»Gut. Was ist mit Fingerabdrücken?«
»Es gibt jede Menge, sie sind nur nicht zu gebrauchen, solange wir sie nicht mit den Fingerabdrücken der Handwerker abgeglichen haben. Und mit denen der Architekten und Ingenieure und was weiß ich, eben von allen, die im zweiten Stock zu tun hatten. Das sind nicht wenige. Wir erledigen das Montag, wenn die Leute wieder zur Arbeit kommen, aber es wird eine Weile dauern, bis wir alle analysiert haben.«
»Das ist völlig okay. Ich bezweifle, dass ihr etwas Interessantes findet. Ein Täter, der vorausschauend genug ist, auf dem Weg nach oben einen Overall zu stehlen, denkt sicher auch daran, Handschuhe anzuziehen.«
»Vermutlich.« Bjarne blieb noch einen Moment stehen. Dann sagte er: »Wieso fragt mich eigentlich keiner nach der Uhr?«
Frank sah ihm ins Gesicht. »Der Uhr? Der Uhr des Opfers? Ich weiß, dass sie teuer war.«
»Weißt du auch wie teuer?«
»Nein. Nur, dass er sie vor ein paar Monaten in Paris gekauft hat.«
»Es ist eine Patek Philippe Ref. 5102 Celestial. Weißgold, drei metallisierte Scheiben aus Saphirglas, Krokodillederarmband, jede Menge technischer Finessen wie Mondphasen und die Bewegungen der Sterne und der Sonne.«
»Ein Sammlerstück?«
»Kann man wohl sagen. Ich habe die Uhr im Netz gefunden, für zweihundertvierzigtausend … Dollar, wohlgemerkt.«
»Was?« Jetzt beteiligte sich auch Pia Waage an dem Gespräch. »Das ist ja über eine Million dänischer Kronen.«
»Tatsächlich über eins Komma zwei Millionen.«
»Und mit dieser Uhr ist der ins Büro gegangen?«
»Ja, man muss schon sagen, das ist ein wenig extravagant. Meistens werden so teure Stücke in einem Banksafe aufbewahrt. Aber es gibt natürlich auch Frauen, die jeden Tag kostbaren Schmuck tragen.«
»Trotzdem.«
»Tja«, sagte Bjarne und öffnete die Tür. »Ich dachte, ihr solltet das wissen. Kann ich jetzt nach Hause gehen?«
»Das kannst du selbst entscheiden. Wir haben jedenfalls nichts mehr, das nicht bis Montag warten könnte.«
»Eine Uhr für über eine Million Kronen«, wiederholte Pia, als der Kriminaltechniker das Büro verlassen hatte. »Das ist doch Wahnsinn.«
»Und der Täter hat sie nicht mitgenommen«, griff Frank den Gedanken auf. »Dann haben wir es sicher nicht mit einem Raubmord zu tun. Es sei denn, der Täter hat überhaupt keine Ahnung von Uhren.«
»Irgendetwas sagt mir, dass man von einer Uhr in dieser Preisklasse nicht nur eine hat. Möglicherweise hat Münster-Smith teure Uhren gesammelt? Vielleicht hat er irgendwo noch weitere deponiert?«
»Dafür gibt es keinerlei Hinweise. Aber vielleicht finden wir ja noch was.«
Pia streckte sich. »Ich habe Hunger, Chef«, erklärte sie. »Soll ich nicht runterlaufen und irgendetwas Essbares holen?«
»Sehen wir uns zuerst noch schnell an, was sich auf der CD verbirgt.« Frank nickte in Richtung Bildschirm. »Hinterher machen wir eine Pause.«
Pia rückte ein Stück zur Seite, damit Frank sich neben sie setzen konnte. Sie klickte das entsprechende Laufwerk an, und ein Fenster mit einer langen Reihe von Dateien öffnete sich. Überwiegend handelte es sich um Bilddateien, einige sahen allerdings auch aus, als wären es Videos.
»Sieh mal, die Dateinamen sehen alle gleich aus«, sagte Pia und scrollte sich durch die Liste. »Ein Name und eine Nummer.«
»Mach mal ein paar auf.«
Der Inhalt bestand aus Frauenfotos. Bei einigen handelte es sich um unschuldige Porträts, andere waren fast schon pornografisch. Und zwischen diesen beiden Eckpunkten gab es sämtliche Varianten. Blonde Frauen, schwarzhaarige Frauen, Frauen mit großem Busen, dünne Frauen. Es mussten weit über hundert Fotos sein, dachte Frank und blickte fasziniert auf den Bildschirm, während Pia wortlos eine Datei nach der anderen öffnete. Keine der Frauen war mit zwei oder drei Fotos vertreten, es gab immer nur ein Foto von einer Frau. Bei einigen Dateien handelte es sich um kleine Videofilme in verschiedenen pornografischen Abstufungen. Frank vermutete, dass das männliche Glied, das auf einzelnen Videos zu sehen war, Peter Münster-Smith gehörte.
»Diese Dateinamen«, begann er, als er genug gesehen hatte, »bestehen alle aus einem Vornamen und sechs Ziffern. Es könnte sich um ein Datum handeln.«
»Vermutlich hast du recht«, erwiderte Pia. »Ich überprüfe es mal kurz.« Sie ging bei ein paar Dateien auf das Info-Feld und fand das Speicherdatum. »Es passt«, sagte sie nach kurzer Zeit. »Sie wurden alle am gleichen Tag oder am Tag nach der Datierung im Dateinamen gespeichert.«
»Eigentlich ganz logisch.«
Peter Münster-Smith hat seine Eroberungen gesammelt, dachte Frank. Er war bestimmt nicht der erste Mann der Weltgeschichte, der so etwas tat, aber es war gewiss auch nicht sehr verbreitet, ein regelrechtes digitales Archiv über seine Sammelobjekte anzulegen.
»Du fährst doch zu der Haushälterin, wenn wir etwas gegessen haben, oder?«
»Ja. Es sei denn, du hast andere Aufgaben für mich.«
»Nein, ich halte es immer noch für eine gute Idee. Nimm ein paar der Fotos mit. Vielleicht erkennt sie ja das eine oder andere Mädchen wieder. Es wäre schön, wenn wir mehr hätten als nur die Vornamen.«
»Ich drucke mir die neuesten aus.« Pia ließ den Computer die Dateien nach Speicherdatum sortieren. »Aber ich glaube, ich verschone Vera Kjeldsen mit dem Anblick des Ständers ihres Arbeitgebers.«
»Waage!«
»Jetzt sei bloß nicht so kleinmädchenhaft.« Sie lachte und klickte noch ein paar Mal, bevor sie die Maus losließ. »Das dauert jetzt einen Moment, bis die Fotos ausgedruckt sind … Was willst du essen?«
Es endete damit, dass sie ein paar französische Hotdogs vom Pølserwagen unten auf dem Platz holte, wo einige Stammgäste in dem eisigen Wind bibberten, der vom Fjord kam.
»Und jetzt?«, fragte Frank nach dem Essen. »Hast du Gerners Bericht schon gelesen?«
»Hm.« Pia wischte ein paar Krümel vom Schreibtisch und warf das Würstchenpapier in den Papierkorb. »Er war gründlich. Aber das ist ja nichts Neues.«
»Wo steckt er eigentlich?«
»Soweit ich weiß, koordiniert er noch immer die Vernehmungen mit den Nachbarn. Und dann will er noch mal mit der Hundestaffel losziehen.«
»Was sind deine Erkenntnisse aus dem Bericht?«
»Dass sämtliche Mitarbeiter einen Schlüssel zum Tor haben, aber nur eine kleine Gruppe die Tür zum Hinterhaus aufschließen kann. Dazu gehören die Architekten im Erdgeschoss und die Handwerker. Sonst kommen nur Personen ins Hinterhaus, die einen Generalschlüssel haben. Die Direktion, die Empfangsdame und die Sekretärinnen der Inhaber. Und natürlich die Wachfirma, von der das Gebäude überwacht wird.«
»Die Wachfirma? Das ist mir entgangen.« Frank blätterte in dem Bericht, bis er die richtige Stelle fand. »Ja, verflucht. Wieso haben die eigentlich die Leiche nicht sofort entdeckt?«
»Der Wächter geht offenbar nicht durch alle Räume. Er hat im Laufe der Nacht eine feste Runde und überprüft Türen, Fenster und so weiter von außen. Das Gebäude wird nur betreten, wenn etwas ungewöhnlich aussieht. Die Alarmanlage ist selbstverständlich aktiviert. Ich habe die Empfangsdame gestern selbst gefragt.«
»Okay.«
»So wie ich das sehe«, fuhr Pia fort, »ist es eigentlich egal, wer Schlüssel hat und wer nicht.«
»Das denke ich auch. Wenn der Täter mit Münster-Smith hereinkam, brauchte er den Generalschlüssel nicht. Den hatte schließlich Peter.«
»Genau.« Pia kratzte sich am Kopf. »Umgekehrt spricht die ganze Sache mit dem Overall dafür, dass wir jemanden suchen, der sich dort auskennt.«
»Wenn dieser Overall wirklich verschwunden ist, ja. Es könnte allerdings sein, dass dieser Malergeselle ihn am Donnerstag zum Waschen mit nach Hause genommen hat. Und hinterher hat er es vergessen.«
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