Die Dullerl – der er gedachte – war heute daheim in ihrem Bachhäusel beim Vieh. So wollte es auch dem Sebast nicht behagen im Wirtshaus. Was gehen ihn die Auswanderer an! – Er verließ das Wirtshaus, ging über die Sandachbrücke und an dem scharf niedertosenden Wässerlein eines Seitengrabens entlang hinauf gegen seinen Hof. Er war immer gern daheim, und besonders wenn man nicht gut gestimmt ist, tut sich's daheim besser, als unten beim Wirt. Höchstens zum Raufen, sonst ist er heute zu nichts aufgelegt.
Der Sebast war nicht gar hoch gewachsen, aber dafür wohl untersetzt und kernig. Auf dem sehnigen Leib saß ein stattlicher Kopf, an dem die Haare stets kurz geschoren waren, weil es der Bursche liebte, des Morgens und des Abends das Haupt in den Wassertrog zu stecken. Er hatte in seiner Kindheit viel an Augenentzündung gelitten und da war er auf den Gedanken gekommen, das Blut in andere Winkel des Körpers zu jagen, wo es weniger Übel anrichten könne, als in den Augen. Diese waren nun wirklich recht gesund, klar und keck geworden, und so viel Geblüt war immer noch im Kopf geblieben, um frischrote Wangen und Lippen zu besorgen. Mit dem Bart sah es noch etwas kümmerlich aus, sintemal der Mensch mit zwanzig Jahren sein Wachstum besser verwerten kann, als um mit ihm aus jungem Fleisch und Blut Haare hervorzuspinnen, die doch keine Freude geben, hingegen Schmerzen machen, wenn eine Bosheit kommt und daran umzupft. Nur bei einer, dachte sich der Sebast manchmal, bei einer einzigen müßte das Zupfen Spaß machen, doch dieselbige – dieselbige ist so gottlos rückhältig... Geheiratet wird sie aber doch.
Am Waldstuber Feldrain dahin ging eine Gruppe von jungen Leuten, Burschen und Dirndeln durcheinander. Sie schäkerten, sie liefen auseinander, spielten Abfangen und schritten dann wieder zu Paaren langsam dahin.
Sie huben an zu singen. Eines der Dirndeln begann:
»Wann die Glock'n hell klingt
Und das Büaberl schön singt
Und der Kuckuck recht schreit,
Ist die lustige Zeit!«
Diese Veranlassung benützte ein Bursche zu folgendem Liedel:
»Im Tauern tuat's schauern,
Tuat's Grießerln werfn,
Und ih werd' mei Dirndel
Doh gern habn derfn!«
Hierauf sang sie:
»Ih Nixnutz, du Nixnutz,
Geld habn mir all's verputzt,
Ih nix schön, du nix schön,
Wie wird's uns geh'n!«
Der Bursche legte seinen Arm um den Nacken der munteren Sängerin und trällerte:
»Z'nächst habn ma 's Wiesel g'maht,
's Dirndel hat d' Mahd'n ausg'strat (gestreut),
Habn uns in Schattn g'setzt,
Habn amal g'wetzt.«
Auf solches entgegnete das Dirndel:
»'s Wetzn is lusti,
Wann d'Sensn schön klingt,
Aber lustiger is's,
Wann da liabsti Bua kimmt.«
So waren sie nach und nach gegen den jungen Lärchenanwachs gekommen, der Fußsteig führte hinein.
Der Sebast hatte der fröhlichen Gesellschaft von weitem zugeschaut und zugehört. Jetzt, da er sie nicht mehr sah, wollte ihm schier seine Einsamkeit anheben, wehzutun.
Hinter dem Sandlerhause, am Raine des Pfrängers standen etliche Wildkirschenbäume. Die einen trugen rote Kirschen, die anderen schwarze; reif waren beide Gattungen. Die schwarzen sind süßer, die roten sind würziger, dachte sich der Sebast und stieg rasch einen Baum hinan, der rote Kirschen trug. Er atzte sich; das ist besser wie der Steppenwirtswein. Und vom Guldeisner Almosenwein trinken, steht ihm nicht an. Die Kerne schnellte er mit den Lippen ins Laubwerk, zwischen dem sie zu Boden rieselten. Es heißt, daß aus jedem Kirschkern, der in die Erde kommt, ein Baum wachsen kann. Dann hat der Sandler-Sebast alle Kirschbäume, die in fünfzig Jahren an diesem Platze stehen werden, im Mund gehabt.
Da sollte nun aber dieser Sonntagsnachmittag für den Burschen eine ungeahnte Wendung nehmen.
Lange hatte er noch nicht Rotkirschen gepflückt, als unten auf dem Wege etwas dahertrappelte. Etwas Sechsfüßiges war's. Des Bachhäuslers Dullerl kam und führte am Strick ein falbes Rind. Als sie merkte, daß jemand oben im dicken Geäste des Baumes war, sagte sie zu ihrer Gefährtin: »Oha, bleib' stehen.« Dann rief sie hinauf: »Ist der Sandler oben? Unsere Kalm hätt' ich da und mein Vater läßt schön bitten um den Jodel!«
»So«, antwortete der Bursche oben im Laubwerk.
»Vor vierzehn Tagen«, berichtete das Dirndel, »bin ich mit ihr beim Grubbauer Jodel gewest, der ist aber nichts nutz, und sie ist nicht geblieben. Heute hat ihr der Vater einen lebendigen Fisch eingegeben, und jetzt, denk ich, wird's es wohl tun. Bitt' gar schön. Will nachher gern einen halben Tag Korn schneiden helfen dafür.«
»Ist schon recht«, sagte der Bursche, stieg rasch niederwärts und sprang auf den Rasen. Schier erschrak sie. »Du bist es, Sebast«, sagte sie verblüfft, »jetzt hab' ich bumfest gemeint, es wär' dein Vater oben.«
»Mein Vater, der ist heut' bei der Lustbarkeit«, antwortete der Bursch. »Wart', Dullerl, tu' deine Kalm da in den Pfränger, ich mach' die Schranken auf. So. Und jetzt werd' ich ihn gleich bringen.«
Er ging in den Stall und kam bald mit dem klotzigen Rind zurück, das einen dicken Hals mit schlotternder Fahne hatte, an Farbe fast schwarz war bis auf die weißverbrämte Schnauze und den lichten Streifen über das Rückgrat hin. Der Bursche hatte den stattlichen Gesellen fest bei einem der kurzen dicken Hörner gefaßt, dergestalt leitete er ihn herbei und durch die Schranke in den Pfränger hinein zur Kalm.
»So«, sagte er hierauf und schloß die Schranke. »Wir zwei können derweil Kirschen essen. Magst ihrer, Dullerl?«
»Kirschen mag ich schon«, antwortete sie, blickte ihn aber nicht an, sondern ging von ihm hinweg gegen den Gartenzaun hinüber, wo man weder auf den Pfränger noch auf die Kirschbäume sehen konnte. Dort lehnte sie sich an die Planke und betrachtete den schönen Salat, die vielen gelben Rüben und den Meerrettich, so die Sandlerleute hatten.
Lange ließ sie der Sebast nicht allein, er kam und brachte in seiner Zipfelmütze Kirschen. Rote und schwarze durcheinander.
»Magst dich nicht in den Schatten setzen?« fragte er das Dirndel. Es war ein Holunderbusch in der Nähe.
»Mir schadet auch die Sonne nicht«, gab sie zurück.
»Willst 'leicht noch besser zeitig werden?« fragte er und blinzelte sie an.
Um diese Meinung Lügen zu strafen, setzte sie sich in den Schatten des Holunderbusches.
Er setzte sich langsam zu ihr, tat auf dem Rasen seine Zipfelmütze auseinander und lud sie ein: »Laß dir's schmecken, Dullerl.«
Sie griff zu und griff immer nach den schwarzen. Er wendete sich herwärts, stützte seinen Arm auf die Erde, den Kopf auf den Ellbogen und schaute sie an. Herzig war sie. Ihr gelbseidenes Haar hatte sie zu einem langen Zopf geflochten und den Zopf wie einen Kranz um das Köpfel gewunden. Die schwarzen langen Augenwimpern senkten sich wie Dachvorsprünge über helle Fensterlein. Die roten vollen Lippen waren wie zwei sachte aneinandergelegte Kißchen und das Stumpfnäslein stülpte sich ein wenig auf, als wollte es sagen: Sebastel, wenn du etwa bei den Lippen was zu schaffen haben solltest, ich stehe dir nicht im Wege.
»Dullerl«, flüsterte der Bursche, »jetzt hab' ich dich einmal, wo ich dich haben will.«
»So«, entgegnete sie spitzig, »das wäre mir was Neues.«
»So selten allein kann eins mit dir sein.«
»Und bei mir bist auch nicht allein«, lachte sie, »haben eh' nichts zu tun beieinander.«
Er spielte mit einem Grashalm und entgegnete leise, fast gedrückt: »Da bin ich anderer Meinung. Schau, Dirndel, einmal müssen wir's doch richtig machen miteinand'. Weißt eh', weswegen.«
Sie spielte jetzt mit einem Kirschenstengel, den sie auf ein Kleeblatt wie auf eine Wagschale legen wollte. Das Blatt neigte sich aber immer und ließ den Stengel hinabgleiten. Endlich hielt er fest, da sagte sie fast traumhaft leise und ohne aufzublicken: »Heiraten.«
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