»Sagen Sie, bitte, wie lebte denn Ssofja Michailowna hernach?«
»Mit den zehntausend? Schwachissime ... Gott weiß, ob sie toll wurde, oder ob sie der Stolz und das Gewissen zu quälen begannen, daß sie sich für das Geld verkauft hatte, oder ob sie Sie geliebt hat – aber sie fing an zu trinken ... Kaum hatte sie das Geld erhalten, als sie auf Troikas mit Offizieren herumzufahren begann ... Trinkgelage, Orgien, Liederlichkeit ... Und wenn sie so mit den Offizieren im Restaurant saß, trank sie nicht etwa was Leichtes, wie Portwein oder so, sondern Kognak, daß es gleich brannte und berauschte.«
»Ja, sie war sehr exzentrisch ... Ich habe daran genug zu leiden gehabt ... Wenn sie sich mal gekränkt fühlte und mit ihren Nerven anfing ... Und was wurde denn dann?«
»Es verging eine Woche, die andere ... Ich saß zu Hause und schrieb gerade etwas ... Plötzlich öffnete sich die Tür und herein kommt sie ... betrunken ... ›Nehmen Sie‹, sagt sie, ›Ihr verruchtes Geld zurück!‹ und wirft mir damit das Päckchen ins Gesicht. Konnte es also nicht aushalten! Ich nahm das Geld auf, zählte es ... Fünfhundert fehlten ... Mehr als das hatte sie noch nicht durchbringen können ...«
»Was taten Sie denn mit dem Gelde?«
»Na, 's ist ja verjährt ... was braucht man's zu verheimlichen ... Natürlich behielt ich's! Was sehen Sie mich so an? Warten Sie was weiter kommt ... Ein ganzer Roman, Psychiatrie! So ungefähr zwei Monate später komm' ich mal nachts nach Hause, betrunken, scheußlich ... Ich zünde das Licht an und sehe, bei mir auf dem Sofa sitzt Ssofja Michailowna, auch betrunken, zerzaust, wild, wie aus dem Irrenhaus entsprungen ... ›Geben Sie‹, sagt sie, ›mir mein Geld zurück, ich hab' mich bedacht. Soll man schon sinken, dann wenigstens mit Wucht, wenn schon, denn schon! Rühren Sie sich, Sie Schuft, das Geld her!‹ Schrecklich!«
»Und Sie ... gaben es?« »Ja, zehn Rubel glaub' ich ...«
»Ah, wie kann man nur?« rief voll Entsetzen und Ekel Uselkow. – »Wenn Sie selbst nicht konnten oder wollten, hätten Sie doch wenigstens mir geschrieben ... Und ich hab' es nicht gewußt? Ah, nicht gewußt!«
»Ja, mein Lieber, zu was sollte ich Ihnen denn schreiben, wenn sie Ihnen selbst schrieb, später, als sie im Hospital lag?«
»Uebrigens war ich damals so sehr mit meiner neuen Ehe beschäftigt, so berauscht, hatte was anderes als Briefe im Kopf ... Aber Sie, ein fremder Mensch, konnten Ssofja gegenüber keine Antipathie empfinden ... warum reichten Sie ihr nicht die Hand?«
»Mit der jetzigen Elle dürfen wir nicht messen, Boris Petrowitsch ... Jetzt denken wir so, und damals dachten wir ganz anders ... Jetzt hätte ich ihr vielleicht tausend Rubel gegeben, damals gab ich aber auch die zehn ... nicht umsonst ... Eine häßliche Geschichte ... Man muß sie vergessen ... Da sind wir ja schon ...«
Der Schlitten hielt am Friedhofstor. Uselkow und Schapkin stiegen aus, gingen durchs Tor hinein und schritten eine lange breite Allee entlang ... Die nackten Akazien und Kirschenbäume, die grauen Kreuze und Grabsteine glänzten in silbernen Reifgewand. Aus jeder Schneeflocke strahlte ihnen der sonnige Tag entgegen ... Es duftete wie auf allen russischen Kirchhöfen: nach Weihrauch und frischgegrabener Erde...
»Einen netten Friedhof haben wir!« sagte Ufelkow. »Wie ein Garten!«
»Ja, nur schade, daß die Diebe die Grabdenkmäler wegstehlen ... Sehen Sie dort unter jenem Eisenkranz, rechts ist Ssofja Michailowna beerdigt! Wollen Sie hingehen?«
Die Freunde bogen rechts ein und schritten durch den tiefen Schnee auf das Grabmal zu.
»Hier ...« sagte Schapkin, einen kleinen Leichenstein aus weißem Marmor bezeichnend ... »Irgendein Fähnrich hat ihn auf ihr Grab gesetzt ...«
Uselkow nahm langsam seine Mütze ab und zeigte der Sonne seine Glatze. Ihm nach nahm auch Schapkin die Mütze ab, und eine zweite Glatze erglänzte in der Sonne. Ringsum eine Grabesstille, als wäre auch die Luft tot ... Die Freunde starrten das Denkmal an und schwiegen, in Gedanken versunken.
»Ja,« unterbrach Schapkin das Schweigen, »so schläft sie nun, – und was kümmert's Sie jetzt, daß sie die Schuld auf sich genommen hat und Kognak getrunken hat. Gestehen Sie, Boris Petrowitsch!«
»Was denn?« fragte finster Uselkow.
»Das ... wie schlimm auch die Vergangenheit ist, ist sie immer besser, als dieses hier ...«
Und Schapkin wies auf sein Greisenhaar.
»Früher, wer dachte da an die Todesstunde? Vor nichts hatte man Angst – vor dem Tode am wenigsten ... Und jetzt ... na, lassen wir's!«
Uselkow wurde traurig. Er wollte weinen, so leidenschaftlich, wie er einst lieben wollte ... Und er fühlte, daß für ihn das Weinen gut und erfrischend gewesen wäre ... Die Augen waren ihm feucht, und im Halse zog es sich schon zusammen, aber ... nebenan stand Schapkin, und Uselkow schämte sich, einen Zeugen seiner Kleinmütigkeit zu haben. Er kehrte sich hastig um und schritt auf die Kirche zu.
Erst zwei Stunden später, nachdem er mit dem Vorsteher sich auseinandergesetzt hatte, benutzte er die Gelegenheit, daß Schapkin sich in ein Gesprach mit dem Geistlichen vertiefte, und lief hin, um zu weinen... . Er stahl sich heimlich wie ein Dieb, immerfort umsehend, an das Grabmal heran. Melancholisch und trübe blickte auf ihn der kleine, weiße Leichenstein, und so unschuldsvoll, als wenn unter ihm ein kleines Mädchen und nicht eine liederliche, geschiedene Frau begraben wäre... .
– Nur weinen, weinen! dachte Uselkow.
Aber der Moment dazu war verschwunden. Wie auch der Alte mit den Augen zwinkerte, wie sehr er sich auch auf Moll zu stimmen suchte, aber die Tränen wollten nicht rinnen, und die Kehle schnürte sich nicht mehr zusammen... . Nachdem Uselkow ungefähr zehn Minuten so dagestanden hatte, raffte er sich auf und ging, um Schapkin aufzusuchen.
Inhaltsverzeichnis
Übersetzt von Alexander Eliasberg
Im Raucherabteil des Personenzuges, der aus Petersburg nach Moskau ging, saß der junge Oberleutnant Klimow. Sein Gegenüber war ein älterer Herr mit glattrasiertem Seemannsgesicht, wohl ein vermögender Finne oder Schwede, der während der ganzen Fahrt an seiner Pfeife sog und immer über das gleiche Thema sprach:
»Ha, Sie sind Offizier! Auch mein Bruder ist Offizier, aber bei der Marine... . Er ist Seeoffizier und dient in Kronstadt. Wozu reisen Sie nach Moskau?«
»Ich diene in Moskau.«
»Ha! Haben Sie Familie?«
»Nein, ich wohne mit meiner Schwester und meiner Tante.«
»Auch mein Bruder ist Offizier, Seeoffizier, aber er ist verheiratet, er hat eine Frau und drei Kinder. Ha!«
Der Finne staunte über etwas, grinste idiotisch, so oft er sein »Ha!« ausstieß, und blies jeden Augenblick seine übelriechende Pfeife aus. Klimow, der sich unwohl fühlte und dem es schwer fiel, alle die Fragen zu beantworten, haßte ihn mit ganzer Seele. Er dachte sich, wie gut es wäre, wenn man ihm die Pfeife aus der Hand reißen und unter die Bank werfen, und ihn selbst in ein anderes Abteil verjagen könnte.
– Ein ekelhaftes Volk sind diese Finnen und ... auch die Griechen, dachte er sich. – Ein ganz überflüssiges, ekelbaftes Volk, das kein Mensch braucht. Sie nehmen nur umsonst Platz auf dem Erdballe ein. Wozu sind sie überhaupt da? –
Dcr Gedanke an die Finnen und Griechen erregte in seinem ganzen Körper eine Art Uebelkeit. Vergleichshalber wollte er nun an die Franzosen und Italiener denken, aber der Gedanke an diese Völker weckte in ihm nur die Vorstellung von Leierkastenmännern, nackten Weibern und den ausländischen Oeldrucken, wie sie seine Tante über der Kommode hängen hatte.
Der Offizier fühlte sich überhaupt nicht ganz normal. Seine Arme und Beine konnten auf dem Sofa nicht richtig Platz finden, obwohl es ihm ganz zur Verfügung stand; er hatte ein trockenes und klebriges Gefühl im Munde, und der Kopf war ihm mit einem schweren Nebel gefüllt; seine Gedanken regten sich, wie es ihm schien, nicht nur im Schädel, sondern auch außerhalb des Schädels, zwischen den Sofas und den in nächtliches Dunkel gehüllten Menschen. Durch den Nebel hindurch hörte er wie im Traum das Murmeln der Stimmen, das Klopfen der Räder und das Zuschlagen der Türen. Die Glockenzeichen, die Pfiffe der Schaffner, das Herumrennen des Publikums auf den Bahnsteigen waren viel öfter zu hören als gewöhnlich. Die Zeit flog schnell und unmerklich dahin, und darum schien es ihm, daß der Zug jede Minute an einer Station hielt, und jeden Augenblick hörte er die metallischen Stimmen:
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