Wenn eine Abhandlung – scheinbar überheblich – so kritisch auftritt, hat sie die Pflicht zur gründlichen Darlegung und Entfaltung ihres Argumentierens. Leichte Kost ist die Lektüre deshalb nicht geworden. Immer wieder werden zentrale Überlegungen vertieft, Seitenwege betreten, Hintergründe ausgeleuchtet, Abgründe vermessen, die Zusammenhänge vielfach aus wechselnden Perspektiven thematisiert. Abbiegungen, Treppen rauf und wieder runter, Kehrtwende, wiederholendes Aufgreifen bereits angesprochener Zusammenhänge, die dergestalt aber vertieft oder nochmals neu akzentuiert ausgeleuchtet werden: Die Ausführungen sind verwickelter Natur.
Manche wissenschaftliche Passagen mögen als allzu akademisch abgetan werden, weil das Interesse an dieser analytischen Tiefe fehlt. Einerseits. Dafür mögen andererseits viele Passagen ausgleichend wirken, die zudem in ihrer Zuspitzung (des »Auf-den-Punkt-Bringens«) politisch provozierend sind. Um zwar nicht Allen, aber doch Vielen etwas gerecht zu werden, sind manche Einschübe, Vertiefungen, Verzweigungen kenntlich gemacht und herausgehoben, weil sie explizit als Exkurse formuliert oder jeweils in einen »Kasten« gesetzt, mit Schaubildern erläutert sind.
Auf einen überaus reichhaltigen Literaturapparat haben wir also entgegen früher Überlegungen und Absichten doch nicht verzichtet. Man nehme es als Service oder, viel wichtiger, als transparente Darlegung der Quellen unseres Argumentierens, denn die Abhandlung baut auf das Denken und Schaffen vieler Mitmenschen auf. Mag so manche Verknüpfung oder auch Auslegung eine Eigenleistung der vorliegenden Abhandlung sein; sie verdankt sich 8weitgehend Dritten in einem Gebirge angehäuften Wissens.
Aachen/Bonn/Köln, Herbst 2020
Das Drehbuch und Regieanweisungen zur Lektüre der Aufführung
Der Essay ist, wie schon betont, über weite Strecken durchaus politisch gehalten. Dennoch ist er in akademischer Tradition reichlich mit Literaturverweisen bestückt, um einerseits wichtige Quellen 1des Argumentierens transparent zu machen und um andererseits Orientierungen zur Vertiefung anzubieten. Der Text liest sich aber auch ohne Kenntnisnahme der Endnoten.
Daher nun, semiologisch denkend, zur »choreographischen Textur des Textes« und seiner Lektüre. Jedes Kapitel kann in Grenzen isoliert gelesen werden. Aber integriert betrachtet, ergeben sie eine Vision 2einer großen Reform der Pflegepolitik im Lichte einer radikalen Gesellschaftspolitik.
Diese Idee einer radikalen Gesellschaftspolitik denkt die Gesellschaft als solidarische Sorgegemeinschaft aus der Kraftquelle der Liebe als schöpferisches »Magma« im grundrechtstheoretischen Lichte sozialer Gerechtigkeit als Ausdruck des modernen demokratischen Naturrechts der Personalität der menschlichen Person als Kern der Idee des säkularen sozialen Rechtsstaats als Achse eines universalen Zivilisationsmodells.
Der Hauptteil, um den sich letztendlich alles dreht, ist Kapitel 4 (
Kap. 4
) mit zehn Unterabschnitten, die sich um das Denken einer radikalen Pflegepolitikreform drehen. Kapitel 4 (
Kap. 4
) ist im Spannungsverlauf der Höhepunkt. Der Anstieg hierzu verläuft als Hinweg über Kapitel 2 (
Kap. 2 2 Worum es daseinsthematisch geht Skizzieren wir die Absichten des zweiten Kapitels mit Rückgriff auf den »Hylemorphismus«, der soeben am Ende von Kapitel 1 genutzt wurde, die metaphysischen Kategorien von Wesen (Hyle) und Form (Morphe) aus den vorausgegangenen Darlegungen nunmehr nochmals verknüpfend.
), in dem die existenziellen Daseinsthemen (vor allem im Lichte einer Mythoshermeneutik mit der Absicht, Einsichten einer philosophischen Anthropologie der menschlichen Existenz als Daseinsgestaltproblematik zu vermitteln) aufgegriffen werden, die die Gesellschaft herausfordern, eine Vision für eine Gesellschaftsgestaltungspolitik zu denken. Diese Vision muss im Lichte der sozialen Wirklichkeit »erzählt« werden. Kapitel 3 (
Kap. 3
) diskutiert diese Poetik der Wissenschaft. Diese narrative Form der Wissenschaft ist jedoch als eine große, breit angelegte und tief fundierte Erzählung zu verstehen. In der »Einleitung und Grundlegung« des ersten Kapitels (
Kap. 1) werden bereits die Komplexität der Blickweise und die architektonische Art der Argumentation deutlich. Am Ausgangspunkt stehen einleitend die Grundlegung des Menschenbildes (in der Tradition des modernen existenzialen 3, dialogischen Personalismus) und seine Durchdringung der Rechtsregime als »Geist der Gesetze«.
Es werden sich sodann zentrale Kategorien einer modernen Bauordnung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft dergestalt neu auslegen lassen können, dass sie sich zu einer neuen Konfiguration einer Ordnung von Solidarität als Voraussetzung der Chance aller Bürger*innen zur freien Entfaltung im Lebenslauf zusammenfügen. Im Sinne dieses neuen Denkens steht die Gewährleistungskommune im föderalen sozialen Bundesstaat in Daseinsvorsorgepartnerschaft mit den Sozialversicherungen und der Zivilgesellschaft, die Marktlogik zurückdrängend und die kapitalistische Transformation der Care-Landschaften verhindernd, indem lokale Caring Communities im Rahmen einer regionalen Infrastruktursicherstellung sozialraumbildend im Mittelpunkt des Geschehens gestellt werden.
Diese Art der Grundlegung einer Vision einer Kommunalen Pflegepolitik wird sich als moderne Metaphysik der Grundrechte der menschlichen Person erweisen. Die Neuordnung des Dramas des Alltags – gar ein »Schlachtfeld« 4– der Menschen im sozialen Miteinander im Rahmen der Sozialraumbildung auf kommunaler Ebene erfolgte als Philosophie konkreter Praxis im Lichte Kritischer Theorie in einer geschichtsphilosophischen Perspektive des Wirklich-Werdens der Gestaltwahrheit des Menschen in seiner Personalität. Diese Grundlegung führt über die Kapitel 1 bis 3 (
Kap. 1– 3) die Lektüre zum Höhepunkt des Spannungsbogens im Kapitel (
Kap. 4
).
Kapitel 5 (
Kap. 5) baut, quasi vom Berg nunmehr absteigend, die Spannung ab, greift die zentralen Bausteine einer neuen Gesellschaftsgestaltung auf und versucht, diese Bausteine tiefer verstehen zu lassen. In sieben Unterabschnitten sollen Streiflichter auf wichtige Argumentationszweige geworfen werden, Argumentationszweige, die verstanden werden müssen, um die Grundlegung einer fundierten Vision, auf die die ganze Arbeit ja in dichter Form hinarbeitet, noch stärker zu untermauern.
Derartige Vertiefungen des Argumentationsganges in verzweigender Weise drücken sich auch in der »Textpolitik« von immerhin sieben Exkursen aus. Hinzu kommen zahlreiche »Kästchen«, in denen ergänzende Vertiefungen der Ausführungen vorgenommen werden. Zwölf Schaubilder deuten an, dass die Ausführungen immer wieder im Dienste der Steigerung ihrer Nachvollziehbarkeit aufbereitet werden sollen. Der Gesamttextgang der Abhandlung kann sich auch lesen lassen, indem bei einem ersten Lektüredurchgang diese Einbauten im Kollagesystem des Gesamttextes übersprungen werden.
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