„Wenn sie in dem Tempo weitermachen, haben sie den Asteroiden in fünf Tagen und drei Stunden komplett abgebaut“, stellte einer der Atlantae fest.
„Damit fördern wir pro Minendrohne je nach Zusammensetzung des Asteroiden fünf bis dreißig Tonnen verwertbares Material pro Stunde“, schätzte ein anderer zuversichtlich. „Vermutlich circa zehn Tonnen im Durchschnitt.“
„Mit der Quote können wir den Materialbedarf der Werft mit den beiden Minendrohnen schon decken“, stellte Cyran zufrieden fest und tippte auf seinem Pad herum. „Die Algorithmen der Droiden scheinen gut zu laufen, sie erkennen sowohl sich gegenseitig als auch das Schiff als nicht abbaubare Ressourcen.“ Er sendete eine kurze Textnachricht an Talon, in der er den Erfolg seiner Arbeit mitteilte und fuhr dann fort: „Die Pegasus ist bald auf dem Weg hierher, um die erste Fracht entgegenzunehmen, bis die ersten Frachtschiffe fertig gebaut sind“, informierte er den Käpten der Sylphe. „Mit der ersten Lieferung können wir den Bau der Frachtschiffe abschließen. Ihr werdet unterdessen weiter Asteroiden scannen und weitere potenzielle Ziele für die beiden da auswählen“, wies er sie an. „Talon meint, wir benötigen im Moment vor allem Nickel, Mangan, Tantal, Neodym, Lanthan, Yttrium, Lithium und wenn ihr Kohlenstoff findet, brauchen wir den auch in rauen Mengen. Sorgt dafür, dass Asteroiden, die von diesen Elementen besonders viel enthalten, zuerst abgebaut werden.“
„Kohlenstoff? Warum Kohlenstoff? Der ist doch nicht gerade selten“, wunderte sich der Atlantae an der Drohnenkontrolle.
„Ich hab gehört, Talon hat ein weiteres Großprojekt, das er nebenbei betreiben möchte“, meinte Cyran nur. „Soweit ich weiß, geht es dabei nicht um den Bau von irgendwelchen Schiffen oder Strukturen.“
An Bord der Phönix ging alles seinen gewohnten Gang. Seitdem die letzten Atlantae aus ihren Quartieren hier ausgezogen waren, diente das Flaggschiff der atlantischen Flotte wieder seinem eigentlichem Zweck. Dem Schutz des Volkes. Doch im Moment war dieser nicht wirklich vonnöten. Das mächtige Kriegsschiff war nur noch eine Rückversicherung für Eventualitäten. Deshalb durfte Talon die Phönix gelegentlich für seine Zwecke verwenden.
„Passt die Geschwindigkeit an den Planeten an“, befahl Luca, der Käpten der Phönix, laut und das gewaltige Schiff schwenkte in eine Umlaufbahn um einen der Schwesterplaneten von Atlantis ein. Sie hatten ihn Niflheim getauft und passend dazu sah er auch aus. Der Planet war ein einziger großer Schneeball. Seine gesamte Oberfläche war von gefrorenem Wasser bedeckt. Nur hier und da brachen Vulkane aus dem Eis und zeigten, dass irgendwo darunter ein heißer Planetenkern lag. Nach den Daten zu schließen, die ihre Forscherteams bereits gesammelt hatten, ging Talon davon aus, dass die sieben Planeten, die in sehr ähnlichen Umlaufbahnen um die Sonne kreisten, aus demselben Staub entstanden waren. Sie alle hatten ungefähr dieselbe Zusammensetzung und doch gab es auf nur einem Leben. Die feinen Unterschiede machten schon den Unterschied zwischen einer blühenden Oase und einer toten Welt. Verglichen mit der Masse der Planeten waren die Unterschiede zwar nur verschwindend gering, aber dennoch ging es um Milliarden Tonnen an Material, das entweder fehlte oder von dem zu viel vorhanden war. Niflheim zum Beispiel hatte eine Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre. Zusätzlich mit Spuren von Edelgasen, wäre gut für Leben geeignet gewesen, doch etwas anderes waren kaum vorhanden. Die klirrend kalte Luft auf dem Planeten hatte viel zu wenig Kohlenstoffdioxid und auch andere Treibhausgase fehlten völlig. Der Planet war dadurch völlig ausgekühlt und der reflektierende Eispanzer verstärkte diesen Effekt noch. Unter dem Eispanzer hatten ihre Sensoren zwar große Mengen an Kohlenstoff gefunden, aber der war in Gesteinen gebunden und damit nicht für eine Freisetzung geeignet. Der Planet hatte keine Chance, sich allein aus dem eisigen Mantel zu befreien, also mussten sie ihm dabei helfen. Craibian wollte, dass irgendwann alle sieben Planeten im atlantischen System blühende Oasen waren, auf denen ihr Volk leben konnte. Terraforming lautete das Zauberwort. Talon hatte zwar mit dem Planetenring schon ein Megaprojekt, dass er betreute, aber das Terraformingprojekt brauchte vor allem eines: Zeit. Bei den Minenarbeiten im Asteroidengürtel fiel sowieso eine Menge mehr Kohlenstoff an als sie für die Produktion von Nanoröhrchen und Graphen brauchten, also konnte er den überschüssigen Kohlenstoff gleich für das nächste Projekt verwenden. Erst vor wenigen Tagen hatte die Pegasus schon die dritte Lieferung aus dem Nerido-Gürtel gebracht und jetzt hatten sie genug Kohlenstoff, um die erste Ladung abzuwerfen.
„Wir sind in Position“, informierte Luca ihn. „Sollen wir die Fracht abwerfen?“
Talon nickte. „Schmeißt die Kohle aus dem Fenster“, befahl er.
Luca gluckste. „Nichts lieber als das.“ Über Kom gab er den Befehl, die Schwerkraft im rechten Hangarbereich umzukehren, sodass die Fracht im Inneren durch den halbdurchlässigen Energieschild nach außen katapultiert wurde. Die gewaltigen Brocken aus reinem Kohlenstoff flogen eine Zeit lang durch das All, bevor sie in die Atmosphäre des Planeten eintauchten und sich langsam ein Feuerschweif hinter ihnen bildete. Auf der Brücke sahen alle dabei zu, wie die tonnenschweren Kohlebrocken wie Sternschnuppen in der Atmosphäre verglühten.
„Ihr dürft euch was wünschen“, meinte Talon. „Aber sagt nicht, was, sonst geht’s nicht in Erfüllung.“
„Wie oft müssen wir das jetzt noch machen, bis genug Kohlenstoff in der Atmosphäre ist?“, fragte Luca interessiert.
„Wenn wir jedes Mal dieselbe Menge wie heute freisetzen? Ein paar Milliarden Mal“, gab Talon in leicht trockenem Tonfall zurück. „Aber es besteht keine Eile.“
„Ich hoffe, du bekommst irgendwann ein eigenes Schiff dafür“, meinte Luca. „Ich hab das nächste Jahrhundert noch was anderes vor als Kohle zu transportieren.“
„Ich bin sicher, in ein oder zwei Monaten haben wir genug zivile Schiffe, dass du dich wieder vollkommen deiner Ausbildung widmen kannst“, versicherte Talon ihm.
„Da freue ich mich schon wieder drauf“, meinte Luca mit leichtem Sarkasmus in der Stimme. „So wie Nigel mich immer reintreibt.“ Nach einer kurzen Pause stellte Luca Talon die Frage, die er zuvor eigentlich hatte stellen wollen: „Wie lange wird es dauern, bis das Eis da unten zu schmelzen anfängt?“
„Jahrtausende“, entgegnete Talon. „Zumindest, wenn wir in dem Tempo weitermachen, was ich nicht vorhabe. Der Treibhauseffekt ist auf diesem Planeten kaum vorhanden, aber je mehr Treibhausgase wir einbringen, desto schneller heizt er sich auf.“
„Aber wenn wir es übertreiben, haben wir das gleiche Problem wie es die Menschen im Moment haben“, stellte Luca fest.
„Nicht ganz“, berichtigte Talon. „Es stimmt, dass der ganze Prozess schwierig zu steuern ist. Wir werden immer wieder Treibhausgase in das künstliche Ökosystem hinzugeben und herausnehmen müssen, bis wir den Planeten bei der optimalen Menge einpendeln lassen können. Allerdings können wir am Anfang die erforderliche Menge ruhig überschreiten. Wenn wir anfangen, Pflanzen da unten auszubringen, werden die durch Fotosynthese wieder eine ganze Menge CO 2aus der Luft filtern und dem Ganzen wieder entgegenwirken.“
„Aber das passiert doch auf der Erde auch die ganze Zeit, oder nicht?“
Talon sah Luca mit hochgezogener Augenbraue an. Er war etwas erstaunt, wie wenig er über den CO 2-Kreislauf der Erde wusste. „Schon, aber auf der Erde ist das ein Kreislauf. Pflanzen filtern CO 2aus der Luft und sterbende Pflanzen geben es wieder frei. Aber wir müssen diesen Kreislauf erst mal starten und dafür brauchen wir ein paar Billiarden Tonnen Kohlenstoff.“
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