legten's dort fest, ohne daß einer von den beiden sich nur rührte, der Nigger hatte sich nicht gemuckst, keinen Laut von sich gegeben von Anfang an. Das ist kein schlimmer Kerl, meine Herren, glauben Sie mir's, ich hab's erprobt!«
»Das lautet all' sehr gut und schön, Doktor, das muß ich sagen!« meinte einer.
Die andern schienen auch ein wenig besänftigt und ich war dem alten Mann herzlich dankbar für die Wohlthat, die er Jim mit der Erzählung erwiesen, und war so froh, daß ich den armen Kerl von Anfang an richtig beurteilt; ich wußte, er hatte ein gutes, ein weißes Herz in seiner schwarzen Brust. Und Jim profitierte auch davon, denn alle stimmten überein, er habe sich gut benommen und brav und verdiente, daß man ihn drum lobe und belohne. Und jeder versprach aufrichtig und von Herzen, dem armen Kerl keine Püffe mehr zu geben.
Das war aber vorerst auch alles. Ich hatte gehofft, sie würden ihm eine oder zwei von seinen verdammt schweren Ketten abnehmen oder ihm Fleisch und Gemüse zu seinem Brot und Wasser erlauben, daran aber schienen sie nicht zu denken und ich wollte mich lieber nicht dreinmischen, nahm mir aber fest vor, Tante Sally bei nächster Gelegenheit von des Doktors Erzählung zu sagen. Bei nächster Gelegenheit, das heißt, wenn ich erst die bösen Klippen umschifft hätte, die in meinem Wege lagen. Mit den Klippen meine ich nämlich die Aufklärungen, die ich Tante Sally zu geben haben würde über Toms Wunde – »woher, wieso und warum?«
Zeit zum Besinnen hierüber hatte ich genug, Tante wich nicht vom Krankenbett, nicht Tag und nicht Nacht, und ich hielt mich in sichrer Entfernung und so oft ich Onkel Silas irgendwo auftauchen sah, wich ich ihm schleunigst aus.
Am andern Morgen hörte ich, Tom sei viel besser und Tante habe sich ein wenig hingelegt. Ich schlüpf' also in das Krankenzimmer und hoffte, ihn wach zu treffen und mit ihm etwas zu ersinnen, das alle kommenden Kreuz- und Querfragen aushielt. Er aber schlief und zwar ganz friedlich; sein Gesicht war blaß und nicht mehr so glutrot wie den Tag zuvor, als er ankam. So setzte ich mich also hin und wollte warten, bis er wach würde. Nach vielleicht einer Viertelstunde glitt Tante Sally plötzlich leise wie ein Geist herein und da saß ich wieder fest! Sie winkte mir, still zu sein und setzte sich zu mir und begann zu flüstern und sagte, wie dankbar wir alle sein könnten, »Sid« sei so viel besser und er schlafe nun schon lange so ruhig und so friedlich und sehe dabei immer besser und immer wohler aus und es sei zehn gegen eins zu wetten, daß er bei Besinnung wäre, wenn er nun erwache.
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