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Frank Lehmkuhl
FRANK MILL
Das Schlitzohr des deutschen Fußballs
Gewidmet all denen, die (wie ich) den Fußball der Achtziger nicht vergessen können
»Wenn wir hier schon nicht gewinnen können, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.« Rolf Rüssmann, Ruhrgebietsfußballer
Inhalt
Vorwort
KAPITEL 1: Als Chef in schwieriger Mission
Die Olympischen Spiele 1988
KAPITEL 2: Goldene Ideen im grauen Kohlenpott
Kindheit und Jugend in Essen
KAPITEL 3: Mit einem Ungeheuer und einer Ente in Essen
Erste Profischritte bei Rot-Weiss
KAPITEL 4: Typen, Tore und totale Enttäuschungen
Bei den Fohlen in Mönchengladbach
KAPITEL 5: Das Schlitzohr im größten Freudenhaus Europas
Die Jahre bei Borussia Dortmund
EINWURF: Eine Begegnung der besonderen Art
Mit einer Hommage von Jean-Marie Pfaff
KAPITEL 6: Als »alter Mann« in der Mythos-Mannschaft
Karriereausklang bei Fortuna Düsseldorf
KAPITEL 7: Was nicht passt, kann einfach nicht passend gemacht werden
Frank Mill und die Nationalmannschaft
KAPITEL 8: Von alten und von neuen Zeiten
Das Leben nach der Profikarriere
ANHANG
Daten und Fakten
Literatur und Quellen
Danksagung
Der Autor
»Frank Mill ist in dem Jahr zu Borussia Dortmund gekommen, als meine zweite Amtszeit als Präsident zu Ende ging. In der vorangegangenen Saison 1985/86 war in der Relegation gegen Fortuna Köln in allerletzter Sekunde ein Entscheidungsspiel erreicht worden, in dem dann der Bundesliga-Klassenerhalt gelang. Unter den anschließend verpflichteten Verstärkungen war neben Norbert Dickel und Thomas Helmer auch Frank Mill, der von Borussia Mönchengladbach kam. Ein unberechenbarer Stürmer. Durch seine schnellen Bewegungen und Haken unangenehm für fast jeden Verteidiger. Und torgefährlich: 123-mal hat er allein in der Bundesliga in 387 Spielen getroffen. Aus Sicht des BVB gelang ihm ein ganz besonderes Tor im DFB-Pokalfinale 1989 gegen Werder Bremen. Der BVB gewann am Ende mit 4:1, es war der größte Erfolg von Frank Mill in seinen acht Dortmunder Jahren.
Ich schätze Frank Mill auch deshalb besonders, weil er mich in der BVB-Traditionsmannschaft am meisten anspielt …«
Dr. Reinhard Rauball, Präsident der DFL (Deutsche Fußball Liga) und von Borussia Dortmund e.V.
»Frank Mill war einer der ersten spielenden Mittelstürmer im deutschen Fußball, er hat damit einen Trend begründet. Er hatte ein unglaublich gutes Raum-Zeit-Gefühl, wusste immer, wohin er laufen musste, um für den Gegner gefährlich zu werden. Außerdem war er einer der herausragenden Typen hierzulande, immer ehrlich, immer geradeheraus, immer zu 100 Prozent authentisch. Ich habe leider selbst nie als Trainer mit ihm zusammenarbeiten können, aber ich weiß noch, dass ich mit all meinen Teams nie gerne gegen ihn gespielt habe. Bevor es losging, sagte ich zu meinen Verteidigern, dass sie ihm durchaus in den ersten Minuten mal einen mitgeben dürften. Aber Frankie hat sich immer mit Haut und Haaren gewehrt und mit gleicher Münze zurückgezahlt. Für mich ist Frank Mill der letzte große Stürmer, den das Ruhrgebiet hervorgebracht hat.«
Peter Neururer, Fußballtrainer
Vorwort
Der Tag, der vorübergehend meinen Hass auf Frank Mill weckte, war der 27. November 1985. Jung war ich, ein Teenager noch, dazu Fan von Fortuna Düsseldorf, und für einen glühenden Fan der Fortuna gibt es nicht viel Schlimmeres, als jemandem zusehen zu müssen, der gerade im Begriff ist, das Heiligtum des geliebten Vereins zu entweihen. Schmuddeliges Wetter hatte sich über jenen stockdunklen Frühwinterabend gelegt, an dem dies passierte. Ungemütlicher Wind blies durchs Düsseldorfer Rheinstadion. Aus wolkendichtem Himmel fiel Regen, ohne Pause, ohne Gnade. Die Welt schien für mich zu weinen. Auslöser meiner schwerwiegenden Verstimmung war das Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Real Madrid, UEFAPokal, Achtelfinale.
Die Borussia trat zu jener Zeit normalerweise auf ihrem Bökelberg gegen den Ball, auf einem abgewrackten und engen Stück Stadion, das in meiner damaligen Sicht auf die Dinge ein passender Bolzplatz für diesen Bundesligaverein aus der Provinz war. Wartete eine internationale Aufgabe, galt es zu akzeptieren, dass die unterversorgten Grünweißschwarzen für anderthalb Stunden bei uns Gastrecht beanspruchten. An jenem Abend brauchten die Kerle vom Niederrhein mal wieder eine Spielstätte. So kickten sie in meinem Stadion. Sie traten Löcher in meinen Rasen.
Zornig saß ich vorm Bildschirm. Und sah, wie sich in Minute 36 eine ganze Horde Königlicher im eigenen Strafraum wie fußballerisches Lumpenproletariat gegenseitig über den Haufen rannte.
Gladbachs Stürmer waren wieselflink und nutzten die Blödheit der Spanier mit Wonne aus. Zuerst sprintete Uwe Rahn mit wehender blonder Mähne in den Sechzehnmeterraum, gefolgt von Hans-Jörg Criens, der die von Rahn unsauber getroffene Kugel im Fallen von der Torauslinie kratzte und vors Tor spitzelte. Dort stand – erstaunlicherweise komplett unbewacht – ein kleiner Mann im weißen Trikot mit Querstreifen und fackelte nicht lange, das war so seine Art. Frank Mill, so hieß der kleine Mann, veredelte die Vorarbeit trocken mit der Innenseite seines rechten Fußes und sprang kurz darauf glücklich durch den rheinischen Regenguss, den rechten Arm cool zum Jubel erhoben.
Mills 1:0 bedeutete den Auftakt zu einer famosen Show des deutschen Spitzenteams. Ein Tor nach dem anderen schenkten die Gladbacher mit ihrem aufgedrehten Angreifer den in diesen 90 Minuten alles andere als stolzen Spaniern ein. In der 82. Minute, es stand bereits 4:1 für die Deutschen, schnappte sich der Wahnsinnige erneut den Ball, diesmal Nähe Mittelkreis, ließ ein halbes Dutzend Madrilenen mit einem satten Antritt stehen, als hätten sie Blei in den Stollenschuhen, und legte die Kugel butterweich in die Mitte, wo Ewald Lienen nur noch einschieben musste. 5:1. Unfassbar. Was für eine Abreibung. Dieser Mill machte gegen den bekanntesten Fußballverein der Welt eins der besten Spiele seines Lebens. Und das auch noch just an dem Ort, der doch bitte schön ausschließlich Zaubervorstellungen meines eigenen Vereins vorbehalten sein sollte.
Der Tag, an dem mich Frank Mill zu faszinieren begann wie kaum ein anderer Profi, war ebenfalls der 27. November 1985, ich wusste es nur noch nicht. Als junger Fan von Fortuna Düsseldorf wehrt man sich auf allen Ebenen des Bewusstseins dagegen, eine innige Beziehung zu einem Fußballer aufzubauen, der für verfeindete Farben aufläuft. Die Zuneigung kommt auf leisen Sohlen, sie schleicht sich langsam, aber unumkehrbar in die Gehirnwindungen und dringt erst mit zunehmender geistiger Reife und der nötigen Abgeklärtheit eines abgewichsten Fußballanhängers glasklar ins Denken ein. Seinerzeit, mit meinen erst 14 Lenzen, konnte ich die sanften ersten Zeichen dieses beginnenden Begeisterungsprozesses noch nicht deuten.
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