Während die Bauern als Auswanderer so sprachen, hielt der Waldmeister die dreitausend Gulden bereit auf dem Tisch. Der alte Sandler zitterte eine Weile mit dem Haupt, mit der Hand, dann schlug er ein. Sein Haus war verkauft.
»Also wieder eine Leiche!« rief der Waldmeister und schlug dem Reuthofer höhnend die Hand auf die Achsel.
»Laß mich in Fried', Aasgeier!« gab der empörte Bauer zurück.
»Und jetzt, Jakob!« rief der Sepp in der Grub lachend, »jetzt schlag' auch du los. Schlag' los, es geht auf eins!«
»Und der Aasgeier«, setzte der Waldmeister bei, »legt dir bare viertausend Gulden auf die Hand.«
»Wofür?« fragte der Jakob.
»Für den Reuthof.«
»Für den Reuthof?« sagte der Jakob, »der ist nie mehr als an zweitausend Gulden wert gewesen. Oder wäre das Geld für mein und meiner Familie Heimatshaus? Das ist mit Geld nicht zu bezahlen. – Heute«, so fuhr er fort, ernst, aber ganz ruhig, »heute habe ich nachgeschlagen draußen im Pfarrbuch. Das Pfarrbuch ist vor dreihundertundsechzig Jahren angelegt worden, und dazumal ist schon von den Steinreutern die Rede gewesen, die auf dem Reuthof in Altenmoos gehaust haben. Noch ältere von diesem Stamm werden auf dem Grund die Steine ausgereutet haben, und davon wird – so meint auch der Pfarrer – der Name Steinreuter herrühren. Von den neun Steinreutern, die im Pfarrbuche stehen, ist, so viel ich weiß, keiner reich gewesen und keiner arm. Einmal ist der Reuthof niedergebrannt, die Steinreuter haben auf Gott vertraut und ihn wieder aufgebaut. Oft hat uns der Hagel die Feldfrucht vernichtet und das wilde Wasser die Wiesen mit Steinen überschüttet, die Steinreuter haben gearbeitet und Mut gehabt. Sie sind dem Unglück nicht ausgewichen und nicht entgegengegangen; sie sind ihm gestanden, wie der Tannenbaum dem Sturm, möcht' ich sagen. Die Kinder sind beim Haus verblieben oder haben an andere Höfe geheiratet, ich habe von keinem gehört, das nicht rechtschaffen gewesen wäre. Nur von meinem Großvater ein Bruder, der ist Soldat geworden, ist nachher geflüchtet, hat oben im Felsloch gehaust, ist wieder eingefangen und zu tot geschlagen worden. Sonst haben fast alle ein langes Leben gehabt. Freiwillig fortgehen, in die Fremde gehen, gar ein Herr werden, das ist im Reuthof, so lang' er steht, nicht gedacht worden.«
»So magst jetzt du dran denken«, sagte der Zwieselbaumer.
»Wir sind ein Bauernstamm«, fuhr der Jakob fort, und seine Stimme hob sich und zitterte ein wenig. »Wir hören vielleicht einmal etwas läuten von Reichtum und Herrlichkeit draußen in der weiten Welt. Wir gönnen es jedem, der dran glücklich wird. Wir brauchen es nicht. Wir haben nie davon geredet, aber jetzt – jetzt müssen wir davon reden, weil sie die Heimat und die Fremde zueinander wägen. Ich tu's nicht. Wie soll ich die Erdscholle und die Wolke miteinander wägen? – Es gehen Häuserschächer um, und ihr verkauft den Boden, auf dem ihr steht. Nachbarn! Wenn sich die Welt zerstört, so fängt es an. Die Menschen werden zuerst treulos gegen die Heimat, treulos gegen die Vorfahren, treulos gegen das Vaterland. Sie werden treulos gegen die guten alten Sitten, gegen den Nächsten, gegen das Weib und gegen das Kind. Sonst ist das Kind in der Heimat ge boren worden, hat in der Heimat seine Jugendzeit verlebt, ihr setzt es in die Fremde, auf Sand.«
»Natürlich«, bemerkte nun der Waldmeister, »wer von dem großen deutschen Vaterland noch nichts gehört hat, der ist freilich fremd, sobald er aus seiner Wiege steigt.«
»Großes deutsches Vaterland!« sagte Jakob, »ein gutes Schlagwort für die Bauernabtrenner, und schon gar, wenn sie aus Polen kommen. Ich aber sage: Wo keine Liebe zur festständigen Heimat ist, da ist auch keine zum Vaterland. Ein Blatt, das vom Baume gerissen ist, flattert noch eine Weile raschelnd im Herbstwind hin und her, ehe es sinkt und verwest. Jetzt ist so ein Wind gekommen, Nachbarn! Ihr raschelt, aber ihr werdet nimmer grün. Ihr seid feige, lauft dem Bauernstand davon, weil er hart und ernsthaft ist. Ihr seid hoffärtig, und weil euch der Wind trägt, so glaubt ihr, ihr wäret Vögel und könntet fliegen.«
»Lieber Vögel als Maulwürfe!« schrie einer drein.
»Der Maulwurf ist ein nützliches Tier«, sagte der Jakob, »wenn er aber Flügel haben und eine Lerche sein wolle! Pfui Teufel!«
»Schön kann er predigen«, lachte der Waldmeister.
»Wenn ein Abschiedsfest ist, meine Herren, so muß auch eine Abschiedsrede sein«, sprach der Jakob, nun halb launig, »sie ist gehalten. Ihr seid draußen, ich mache die Tür zu. Helf' euch Gott!«
Eine Handbewegung machte er noch, als ob er die ganze Festgesellschaft mitsamt dem Steppenwirtshaus von sich schieben wollte, dann ging er davon. Wie tief erregt er war, im Herzensgrunde aufgewühlt!
Die Leute, so am Tische saßen oder durch die leidenschaftlichen Worte des Jakob herbeigezogen umherstanden, schauten sich mit verblüfften Gesichtern an. Was da gesagt worden, war eigentlich doch merkwürdig, und wer es gesagt – das war's noch mehr. So hatte den stillen freundlichen Jakob keiner gekannt!
Der alte Sandler, der vorhin mit geneigtem Haupte dem Jakob zugehört hatte, ergriff jetzt den Arm des Oberförsters und sagte: »Bedenken muß ich's doch erst, Waldmeister, und meinen Buben fragen.«
»Was willst bedenken?«
»Des Hausverkaufens wegen. Bedenken.«
»Aber Sandler!« riefen jetzt mehrere zugleich, »der Kauf ist ja abgeschlossen.«
»Die Herren sind Zeugen!« sprach der Waldmeister auf die Bauern deutend, »und das Geld hast im Sack.«
Der Alte sagte nichts mehr, sondern saß, noch tiefer zusammengekauert, reglos unter der Linde.
Im Hause klang die Zither, johlten die Tanzenden, die Trinkenden, schrillte das Anstoßen der Gläser. Wohl auch dem Sandler zu Ehren galt jetzt das Freudenfest – aber er saß wie leblos dort, und auf seiner Stirne standen kalte Tropfen.
»'s ist ihm halt aufgesetzt gewesen!« würde der Wegerer gesagt haben. Der Wirt kam mit frischem Wein und sprach: »Den schickt dir der liebe Herrgott, weil du brav bist gewest!«
Der alte Sandler trank nicht, er hinkte davon.
Ein Weibchen und kein Nest dazu
Inhaltsverzeichnis
Als der alte Sandler spät abends nach Hause kam, war der Sebast nicht mehr daheim. Der Sebast arbeitete in diesen Wochen, da der Heumahd vorüber und der Kornschnitt noch nicht da war, weit oben in den Wäldern der Herrschaft Rabenberg als Taglöhner. Um Montags rechtzeitig bei der Arbeit zu sein, pflegte er schon am Sonntag abends den stundenlangen Weg hinaufzugehen und in der Holzhauerhütte zu übernachten. Erst Samstags zum Feierabend kam er wieder heim.
Und da war's an diesem nächsten Samstag – ein stiller, sonnengoldiger Augustabend – daß der Sebast, ein Liedel pfeifend, mit seiner Kraxe (Rücktrage) niederstieg zwischen den Feldern des Guldeisnergrundes. Bei den zwei Ahornen genannt, wo die Grenze war zwischen dem Guldeisner- und dem Sandlergut, stand eine, die auf ihn wartete. Sie stand so da und nestelte etwas an ihrem Gewand und knüpfte am Scheitel das Tüchel fester, das sie heute ums Kinn gebunden, und hatte keinen rechten Gruß und keinen Dank für den herantretenden Sebast. Die Dullerl war's.
»Kann dich frei nimmer derwarten«, so redete sie ihn kleinlaut an.
»Gut ist's, da hast mich!« sagte er und wollte sogleich dort wieder beginnen, wo sie am Sonntage aufgehört hatten.
Sie wehrte seinen Kuß und sagte: »Kannst es nicht glauben, was ich Zahnweh habe!«
»Das ist auch ein neuer Brauch«, sprach der Bursche munter, »an einem so schönen Sommertag Zahnweh haben!«
»Zahnweh wär' noch nicht das ärgste«, sagte das Dirndel mit unsicherer Stimme.
»Na, freilich nit. Den reißen wir halt außer.«
»Das Blut steigt mir so zu Kopf – ich weiß nicht...«
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