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Die vollständige Stilllegung eines Betriebs ist in der Regel mit erheblichen Nachteilen für die Beschäftigten verbunden, da sie zu einem Verlust der Arbeitsplätze führt. Arbeitgeber sollten bezüglich des Zeitpunkts der Beteiligung des Betriebsrats bedenken, dass eine möglichst frühe Einbindung der Arbeitnehmervertretung in die Planung der Stilllegung zu einer höheren Akzeptanz seitens der Beschäftigten und mithin in der Regel auch Arbeitsbereitschaft bis zur tatsächlichen Betriebsstilllegung führen kann. Ebenso können aus Arbeitgebersicht frühzeitig (kollektiv) geregelte Incentivierungen sinnvoll sein. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass Beschäftigte nach der Bekanntgabe der Betriebsstilllegung gegebenenfalls eine Eigenkündigung mit einer relativ kurzen Frist aussprechen, obwohl sie zur Weiterführung des Betriebs bis zur tatsächlichen Stilllegung oder darüber hinaus für Abwicklungsarbeiten dringend benötigt werden.
cc) Abgrenzung zu anderen Maßnahmen
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Teilweise kann die Abgrenzung einer Betriebsstilllegung zu den weiteren in § 111 Satz 3 BetrVG geregelten Fällen von Betriebsänderungen schwierig sein So kommt etwa bei der Verlegung eines Betriebs an einen neuen Standort, die grundsätzlich unter § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG fällt, auch eine Betriebsstilllegung in Betracht, wenn die ursprüngliche Betriebsorganisation aufgelöst und am neuen Standort eine im Wesentlichen neue Betriebsorganisation aufgebaut wird. Ausschlaggebend für die Abgrenzung zwischen einer Stilllegung und einer Verlegung ist, ob die Belegschaft ausgetauscht oder ob diese aus dem vorherigen Standort übernommen wird.34 Die Abgrenzung ist in der Praxis jedoch nicht von Bedeutung, da beide Maßnahmen eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung darstellen. Bedeutung hat diese Frage hingegen im Hinblick auf das Schicksal des Betriebsrats. Im Falle einer Verlegung bleibt dieser im Amt, während bei einer Stilllegung gemäß § 21b BetrVG lediglich ein Restmandat besteht.
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Des Weiteren stellt sich bei einem Inhaberwechsel (Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB) die Frage, ob gleichzeitig eine Betriebsstilllegung vorliegt. Stilllegung und Betriebsübergang schließen sich jedoch gegenseitig aus.35 Während der Betrieb bei dem Übergang auf einen neuen Inhaber in seiner Organisation bestehen bleibt, stellt die Auflösung der betrieblichen Organisation eine Stilllegung dar. Ein bereits stillgelegter Betrieb kann nicht mehr veräußert werden. Dementsprechend fehlt es an einem endgültigen Entschluss des Unternehmers zur Schließung des Betriebs und damit an einer beteiligungspflichtigen Betriebsstilllegung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, sollte dieser noch Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebs führen.36
b) Einschränkung
aa) Begriffsbestimmung
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Eine Einschränkung des Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG liegt vor, sollte die Leistungsfähigkeit des Betriebs durch eine unternehmerische Maßnahme auf Dauer herabgesetzt werden, wobei die betriebliche Organisation als solche bestehen bleibt. Dies kann sowohl durch die Verringerung oder den Entzug von Betriebsmitteln als auch durch eine Einschränkung der personellen Leistungsfähigkeit mittels einer Reduktion der Zahl der Beschäftigten durch den Ausspruch von Kündigungen erfolgen.37 Als Betriebsmittel sind alle sachlichen Mittel wie beispielsweise Maschinen zu qualifizieren, die von den Arbeitnehmern zur Erreichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs genutzt werden.
bb) Personalabbau als Einschränkung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG
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Von hoher praktischer Relevanz sind insoweit Maßnahmen des Personalabbaus Auch ein reiner Personalabbau kann eine Einschränkung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG darstellen und damit beteiligungspflichtig sein.38 Dies ist der Fall, sollte die Anzahl der vom Personalabbau betroffenen Beschäftigten die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG erreichen. Unter die betroffenen Beschäftigten fallen nicht nur solche, deren Arbeitsverhältnis durch eine arbeitgeberseitige Kündigung endet, sondern auch Beschäftigte, die vom Arbeitgeber zu einer Eigenkündigung oder dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags aufgrund der Betriebsänderung veranlasst werden,39 etwa im Rahmen eines Freiwilligenprogramms.
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Sollte die Betriebsänderung ausschließlich in einem Personalabbau bestehen und keine weiteren Maßnahmen beinhalten, ist zudem § 112a BetrVG zu beachten, der für die Erzwingbarkeit eines Sozialplans erhöhte Schwellenwerte vorschreibt.
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Bei einem über mehrere „Wellen“ verteilten Personalabbau, der auf einem einheitlichen Entschluss des Unternehmers beruht und insgesamt die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG übersteigt, ist für die Frage des Bestehens eines Beteiligungsrechts des Betriebsrats die ursprünglich vom Entschluss des Unternehmers umfasste Zahl der Beschäftigten maßgeblich. Hierdurch soll eine Umgehung des Beteiligungsrechts der Arbeitnehmervertretung durch eine schrittweise durchgeführte Reduzierung der Beschäftigtenanzahl verhindert werden Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den „Entlassungswellen“ spricht zwar für einen einheitlichen Entschluss des Unternehmers,40 dieser muss aber keinesfalls vorliegen.
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Ergibt sich nach einem Personalabbau, der aufgrund der Unterschreitung der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 BetrVG nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG unterlag, eine neue, verminderte Beschäftigtenanzahl, die das Unternehmen nunmehr kennzeichnet, und entscheidet sich der Unternehmer sodann für einen weiteren Stellenabbau, so ist die bereits verminderte Beschäftigtenanzahl für ein etwaiges Beteiligungsrecht des Betriebsrats maßgeblich.41
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Die Verlegung eines Betriebs i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG stellt eine Veränderung der örtlichen Lage des ganzen Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils dar. Die betriebliche Organisation bleibt dabei unberührt, sodass der Betrieb oder der Betriebsteil in seiner Identität unverändert an einem neuen Standort fortbesteht.42 Voraussetzung für eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung aufgrund der Veränderung der örtlichen Lage ist jedoch, dass der neue Standort einen gewissen Abstand zu dem ursprünglichen Standort aufweisen muss. Eine Verlegung im selben Haus oder lediglich ein Wechsel der Straßenseite stellt noch keine Verlegung eines Betriebs i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG dar.43 In der Praxis versucht die Arbeitnehmervertretung in diesen Fällen allerdings regelmäßig, eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung durch weitere, im Zusammenhang mit der Standortverlegung stehende Maßnahmen zu begründen, etwa durch eine angebliche Änderung der Betriebsorganisation. Ob eine solche tatsächlich vorliegt oder es sich – wie häufig – lediglich um Maßnahmen im Zusammenhang mit der Standortverlegung handelt, die die Schwelle zu einer Betriebsänderung noch nicht erreichen, sollte im Einzelfall vor der Standortverlegung genau geprüft werden, um insbesondere Verzögerungen bei der späteren Verlegung des Standorts zu vermeiden.
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Bei Betrieben, die regelmäßig ihren Standort wechseln, wie etwa einem Wandertheater oder einem nicht ortsfesten Jahrmarkt, ist eine Veränderung des Standorts nicht als Betriebsänderung anzusehen, sondern gehört zum regelmäßigen Betriebsablauf. Eine Betriebsratsbeteiligung ist in diesen Fällen nicht erforderlich.44
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Im Falle der Verlegung eines wesentlichen Betriebsteils i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG kommt häufig auch eine Betriebsänderung in der Form einer Betriebsspaltung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG in Betracht.
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