1 ...8 9 10 12 13 14 ...26 Gaius ist wohl identisch mit dem Gaius von Röm 16,23. Dort wird er Gastgeber des Paulus und der ganzen Gemeinde / Versammlung genannt. Versuche, aus den spärlichen Informationen etwas über den ökonomischen und sozialen Status beider Männer zu sagen, sind weitgehend hypothetisch geblieben. Möglicherweise ist Gaius einer der Wohlhabenderen in der Gemeinde, 45falls Röm 16,23 bedeutet, dass er mehreren Hausgemeinden gleichzeitig einen Versammlungsort bieten konnte.
1,16 1,16Stephanas und sein Haus werden in 16,15–18 ausführlicher erwähnt. Aus diesen Informationen ist nicht auf Wohlstand zu schließen, sondern auf eine ökonomische Existenz etwas oberhalb der Subsistenz. 46
1,17 1,17Für Paulus steht Konkurrenz innerhalb der Gemeinde im Widerspruch dazu, dass der Messias Jesus am Kreuz gestorben ist. Die Gemeinde in Korinth, jede und jeder Mensch in ihr, hat sich diesem Messias und dem Gott Israels anvertraut. In einer römischen Stadt einem Messias als Befreier / kyrios zu vertrauen, der im römischen politischen Interesse gekreuzigt wurde, schafft andere Strukturen des Zusammenlebens und der Lebensführung als die der Herkunftsgesellschaft. In ihr ist solche Konkurrenz an der Tagesordnung (3,3 etc.). Im Leib Christi ist sie es nicht. Das Thema Kreuz kommt nicht plötzlich, wie man oft gemeint hat und 1,17b ist auch nicht Überleitung zu einem neuen Thema, 47sondern Vertiefung des Themas seit 1,10. Der innere Zusammenhang der Themen Konkurrenz und Kreuzigungzeigt sich auch in Kapitel 3.4, s. z. B. 3,3 und 3,18–23. Zäsuren zwischen 1,17 und 1,18 machen diesen Zusammenhang unsichtbar.
„Nicht in Weisheit der Rede“ / sophia logou – so grenzt Paulus in 1,17 das Evangelium ab. Welche Weisheit lehnt Paulus hier (vgl. 2,1) ab?
Basisinformation: Die Weisheit dieser Welt
Paulus benutzt in seiner Erörterung der Weisheit der Welt eine Rhetorik der Negationen und Antithesen. 48Die negativ qualifizierte Seite ist häufig als paulinische Darstellung der Lehre oder Meinung der „Gegner“ gelesen worden. Auch die feministische Diskussion bleibt meist in diesem Deutungsmuster; sie hält die Gegner des Paulus für korinthische Prophetinnen mit einer Weisheitsbotschaft, die ihnen Stärke und Statusgewinn in der Gemeinde verschafft. 49Mit solchen Vorstellungen von Gegnerinnen oder Gegnern ist oft die Annahme verbunden, sie verträten eine radikale präsentische Eschatologie (so wird dann besonders 4,8 gedeutet), seien also „enthusiastisch“. 50Betrachtet man jedoch die paulinischen Angaben, wer denn nun diese Weisheit vertritt, so zeigt es sich, dass er nicht konkrete einzelne Menschen im Blick hat. So kann er von „Weisheit des Wortes“ (1,17) reden, auch von „Weisheit der Menschen“ (2,5 vgl. 1,25; 2,9; 2,4 in einer abweichenden Textlesart) oder von „Weisheit dieser Welt“ (1,20; 3,19, s. ähnlich: 1,21; 3,20) bzw. von der Weisheit „dieses Aions“ (2,6; 3,18). Paulus zeichnet hier Strukturen „der Welt“ (kosmos). Es ist nicht anzunehmen, dass irgendwer sagt: „ich verfüge über die Weisheit der Welt“, wohl aber, dass es für die meisten Menschen attraktiv ist, als weise zu gelten. Paulus sieht eine Gesellschaft vor sich, in der sophia / Weisheit strukturell denen zuzuordnen ist, die in ihr etwas darstellen, die anerkannt sind.
Die gesellschaftlichen Strukturen der Welt, die nach Paulus durch Weisheit gekennzeichnet ist, lassen sich in groben Konturen nachzeichnen. So sieht Paulus diese Weisheit:
Die Weisheit hat einen Aspekt von Bildung und Beredsamkeit (s. 1,17.19.20; 2,4.13; 3,20).51
Das Weisheitsstreben bringt Konkurrenz und kauchasthai / sich in die Brust werfen / prahlen / überlegen sein wollen hervor (1,12; 3,18–22; 4,7.8).
Die Weisheit verhindert die Solidarität mit dem gekreuzigten Jesus / Messias und anderen Gekreuzigten (1,18).
Die Weisheit hat zur Kreuzigung Jesu durch die „Archonten“ geführt (2,6–8).
Die Weisheit wird in gesellschaftlichen und gleichzeitig mythischen Vorstellungen beschrieben. Die alte Frage, ob mit den „Archonten“ in 2,6–8 Dämonen oder Herrschende gemeint sind,52 beantworte ich mit „sowohl als auch“. Paulus spricht in dieser Frage die Sprache der apokalyptischen und gnostischen Mythologie,53 doch finden die dämonischen Mächte auch Verkörperungen in Herrschaftsmächten, z. B. in politischen Machthabern. Die Herrschenden sind die sichtbare Spitze des unsichtbaren Eisbergs der Mächte. Irdisch, unterirdisch und im Himmel arbeiten Herrschaftsmächte daran, sich die Menschen zu unterwerfen und sie zu Instrumenten des Todes zu machen. Für Paulus ist diese Vorstellung von Mächten wichtig, s. 15,24; 3,22; Röm 8,38.39; Phil 2,10.
Die Biografien der Gemeinde und des Paulusselbst sind Zeugnis dafür, dass der Weisheit der Welt und ihren Mächten Gottes Macht entgegentritt: 1,26–31; 2,1–5; 4,8–13; ebenso ist die Auferweckung eines von Rom Gekreuzigten der machtvolle Widerspruch Gottes gegen die tödlichen Strukturen dieser Welt (1,18–31). Teil dieses Zeugnisses ist auch die „counter-rhetoric“ des Paulus, 54die den Zielen antiker Elite-Rhetorik entgegensteht. 55Während die Elite-Rhetorik ein Mittel zur Herrschaft über Menschen sein will und die Ideologie imperialer Macht vertritt, ist die paulinische Rede an Gerechtigkeit für die Armen und die Opfer der Gewalt orientiert.
Die biblische Traditionspricht in die Gegenwart dieser Erfahrung von Weisheit der Welt und ihrer Überwindung: In 1,18 bezieht Paulus sich dafür auf Jes 29,14, in 1,31 auf Jer 9,22.23; in 2,9 auf eine unbekannte Schrift; 3,19.20 auf Hiob 5,12.13 und Ps 94,11. Hier in 3,20 ersetzt Paulus das Wort „Menschen“ im Schriftwort durch „Weise“, um den aktuellen Bezug unmissverständlich zu machen. Die zentralen Stichworte – „Weisheit“ der Menschen, die Gott zunichtemacht (Jes 29,14), Begrenztheit des Herzens / Verstandes „der Menschen“ (2,9 unbekanntes Zitat) und das „prahlen“ / kauchasthai (Jer 9,22.23) der paulinischen Darlegungen – korrespondieren mit der Schrift.
1,18 1,18Was ist mit dem logos vom Kreuz, meist mit „Wort vom Kreuz“ übersetzt gemeint? Wer spricht hier das Wort zu wem und was ist sein Inhalt?
Mit dem Kreuzist die Kreuzigung Jesu in Jerusalem gemeint. In den Jahren, als Pilatus Präfekt von Judaea war (26–36 n. Chr.), ist Jesus durch die römische Armee öffentlich hingerichtet worden. Paulus nimmt auch in 2,6–8 auf die Kreuzigung Bezug. Das römische Imperium hat die Kreuzigung zur politischen Disziplinierung der Bevölkerung, vor allem der versklavten Menschen aus den unterworfenen Völkern, benutzt. 56Es gab römische Kreuzigungen, manchmal als Massenkreuzigungen, vor Jesu Tod und lange danach. Als dieser Brief nach Korinth geschrieben wurde, war Kreuzigung eine reale Bedrohung für die Menschen, zumal für die unteren Klassen der Gesellschaft. Die Angst aufzufallen und der Druck, sich anzupassen, waren groß und hielten die Bevölkerung unter Kontrolle. Ein solidarisches Wort über einen Gekreuzigten oder Tränen der Trauer in der Öffentlichkeit konnten zu Verhaftung und der eigenen Hinrichtung führen. 57Einen Gekreuzigten als von Gott Auferweckten zu verehren, bedeutete eine riskante politische Kühnheit, die jederzeit lebensgefährlich werden konnte, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. Solange das römische Reich Kreuzigungen durchführte, hätte das Kreuz niemals ein Symbol sein können, es sei denn ein Symbol der Gewalt (s. Basisinformation bei 11,23).
Seit Augustus verfolgte Rom eine umfassende und politisch motivierte Religionspolitik. Es gab eine wohldurchdachte Staatsreligion oder besser Loyalitätsreligion, die den ideologischen Zielen der pax romana diente. 58Sie war in den Tempelgebäuden der Großstädte unübersehbar präsent, auch in Korinth (s. 8,10). Die von Rom unterworfenen Völker konnten weiter mit ihren angestammten Religionen leben, solange sie nicht mit der staatlichen Loyalitätsreligion in Konflikt gerieten. Jüdische Menschen sind immer wieder in solche Konflikte geraten. 59Neben dieser fragilen Duldung nichtrömischer Religionen gab es gesellschaftlich abweichenden Gruppierungen gegenüber eine kontinuierliche Unterdrückungspolitik durch Kaiser und Senat. In diese Linie gehört ein Edikt im Jahre 19 n. Chr., das u.a. die jüdische Bevölkerung Roms traf:
Читать дальше