»Waren die Brüder mit der Finanzierung befasst?«
»Nicht direkt. Ah-Pei hingegen musste die Vereinbarungen auf jeden Fall absegnen. Ich kann mir bloß vorstellen, dass die Brüder sie dazu überredet haben, und außerdem zeigte die niederländische Firma wie gesagt ein gutes Zahlungsverhalten. Aber Tambi und Mamat sind diejenigen, die den Kontakt zum Einkäufer hatten. Sie trafen ihn zwei-, dreimal im Jahr in Holland oder in dem Unternehmen in Borneo, um die Bestellungen aufzunehmen. Aber – und das ist ein großes Aber – im vergangenen Oktober, nachdem wir unseren Deal mit Ah-Pei und Chi-Tze abgeschlossen hatten, die Brüder jedoch noch nicht offiziell aus dem Unternehmen ausgeschieden waren, trafen diese sich mit dem holländischen Einkäufer und handelten eine riesige Bestellung aus. Der niederländische Kunde erwarb nahezu den gesamten Lagerbestand und orderte mehrere Container noch herzustellender Produkte.«
»Und die Schwestern fanden das nicht merkwürdig?«
»Ich glaube, sie waren nur froh, die Brüder loszuwerden, und außerdem war ihnen, wie gesagt, die holländische Firma seit langem bekannt. Das glaubten sie zumindest.«
»Mamat und Tambi waren also autorisiert, einen so umfangreichen Deal abzuschließen?«
»Sie waren immer noch Teilhaber und Geschäftsführer des Unternehmens, auch wenn sie Ah-Peis Unterschrift brauchten. Das Problem ist, dass Ah-Pei das Kleingedruckte erst zwei Wochen nach dem offiziellen Ausscheiden der Brüder gelesen hat.«
»Das Kleingedruckte … Wie übel war der Deal?«
»Die Bedingungen waren absurd. Das Datum der Nettofälligkeit war fünfundvierzig Tage, nachdem das Produkt in den Niederlanden eingetroffen war. Rechnet man dreißig Tage für den Versand hinzu, hieß das, dass mindestens fünfundsiebzig Tage verstrichen, ehe Geld in die Kasse kam.«
»Und es wurde tatsächlich so viel Ware so schnell versandt?«
»Sie haben das Lager geräumt. Innerhalb weniger Wochen war alles verpackt und auf dem Versandweg.«
»Die Frauen müssen doch gemerkt haben, dass ihr Cash-Flow sich enorm verschlechtern würde.«
»Ja, das haben sie gemerkt. Deshalb hat Chi-Tze in den Niederlanden angerufen und erklärt, dass sie auf eine schnellere Zahlung angewiesen seien. Sie hat den Holländern sogar zwei Prozent Skonto angeboten, wenn sie innerhalb von zehn Tagen zahlten.«
»Was haben die Holländer gesagt?«
»Dass sie sich bei ihr melden würden. Was sie nicht getan haben. Die Schwestern haben sie erneut angerufen. Niemand in der Firma war für sie zu sprechen. Einen Monat später erhielten sie ein Einschreiben von einem niederländischen Wirtschaftsprüfungsunternehmen, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass der Importeur pleite sei und sie als ein ungesicherter Gläubiger gelistet seien.«
»Ein ungesicherter Gläubiger?«
»Ja, und das ist noch nicht das Schlimmste«, erwiderte May und betrachtete ihren Martini. Mit einem Seufzen schob sie ihn von sich. »Ich hätte den nicht bestellen sollen. Das hilft auch nicht.«
»Wie schlimm wird es denn noch?«, fragte Ava.
»Nun, nachdem sich die beiden Frauen bei mir gemeldet haben, habe ich meinen Anwalt auf die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft angesetzt. Er arbeitet mit einer Kanzlei in Großbritannien zusammen, und nach einigem Hin und Her zwischen Großbritannien und den Niederlanden haben die Londoner Anwälte meinen Anwalt davon in Kenntnis gesetzt, dass nach niederländischem Recht einzig gesicherte Gläubiger über wirksame Rechte und die Mittel verfügen, den Insolvenzantrag zu umgehen und die Vermögenswerte in Besitz zu nehmen. Und genau das ist passiert. Ein gesicherter Gläubiger – augenscheinlich ein Finanzunternehmen – hat sämtliche Vermögenswerte des niederländischen Unternehmens an sich gebracht. Und das schließt unsere Möbel ein.«
»Alle?«
»Alle.«
»Sie werden sie verkaufen.«
»Natürlich. So schnell wie möglich – sie sind schon dabei. Sie interessieren sich nur für das Geld, das man ihnen schuldet. Der tatsächliche Wert der Möbel ist ihnen völlig egal.«
»Wie hoch sind die Forderungen des gesicherten Gläubigers?«
»Den Unterlagen des Insolvenzverwalters zufolge ungefähr fünfzehn Millionen Euro – das sind knapp über zwanzig Millionen US-Dollar.«
»Und unsere Forderungen an den Importeur belaufen sich auf über dreißig Millionen Dollar?«
»Richtig.«
»Das heißt, sie können die Möbel verramschen und dennoch ihren Schnitt machen.«
»Insbesondere wenn du noch die normale Großhandelsspanne berücksichtigst. Chi-Tze meinte, der niederländische Importeur hätte die für dreißig Millionen Dollar eingekauften Möbel normalerweise für mindestens vierzig Millionen verkauft.«
»Der gesicherte Gläubiger kann sie also zum halben Preis verkaufen und bekommt seine Forderungen immer noch zu hundert Prozent erfüllt.«
»So ist es.«
»Der Insolvenzverwalter kann nichts dagegen unternehmen?«
»Er kann den Verkauf überwachen – sie sind verpflichtet, ihm Bericht zu erstatten –, und wenn der Erlös zwanzig Millionen Dollar übersteigt, kann er den Überschuss an die anderen Gläubiger verteilen, von denen keiner gesichert ist.«
Ava schwieg. Dann fragte sie: »Und wir können nichts tun?«
»In zwei Tagen, also am Dienstag, findet in Amsterdam eine Gläubigerversammlung statt. Ich dachte, ich treffe mich mit den beiden Schwestern und fliege dann nach Amsterdam, um an der Versammlung teilzunehmen. Ich würde gern wissen, wer hinter diesem Finanzunternehmen steckt und was für eine Vereinbarung sie mit der Importfirma hatten.«
»Glaubst du, dass es eine Absprache zwischen ihnen gibt?«
»Glauben kann ich viel, aber ich habe keinen Beweis dafür, dass Mamat und Tambi einen krummen Deal mit der Importfirma abgeschlossen haben oder dass der Importeur und das Finanzunternehmen unter einer Decke stecken oder dass alle drei zusammen geplant haben, uns über den Tisch zu ziehen. Ich weiß nur, dass die Sache zum Himmel stinkt. Der Bankrott der Importfirma kam einfach zu schnell und zu gelegen, während sie ihr Lager voller unbezahlter Ware hatten.«
»Es klingt, als sei eine Reise in die Niederlande unumgänglich.«
»Ja.«
»Aber der Terminplan erscheint mir viel zu eng. Kannst du dich wirklich mit den Schwestern treffen und dennoch rechtzeitig in Amsterdam sein?«
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete May langsam. »Am liebsten würde ich dich bitten, uns in Europa zu vertreten.« Sie sah Ava kurz an und wandte den Blick dann wieder ab. »Du bist diejenige, die Erfahrung darin hat, solchen Dingen auf den Grund zu gehen, und du sprichst viel besser Englisch als ich. Aber ich weiß, dass du Onkel nicht gern allein lässt, und wenn es dir nicht möglich ist, dann kann ich das verstehen.«
Ava zögerte.
»Ich würde es dir auch nicht verübeln, wenn du es dir anders überlegst, was deine Teilhaberschaft angeht.«
Ava senkte den Kopf und schüttelte ihn langsam. »May, du missverstehst mich. Ich denke nur an Onkel und die Zeit, die ihm noch bleibt. Was das Geld angeht, habe ich dir mein Wort gegeben. Nichts von dem, was du mir erzählt hast, ändert meine Zusage zu unserer Geschäftspartnerschaft.«
»Für mich schon. Ich finde es schwierig, von dir zu erwarten, dass du fünfzig Millionen in unser Unternehmen steckst und dass du ein Viertel davon verlierst, kaum dass die Tinte auf unserer Vereinbarung trocken ist.«
»Ich habe dir mein Wort gegeben.«
»Und ich gebe dir die Möglichkeit, einen Rückzieher zu machen.«
»Nein, ich mache keinen Rückzieher«, entgegnete Ava und schob ihre Hand über den Tisch.
May ergriff sie und drückte sie. »Danke. Aber anbieten musste ich es dir.«
»Nachdem du das nun zwei Mal getan hast, lass uns bitte nicht mehr davon reden.«
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