»Geh', Tschapperl, wegen des bissel Bluts!«
Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte: »Sebast! – Ich – ich hab' schon soviel Angst. Seit Irchtag (Dienstag) oder Mittwoch her hab' ich schon soviel Angst. – Ich weiß nit, Sebast, ob du dir's denken kannst...«
Er schaute sie an.
»Ob du's vermeinst, was es kann sein...«
Er schaute sie lange an und schwieg. Er konnte sich's denken.
Sie weinte und zitterte. Er nahm ihre beiden Hände in die seinen und sagte: »Dullerl! Wie Gott will. Ich verlaß dich nicht.«
»Und mehr brauch' ich nicht zu wissen«, sprach sie aufatmend, »das Zahnweh will ich leicht ertragen.«
»In sechs Wochen bist du Sandlerbäuerin!« sagte er.
»Dank' dir's Gott«, sagte sie.
Noch ein Händedruck. Sie lief den steilen Fußsteig hinab gegen das kleinwinzige Bachhäusel, das aber gar nicht einmal ihr und auch nicht ihrem Vater gehörte, sondern zum Steppenhof und mitsamt diesem dem Kampelherrn. Es war kein lustiger Aufenthalt gewesen in diesem Häusel; im Jahre nur sieben Wochen lang schien des Tages eine kurze Stunde die Sonne darauf, und Vogelgesang war niemals, weil die Sandach wild rauschte vor der Hütte. Mit Tagwerken und Kohlenbrennen und mit Beihilfe einer Ziege, in besten Zeiten einer Kuh, gewannen sie ihr armes Leben von Tag zu Tag. Aber jetzt soll es besser werden, beim Sandlerhof oben scheint die Sonne im Winter und im Sommer, singen die Vögel im Winter und im Sommer. – Das bissel Zahnweh duldet sie gern. – Nur ein kleines Heiratsgut hätt' ich ihm mögen mitbringen, dachte sie in ihrem stillen Glück. Er ist so gut und fragt nicht danach, er hat ja seinen Sandlerhof. Ich bin wohl glücklich, wenn ich's bedenke wie es anderen geht, die mit dem Kinde in harten Diensten umwalgen müssen, oder gar um was anhalten gehen müssen zu den Häusern. Mein Gott, was eine eigene Heimstatt wert ist! Das Zahnweh leid' ich gern.
Das war ihr leidvolles, freudvolles Denken.
Und unter ähnlichen Gedanken ging der Sebast seinem Hause zu. Nun, so wollen wir bald Ernst machen in Gottesnamen.
Als er gegen den Hof kam, trieb der alte Sandler just das Vieh zur Tränke. Die Ochsen standen der Reihe nach am langen Brunnentrog und schlurften mit ihren großen Schnauzen denselben bis zur Hälfte leer. Der Jodel war auch dabei, aber dem ging's mehr nach Allotria, als nach Wasser. Er legte seinen klotzigen Kopf auf die Rücken der anderen und sprang gelegentlich gar mit den Vorderfüßen hinauf, so daß der Alte mehrmals rief: »Gehst hinteri, du Sackra!« und den übermütigen Stier mit der Peitsche zurückscheuchte.
Als der alte Sandler jetzt seinen Sohn daherkommen sah, den er seit acht Tagen nicht mehr gesehen hatte, wurde ihm etwas ungleich zumute. Er war sich nicht klar, wie er dem Sebast die Neuigkeit mitteilen sollte, falls der noch nichts davon wußte. – Einverstanden wird er doch wohl sein? dachte der Alte, ist zwar ein Trotzkopf, manchmal. Na, er ist ja gescheit. Gefreuen wird's ihn.
»Bist da, Sebastel?« rief er ihm mit einem schmiegsamen Stimmlein entgegen.
»Gottlob ja, daß ich wieder daheim bin«, antwortete der Bursche und legte seine Rücktrage auf eine Wandbank.
»Müd' wirst sein, gelt!« sagte der Alte. »Ist kein Leichtes, das Holzhacken die ganze Woche. Und nachher daheim wieder die harte Arbeit. Denk' mir oft – gehst hinteri, verfluchter Pölli! – denk' mir oft, kunnt'st es besser haben. Und derbarmen tust mir. Im Krebsauer Eisenwerk draußen, sagen sie, müßt' sich der Mensch lange nicht so plagen und hätte einen besseren Lohn, einen viel besseren. Ja. Da tut man sich's – wart', du schwarzes Ludervieh, ich will dir helfen, wenn du sie nicht trinken laßt! Die verdammte Remmlerei alleweil! – Da tut man sich's, hab' ich wollen sagen, besser machen, wenn man kann.«
»Bin schon zufrieden wie es ist«, entgegnete der Sebast.
»Ist eh recht, ist eh recht«, sagte der Alte.
»Mag ja sein, daß ich mir manche Sach' ein bissel bequemer einricht auf dem Hof.«
Der Alte horchte so ein wenig hin. »Auf dem Hof, sagst? Ist nicht viel Freud' zu machen. Überall geht's uns besser, als auf dieser alten Krammel. – Drei Tausender gibt er, der Kampelherr, für den Sandlerhof. Sebast, was sagst dazu?«
»Wenn's auf mich ankommt: Das Sandlerhaus ist nicht feil«, sagte der Bursche kurz und wollte in das Haus treten. Der Alte hastete ihm nach, legte ihm zärtlich die Hand auf den Arm und kicherte: »Lachen wirst, Sebastel, lachen wirst. Wir zwei sind keine Bauern mehr, wir zwei, hi, hi. Sind Herren jetzund. Haben Geld im Sack.«
Der Sebast blieb stehen, starrte den Alten an und sagte heiser, schier ganz heiser: »Vater! Das Reden wird doch nichts bedeuten!«
»Ja, mein braver Sebastel«, rief der Alte mit krampfhafter Fröhlichkeit, »ich habe dir die Sorgen aufgeladen und hab' sie dir auch wieder abgenommen. Es ist nichts mehr zu machen in Altenmoos. Alle sagen's. Es ist nichts mehr zu machen. Und rechtschaffen gut hab' ich verkauft. Sagen's alle.«
Der Sebast trat von der Türschwelle zurück, taumelte an die Wand hin, als wäre ihm ein Schlag geschehen. – »Da – da hat man's!« stöhnte er endlich.
»Gelt, die Überraschung, Sebastel! Gelt!« keifelte der alte Bauer. »Willst das Geld sehen? Bar hat er mir's auszahlen lassen, bar. Und den Winter über, wenn wir wollen, dürfen wir noch im Hause bleiben.«
»Dürfen wir?« rief der Bursche. Dann fuhr er wild auf: »Der Teufel hat Euch geritten! Ein schlechter Vater, der seinem Kind das Haus vertut! – Oh, Gott, mein Haus!« Er lehnte sich an die Wand und legte einen Arm über sie hin, als ob er das Haus umfangen und halten wollte.
Der Alte hatte sich auf einen Holzblock gesetzt und wieder in sich zusammenbrechend, wie dazumal am Lindentisch, murmelte er: »Ich hab' mir's gedacht.«
Plötzlich sprang der Sebast hin gegen den Vater und mit geballten Fäusten rief er: »Ich muß ein Haus haben! Ich muß heiraten. Ich hab' eine, der ich's schuldig bin worden!«
Der alte Sandler zuckte ein. Dann schlug er die Hände zusammen: »Aus ist's! Vorbei ist's! – Schuldig worden ist er's einer...«
Wie der Rodel vertrieben worden ist
Inhaltsverzeichnis
So sank Zweig um Zweig, Ast um Ast – Glied um Glied von der Gemeinde Altenmoos.
Jakob Steinreuter stand fest. Er ließ keinen neuen Brauch in sein Haus, kein Lotterbett, keinen Prunkspiegel, wie man solcherlei jetzt zu wohlfeilen Preisen bekommen konnte. Er ließ bei dem Gewande der Seinen keine Seidenstoffe zu, kein flunkerndes Bänderwerk, wie diese Dinge anhuben, überall Mode zu werden. Er blieb bei der angestammten Einfachheit in allem. Etliche Dienstboten waren ihm deshalb freilich schon abspenstig geworden, um so heimlicher lebte er mit den übrigen zusammen. Den alten Luschelpeterl, der schon über dreißig Jahre lang im Hause war, achtete er wie einen Oheim, und von dem jungen Knecht, dem Bertl, den er erst vor kurzem ins Haus genommen, verhoffte er einen auf weitere dreißig Jahre. Der Jakob sah auf Fleiß und Treue, überbürdete keinen mit Arbeit, duldete aber auch keinen Müßiggang. Er gab jedem das Seine, und jeden, der in seinem Hause lebte und arbeitete, rechnete er wie zu seiner Familie. Ihm selbst verging die Zeit unter rüstiger, fruchtender Arbeit und in häuslicher Traulichkeit und Beschaulichkeit. Manchmal, wenn er rastete, blickte er die Wände, das Dach seines Hauses an und freute sich an diesem lieben, uralten Heim.
Lange hatte es mit dem Jakob der Nachbar Rodel gehalten. Des Rodels Sprichwort war: »Ich geh' nit. Mein Haus und Grund laß ich nit, und von Altenmoos geh' ich nit.« Auch er konnte es nicht vergessen, daß einmal eine Zeit gewesen zu Altenmoos, in der keine fremden herrischen Leute umhergestrichen waren, und als dahier der Mensch noch mehr wert gewesen, denn der Hirsch. Er war der Meinung, daß eine solche Zeit wiederkommen müsse, also: »Von Altenmoos geh' ich nit, und mein Vaterhaus verlaß ich nit.«
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