Der Natz schüttelte den Kopf: »Zigeunertanz, den kann ich halt auch nit, lieber Herr. Ich kann halt gerade nur den Steirischen.«
»Musikant, du bist dein Geld wert!« spottete der Waldmeister.
»Ich nehm' kein's. Bedank' mich, ich nehm' kein's«, sagte der Alte rasch und schob das Silberstück noch weiter zurück.
»So zithere uns deinen Steirischen vor in des Teufelsnamen! »rief der Waldmeister und stellte sich mit einer drallen Bäuerin zum Tanze auf.
Der Pechölnatz spielte bedachtsam, ja fast feierlich seinen Steirischen. Er klopfte mit den Fußspitzen den Takt dazu und wiegte mit dem Graukopf. Die ganze Stube war voll von Tänzern, sie strampften mit den Füßen, klatschten mit den Händen, schnalzten mit der Zunge, jauchzten und drehten ihre Weibsbilder, daß die Röcke flogen, und all das in behaglich mäßigem Takte der Zither.
Plötzlich brach der Natz mitten im Reigen das Spiel ab. Des Wirtes dreijähriges Töchterl war er ansichtig geworden, das an der Tür stehend, den Finger im Munde mit weit aufgespannten Augen dem Treiben zuschaute.
»So geh' her!« schmunzelte ihr der Natz zu, »geh' her da zu mir, Dirndel!«
Die Kleine ließ sich nicht lange locken, sie kannte den Mann recht wohl, der ihr erst vor kurzem die Kinderpuppe namens Mitzerl geschenkt hatte, sie lief zwischen den Tänzern zu ihm hin, und er hob sie auf seine Knie.
»Was will das bedeuten?« fragte der Waldmeister erbost über das so willkürlich abgebrochene Spiel. »Wir wollen tanzen!«
»Nur Zeit lassen, schön Zeit lassen«, antwortete der Natz gutmütig, »wir werden es schon machen. Zwei richten mehr aus, wie eins. Gelt, Dirndel?«
Er spielte wieder; auch die Kleine tastete gleichzeitig mit ihren runden Fingerchen auf den Saiten herum, daß es eine recht ungefüge Harmonie gab.
Der Waldmeister tat ärgerlich einen Fluch und verließ den Tanzboden.
»Da hat das Kind wieder einmal den Teufel verjagt«, lachte der Steppenwirt und trug auf der Blechtasse des Waldmeisters Wein hinaus an den Lindentisch, wo sich selbiger niedergelassen hatte. Dort am Tische saß auch der Sepp in der Grub, der Zwieselbaumer, der Waldstuber und der alte Sandler.
Der Sandler kauerte schier armselig da, selbst beim Sitzen noch die Hände auf den Stock stützend, den er zwischen den Beinen auf den Boden stemmte. Eine Hand war mit Lappen umwickelt, denn die Gicht will warm haben, sonst hebt sie an zu zwicken. Das Haupt hielt er scharf nach vorwärts gespannt, denn er war etwas »großhörig«, wie zu Altenmoos die Schwerhörigkeit so stattlich benannt wird. An seinen Beisitzern war nicht die Schuld, wenn er manchmal etwas uneben verstand, sie schrien in ihn hinein, »wie in ein taubes Roß«. Sie waren just daran, ihren lieben Nachbar zu seinem Glücke zu drängen; er sagte wenig dazu, schüttelte aber bisweilen ein bißchen den Kopf. Ja, das Glück wäre schon recht, aber wer weiß, ob's nicht ein falsches ist. Und ein falsches Glück ist ein echtes Unglück.
Der Sepp wendete sein Haupt nach dem Wege hin, denn dort ging jetzt der Reuthofer heran. Der Jakob kehrte erst von Sandeben zurück, wo er in der Kirche gewesen war, und tat nichts desgleichen, als ob er beim Steppenwirt einkehren wollte. Er war seit einiger Zeit ernster und verschlossener als sonst. Das Unglück mit dem Knaben... Es möchte ihm eine Aufheiterung bei Wein und Kameraden nicht schaden. Der Sepp winkte ihm über die Planke, er solle doch nicht gar so stolz vorbeigehen. Ob er denn nicht durstig geworden sei von Sandeben her?
»Seit zwei Stunden gehe ich neben dem Wasser«, entgegnete der Jakob.
Der Sepp und der Waldstuber gingen hinaus. »Jakob«, sagten sie, »das darfst uns nicht antun, daß du uns abspenstig wärest an diesem Tag. Wir haben gut Nachbarschaft miteinander gehalten, wir wollen als gute Kameraden auseinandergehen. Einen Krug Wein mußt du heute wohl mit uns trinken, das geht nicht anders. Wer weiß, wann wir wieder einmal zusammenkommen. So jung nimmer wie heut'. Auf dich haben wir alleweil was gehalten, Jakob. Schade, daß du nicht mit uns gehst in die schöne Welt hinaus. Aber ins Wirtshaus geh' mit uns. Geh', komm!«
Sie nahmen ihn am Arm, er ging willenlos mit ihnen. Feindselig wollte er nicht sein, er ging mit ihnen.
Am Lindentisch, wo auch der Waldmeister jetzt bei den Bauern saß, ließen sie sich nieder. Der Waldmeister hatte eben den alten Sandler in der Arbeit und redete ihm halb ernsthaft, halb hänselnd zu von wegen Verkauf des Sandlerhofes. Zum Glück verstand der Gebirgsbauer das Deutsch nicht recht, das der Pole in der Absicht, die Bauernmundart nachzuahmen, hier vorbrachte. »Dös Bauern müsset wohl dö Sache halt überlegen. I bitt' Ihnen, da gibt's nix nit zum Überlegen nit, alsdann! Halt lieber am Hungertuch nagen, wie altes Gerümpel verkafen. Nit? Wann's halt dös Bauern amal g'scheit werd's! Dö alten Kaloppen! San halt eh' nix wert. Fort damit!« – An die Umsitzenden wandte er sich, daß sie es bestätigten.
Tat jetzt der Jakob den Mund auf und sagte: »Wenn unsereiner so allein des Weges geht, da fällt einem allerhand ein. Ist mir voreh' das Kruziloch eingefallen, ihr kennt es ja?«
»Oben auf der Höh', vom Freisingtal herüber«, bemerkte der Waldstuber. »Die Höhlen soll neuzeit stark verfallen sein, kann keiner mehr durch.«
»Ist vor Wochen ein Herr aus Wien dagewest«, erzählte der Steppenwirt, »muß so ein Löchersucher sein gewest, hat alten Höhlen nachgefragt. Ja, sag' ich, das Kruziloch, wenn's dem Herrn nicht zu finster ist. Geht hinauf und wie er wieder zurückkommt, ist er voller Freud', und er hätt' was gefunden. Zum wenigsten, denk' ich, ein Trum Gold. Ist aber nichts, als so ein grauer Stein gewest, das weiß ich. Er sagt, er hätt' eine Steinsammlung. Die haben wir Altenmooser auch, sag' ich. Nur nit in der Blasen!«
»Vor Zeiten soll von der Krebsau herüber der Fußsteig durch das Kruziloch gegangen sein«, sagte der Sepp. »Zehn Minuten lang hat man durch die Höhle gebraucht und hat eine Stunde Weg abgekürzt.«
»Ist mir eingefallen unterwegs«, fuhr der Jakob fort, »daß – wie die Pest in der Sandeben ist gewesen, die Leut' eine Bittprozession ins Kruziloch haben gemacht. Mitten drin soll ja ein Tropfstein stehen, wie ein Muttergottesbild anzuschauen. Davor ist eine Mess' gelesen worden. Die Pest hat nachher aufgehört. So hab' ich mir gedacht, jetzt kunnten wir auch wieder eine Prozession ins Kruziloch machen.«
»Habt's ihr auch die Pest?« fragte der Waldmeister spöttisch.
»Leider Gottes, ja«, antwortete der Jakob ernsthaft. »Arg grassiert sie, es vergeht kein Tag mehr, ohne daß sie einen hinwegrafft. Wenn es so fortgeht, ist Altenmoos bald eine menschenleere Wildnis. Heut' ist in diesem Wirtshaus ein Totenfest.«
»Daß sich der Reuthofer vor Ansteckung nicht fürchtet!« bemerkte der Waldmeister.
»Mir wird die Auswanderungspest nicht gefährlich«, sagte der Jakob. »Dem Nachbar Sandler hingegen möchte ich schier raten, daß er sich davonmachen soll.«
»Für einen solchen Rat wollte ich mich bedanken«, darauf wieder der Waldmeister. »Wenn ich das Glück habe, mir etwas zu verbessern und so ein guter Nachbar möchte mich davon abhalten! Ist's ein Wunder? Jeder denkt auf sich selber, und weil der eine seinen Besitz nicht anbringt, so will er halt auch dem anderen daran hinderlich sein. Ich glaube es wohl, daß ihm die Weile lang werden wird – als Einsiedler in Altenmoos.«
Der Jakob hatte die Faust auf den Tisch gelegt, klopfte mit den Fingerrippen etlichemal auf das Brett; zwei-, dreimal hob sich die Faust, legte sich aber wieder zurück, und der Jakob schwieg.
Der Waldstuber und der Zwieselbaumer hatten sich dem alten Sandler zugewendet und stellten ihm vor, wie es nun werden müsse in Altenmoos und mit dem Sandlerhause. – Die Nachbarn haben verkauft. Die Bauern in dieser Gegend sind aber auf gegenseitiges Zusammenhalten angewiesen. Die Leute weniger. Auch kaum Dienstboten mehr. Alles weiß sich draußen besseren Erwerb, und der Mensch will von der Welt was haben. Die Wege werden verwildern, der einzelne kann sie nicht imstand halten. Auf den brachliegenden Feldern wird Wald wachsen, im Walde Wild, das frißt den Einödbauer auf. Da ist kein Bestehen. Der Hof schützt auch nicht mehr vor dem Soldatenleben. Das neue Gesetz! Wenn der Sandler einen Haufen Kinder hätte, die den Heimgang ins Elternhaus haben wollten. Ja. Aber das ist nicht. Der einzige Sebast. Und der lebe hundertmal besser draußen mit Bargeld. Und was würde es dem Alten wohltun, nicht allemal, wenn er eine Kirchenglocke hören will, den weiten Weg machen zu müssen! Beim Treidler in Sandeben ist ein Stübel zu haben, vor dem Fenster die Kirche, untenauf der Weinkeller. Für einen mühseligen Menschen ist das was wert. Das Glück meldet sich selten zu Altenmoos, aber wenn es sich meldet, da sollt' man's nicht mit dem Fuße von sich stoßen.
Читать дальше