Und auch jetzt, als er in einer Laube saß und an das bevorstehende Examen und an seine Mama, über die sich alle lustig machten, dachte, fühlte er ein mächtiges Verlangen, Njuta (so nannten die Schumichins Anna Fjodorowna) zu sehen, ibr Lachen und das Rascheln ihres Kleides zu hören ... Dieses Verlangen hatte gar nichts von jener reinen, poetischen Liebe, die er aus Romanen kannte und die er sich jeden Abend beim Schlafengehen ersehnte; das Gefühl war so seltsam und unverständlich, er schämte sich seiner und fürchtete es als etwas Häßliches und Unreines, das er sich selbst nicht gerne eingestehen wollte ....
»Das ist keine Liebe,« sagte er sich. »In eine dreißigjährige und verheiratete Frau verliebt man sich nicht ... Es ist einfach eine kleine Liebelei ... Ja, eine Liebelei ...«
Beim Gedanken an die Liebelei fielen ihm seine unüberwindliche Schüchternheit, der Mangel eines Schnurrbartes und seine Sommersprossen und Schlitzaugen ein; wenn er sich selbst an Njutas Seite dachte, erschien ihm dieses Paar ganz unmöglich; und er beeilte sich, sich als hübsch, kühn, geistreich und nach der letzten Mode gekleidet vorzustellen ....
Inmitten dieser Träume, als er zusammengekauert und auf den Boden blickend in der dunkelsten Ecke der Laube saß, ertönten plötzlich leise Schritte. Jemand ging durch die Allee. Die Schritte verstummten, und vor dem Eingange schimmerte etwas Weißes.
»Ist hier jemand?« fragte eine weibliche Stimme.
Wolodja erkannte die Stimme und hob erschrocken den Kopf.
»Wer ist hier?« fragte Njuta, in die Laube tretend. »Ach, Sie sind es, Wolodja! Was machen Sie hier? Grübeln? Wie kann man nur immer grübeln ... so kann man ja auch verrückt werden!«
Wolodja stand auf und blickte Njuta verlegen an. Sie kam soeben vom Baden. Sie hatte ein Badelaken und ein Frottierhandtuch um die Schultern hängen, und unter dem weißseidenen Kopftuche lugten nasse Haare hervor, die an der Stirne klebten. Ihr entströmte ein feuchter, kühler Geruch von Bad und Mandelseife. Nach dem schnellen Gehen atmete sie schwer. Der oberste Knopf ihrer Bluse war aufgegangen, und der Jüngling konnte ihren Hals und Brustansatz sehen.
»Was schweigen Sie denn?« fragte Njuta, Wolodja musternd. »Es ist unhöflich zu schweigen, wenn eine Dame mit Ihnen spricht. Was sind Sie für ein Tolpatsch, Wolodja! Sie sitzen immer da und schweigen und grübeln wie ein Philosoph. In Ihnen ist gar kein Leben, kein Feuer! Sie sind wirklich ekelhaft ... In Ihrem Alter muß man leben, springen, plaudern, Damen den Hof machen, sich verlieben.«
Wolodja blickte das Badelaken an, das sie mit ihrer weißen, vollen Hand hielt, und dachte, dachte ....
»Er schweigt!« wunderte sich Njuta. »Das ist sogar merkwürdig ... Hören Sie einmal, seien Sie doch ein Mann! Lächeln Sie doch wenigstens! Pfui, ekelhafter Philosoph!« rief sie lachend. »Wissen Sie, Wolodja, warum Sie so ein Tolpatsch sind? Weil Sie niemand den Hof machen. Warum machen Sie niemand den Hof? Es gibt hier freilich keine jungen Mädchen, aber was hindert Sie, Damen den Hof zu machen? Warum machen Sie, zum Beispiel, mir nicht den Hof?«
Wolodja hörte ihr zu und rieb sich, in schwere, gespannte Gedanken versunken, die Schläfe.
»Nur sehr stolze Menschen schweigen und lieben die Einsamkeit,« fuhr Njuta fort, seine Hand von der Schläfe wegziehend. »Sie sind zu stolz, Wolodja ... Warum blicken Sie so mürrisch drein? Wollen, Sie mir doch gerade in die Augen schauen! Nun, Sie, Tolpatsch!«
Wolodja entschloß sich, etwas zu sagen. Er wollte lächeln, zuckte mit der Unterlippe, zwinkerte mit den Augen und führte wieder die Hand an die Schläfe.
»Ich ... ich liebe Sie!« sagte er.
Njuta hob erstaunt die Brauen und fing zu lachen an.
»Was höre ich?!« sang sie, wie ein Opernsänger zu singen pflegt, wenn ihm etwas Schreckliches berichtet wird. »Wie? Was haben Sie gesagt? Wiederholen Sie es, wiederholen Sie es ...«
»Ich ... ich liebe Sie!« sagte Wolodja noch einmal.
Ohne Beteiligung seines Willens und ohne Ueberlegnng machte er einen halben Schritt auf Njuta zu und faßte sie am Handgelenk. Er sah fast nichts, Tränen traten ihm in die Augen, und die ganze Welt hatte sich in ein großes Frottierhandtuch verwandelt, das nach Bad roch.
»Bravo, bravo!« hörte er sie lustig lachen. »Was schweigen Sie denn? Ich möchte, daß Sie sprechen! Nun?«
Als Wolodja merkte, daß sie ihre Hand nicht zurückzog, blickte er ihr ins lachende Gesicht und nahm sie ungeschickt mit beiden Händen um die Taille, so daß die Finger beider Hände sich auf ihrem Rücken trafen. So hielt er sie um die Taille, sie aber verschränkte beide Hände im Nacken, so daß er die Grübchen an ihren Ellenbogen sehen konnte, nestelte unter dem Kopftuch an ihren Haaren und sprach mit ruhiger Stimme:
»Man muß gewandt, liebenswürdig und galant sein, Wolodja, und das kann nur unter dem Einflusse weiblicher Gesellschaft werden. Was haben Sie aber für ein unangenehmes ... böses Gesicht. Man muß sprechen, man muß lachen ... Ja, Wolodja, seien Sie doch kein Wauwau, Sie sind noch jung und haben genug Zeit zum Philosophieren. Nun, lassen Sie mich, ich muß gehen. Lassen Sie mich doch!«
Sie befreite sich mühelos aus seinen Armen und ging trällernd aus der Laube. Wolodja blieb allein. Er strich sich das Haar zurecht, lächelte und ging dreimal von der einen Ecke in die andere; dann setzte er sich auf die Bank und lächelte noch einmal. Er schämte sich so furchtbar und staunte sogar, daß das menschliche Schamgefühl eine solche Kraft und Schärfe erreichen kann. Vor Scham lächelte er, flüsterte irgendwelche unzusammenhängende Worte und gestikulierte.
Er schämte sich, daß man ihn eben wie einen grünen Jungen behandelt hatte; er schämte sich seiner Schüchternheit; vor allen Dingen schämte er sich aber dessen, daß er sich erkühnt hatte, eine anständige verheiratete Dame um die Taille zu fassen, wozu ihm, wie er glaubte, weder sein Alter, noch seine äußeren Vorzüge, noch seine Stellung in der Gesellschaft auch das geringste Recht gaben.
Er sprang auf, trat aus der Laube und ging, ohne sich umzublicken, in die Tiefe des Gartens, möglichst weit vom Hause weg.
– Ach, wenn ich doch bald von hier fort könnte! – dachte er, sich an den Kopf fassend. – Mein Gott, so schnell als möglich! –
Der Zug, mit dem Wolodja und seine Mama abreisen sollten, ging um acht Uhr vierzig abends. Es blieben also noch an die drei Stunden; aber wie gerne wäre er schon jetzt, ohne auf Mama zu warten, zur Bahnstation gegangen ....
Gegen halb acht ging er auf das Haus zu. Seine ganze Figur drückte Entschlossenheit aus: komme, was kommen mag! Er hatte sich entschlossen, mutig aufzutreten, gerade vor sich zu blicken und laut zu sprechen, was ihn auch erwarten sollte.
Er ging durch die Veranda und den großen Saal und blieb im Gastzimmer stehen, um sich zu verschnaufen. Hier konnte er hören, daß man im anstoßenden Eßzimmer beim Tee saß. Frau Schumichina, seine Mama und Njuta unterhielten sich über etwas und lachten.
Wolodja horchte.
»Ich versichere Sie!« sagte Njuta: »Ich traute meinen Augen nicht! Als er mir seine Liebe gestand und mich sogar, denken Sie sich nur, um die Taille nahm, konnte ich ihn kaum wiedererkennen. Wissen Sie, er hat schon so eine gewisse Manier! Als er mir sagte, daß er in mich verliebt sei, blickte er so wild wie ein Tscherkesse.«
»Ist's möglich!« stöhnte die Mama auf und brach in Lachen aus. »Ist's möglich! Wie erinnert er mich doch an seinen Vater!«
Wolodja lief zurück und stürzte ins Freie.
– Wie können sie darüber laut sprechen! – dachte er sich voller Gram, die Hände zusammenschlagend und entsetzt auf den Himmel blickend. – Sie sprechen davon ganz ruhig und laut ... Und Mama lacht ... meine Mama! Mein Gott, warum hast du mir eine solche Mutter gegeben? Warum? –
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