Die Macht des ersten Eindrucks
Eine einmal gefasste Einstellung hat die Tendenz, sich selbst zu bestätigen und zukünftige Informationen zu überlagern, auch wenn diese neuen Informationen der Einstellung widersprechen. Eine Form dieser Generalisierung ist der Effekt des ersten Eindrucks. Auch wenn neue und andere Informationen eintreffen, die eine andere Einstellung begründen würden, bleibt der erste Eindruck lange einstellungs- und damit handlungsbestimmend. Wer sich zum Beispiel einmal entschlossen hat, jemanden für fähig und vertrauenswürdig zu halten, hält lange daran fest, auch wenn sich Gegenbeweise häufen. Auf diese Weise können Firmenerbinnen durch angestellte Manager ruiniert werden, weil sie Alarmsignale für deren fragwürdiges Handeln bis zum bösen Erwachen systematisch übersehen – man denke nur an Madeleine Schickedanz und ihr unglückliches Händchen bei der Auswahl von Managern für den Karstadt-Quelle-Konzern.
Nimmt man all diese Faktoren zusammen, wird deutlich, dass es so etwas wie eine »objektive Realität« nicht geben kann.
Verschiedene Welten sind möglich
Wahrnehmung – und damit zwangsläufig auch das, was wir als »Wirklichkeit« empfinden – ist hochgradig selektiv und subjektiv. Paul Watzlawick verdeutlicht das mit einem Witz, in dem eine Laborratte zur anderen sagt: »Ich habe diesen Mann so trainiert, dass er mir jedes Mal Futter gibt, wenn ich diesen Hebel drücke.« 6In ihrer Welt hat sie tatsächlich recht – sprechen nicht alle Indizien dafür? Auch wir reden im Alltag ja manchmal davon, dass jemand in einer anderen Welt lebt. Das trifft tatsächlich in stärkerem Maße zu, als wir ahnen. Unsere »Welten« überschneiden sich zwar glücklicherweise, weil wir ähnliche Vorerfahrungen, Kenntnisse und Interessen teilen. Aber jede Welt für sich bleibt eine individuelle Konstruktion – wir können unsere Wahrnehmungsfilter nicht ausschalten. Überrascht es da noch, dass mancher Manager optimistisch in die Insolvenz wirtschaftet, selbst wenn für Außenstehende die Alarmglocken schon Sturm läuten?
Trauen Sie Ihren Augen und Ohren nicht (immer)! Gleichen Sie Ihre Einschätzung der Situation regelmäßig mit der anderer ab – Führungskollegen, Mitarbeiter, ggf. Außenstehende (Coaches, Berater). Machen Sie sich eigene Erfahrungen und Interessen bewusst: Inwieweit beeinflussen diese Ihre Beurteilung der Situation?
Stress, Wahrnehmung und Kommunikation
Wahrnehmungsveränderungen unter Stress
Unsere Wahrnehmung ist also bereits in »Normalsituationen« höchst unzuverlässig. Doch was passiert, wenn wir unter Stress stehen? Vom Unfallforscher Rüdiger Trimpop haben wir bereits gehört, dass Menschen sich in heiklen Situationen noch stärker auf einen kleinen Wirklichkeitsausschnitt konzentrieren und vom Radfahrer in der Einbahnstraße bis zum Flugzeugcrash auf dem Radarschirm alles Mögliche übersehen. Im Crew Resource Management geht man von folgenden Wahrnehmungsveränderungen in Stresssituationen aus:
– Die Wahrnehmung wird eingeschränkt,
– man entwickelt einen Tunnelblick,
– es kommt zu stressbedingten Wahrnehmungsverzerrungen.
Crash wegen Treibstoffmangel: New York 1990
Gleichzeitig verändert sich auch das Kommunikationsverhalten: Es wird weniger kommuniziert, die Neigung zu stillschweigenden Interpretationen des Verhaltens anderer wächst. Die Hemmschwelle etwa für verbale Angriffe auf das Gegenüber sinkt. Ein typisches Beispiel für einen Flugzeugcrash, der durch mangelnde Kommunikation verursacht wurde, ist der Absturz einer Maschine der kolumbianischen Fluglinie Avianca im Januar 1990 unweit des New Yorker Kennedy Airports. An der amerikanischen Ostküste herrschte schlechtes Wetter mit Nebel und starkem Wind. Deshalb wurde die Maschine, die in Medellin gestartet war, in etliche Warteschleifen dirigiert und erhielt erst mit 90 Minuten Verspätung die Landeerlaubnis für den Kennedy Airport. Ihr Treibstoff reichte für den Flug nach New York sowie für zwei weitere Flugstunden. Unglücklicherweise misslang der erste Landeversuch: Die Piloten mussten wegen starker Scherwinde durchstarten und verloren weitere kostbare Zeit – und Treibstoff. Schließlich fiel ein Triebwerk nach dem anderen aus, die Boeing 707 stürzte auf Long Island ab. 73 der 158 Insassen starben. Die übrigen überlebten, weil kein Feuer ausbrach, denn: Die Tanks der Maschine waren leer.
Kommunikationsprobleme im Cockpit
Der Wissenschaftsjournalist Malcolm Gladwell, der dieses Beispiel in seinem Buch Überflieger verarbeitet, wundert sich über die Passivität der Besatzung, während die Katastrophe immer unausweichlicher wurde: »Und während all dem herrschte im Cockpit bleiernes Schweigen.« 7Zuvor war es dem Kopiloten als eine Folge von Missverständnissen nicht gelungen, der Flugsicherung am Kennedy Airport klarzumachen, wie verzweifelt die Lage inzwischen war. Das simple Wort »Notfall« (Emergency) kam ihm nicht über die Lippen. Stattdessen begnügte er sich mit einem vergleichsweise schwachen »We need priority« (Wir brauchen Vorrang) und dem Hinweis »Wir haben kaum noch Treibstoff«. Da das bei allen landenden Flugzeugen der Fall ist, war niemandem im Tower die Dramatik der Lage klar. 8Wer die aufgezeichneten Cockpitäußerungen liest, bekommt den Eindruck, der Kopilot habe irgendwann resigniert. Hinzu kamen kulturelle Barrieren, die es dem Südamerikaner offensichtlich erschwerten, mit der als »ruppig« bekannten US-Flugsicherung Klartext zu reden.
Intellektuelle Notfall maßnahmen
Rückzug und Resignation, Misstrauen und negative Unterstellungen, Erstarrung und Passivität, ein stures Festhalten am einmal eingeschlagenen Kurs, »Eigenbrötlertum« und weniger Abstimmung im Team – dies sind typische Reaktionsweisen in Stresssituationen, die im Crew Resource Management bekannt sind. Denken Sie an die letzte Krisensituation im Unternehmen zurück: Fallen Ihnen Parallelen auf? Was passiert, wenn Umsätze sinken, Karrieren bedroht sind, drastische Einschnitte angekündigt werden? Wie wirkt sich das auf die Kommunikation im Team aus? Wie differenziert wird noch argumentiert? Wie planvoll wird noch reagiert? Wie nüchtern wird die Situation noch analysiert? Franz Reither diagnostiziert in seinem Buch über Komplexitätsmanagement eine Neigung zum Rückgriff auf »intellektuelle Notfallmaßnahmen« in unsicheren Situationen, in denen Misserfolg droht. Dazu zählt er »Fluchtreaktionen, Ausweichmanöver, Einkapselung, Verharmlosung, Irrationalismus, Resignation, vorschnelles Reagieren, unzuverlässige Vereinfachungen, Herabsetzung der Selbstkontrolle, Gewaltlösungen«. 9Da ist sie wieder: die unheilvolle Trias von Abhauen, Angreifen oder Totstellen, mit der schon unsere Ahnen in grauer Vorzeit Bedrohungen begegneten. Doch was im Neandertal noch wunderbar funktioniert haben mag, kann in den Bürotürmen und Produktionsstätten von heute direkt in die Insolvenz führen. Was also können Sie tun, um Stress im Unternehmen professionell zu managen?
Vermeiden Sie Sprachlosigkeit, Abschottung und Resignation – fördern und fordern Sie das Gespräch mit Ihrer Mannschaft! Hören Sie zu, auch wenn Ihnen nicht gefällt, was Sie hören.
Professionelles Stressmanagement im Unternehmen
Erfolgsduo: Stressprävention plus Notfallplan
Wie gut ist Ihr Unternehmen auf kritische Situationen vorbereitet? Auch gut ausgebildete Mitarbeiter, ein professionelles Controlling und regelmäßige Abstimmungen und Meetings auf Leitungsebene können nicht verhindern, dass eine Organisation ins Trudeln gerät. Wie vermeiden Sie, dass sich Probleme aufschaukeln, bis Kopflosigkeit um sich greift? Das beste Stressmanagement ist Stressprävention. Und ist die Krise erst mal da, sollten Sie einen Notfallplan haben.
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