»Ihr könnt mich mal. Ich bleibe hier!«, kreischte Violett und verschränkte die Arme.
»Ganz sicher nicht, junge Dame! Es war schon so eine Schande für die Familie, aber nun, da alle wissen, was das für Kreaturen sind, sollst du unseren Ruf nicht noch weiter schädigen«, widersprach Jakob eisern.
»Das ist meine Entscheidung, ob ich mit euch nach Hause in die Hölle gehe oder hierbleibe. Ich bin fast achtzehn!«, stellte Violett klar. Ihre Stimme klang so verzweifelt. Sie wollte um nichts in der Welt zurück zu ihren Eltern.
»Da fehlt noch fast ein Jahr!«, erinnerte Niklas spöttisch grinsend.
Er war so ein Ekelpaket, befand Zoe.
»Du kommst mit, Violett, und damit basta! Diese Freaks haben dich völlig verzogen!«, beschwerte sich Nathanael und nickte seinem Sohn zu.
Der hob seine Schwester einfach hoch und trug sie aus dem Haus. Niemand unternahm etwas dagegen. Alle sahen nur zu, wie Violett verschleppt wurde. Sie schrie und strampelte, doch niemand kam ihr zur Hilfe.
Der Einzige, der etwas dagegen einzuwenden hatte, war Liam. Er stellte sich vor die Tür, doch er war zu schwach, um gegen drei durchtrainierte Männer und eine zu allem entschlossene Mutter etwas auszurichten. Er wurde einfach aus dem Weg geschoben, damit Niklas mit seiner um sich schlagenden Fracht das Haus verlassen konnte. Nathanael zog hinter seiner Familie die Tür ins Schloss.
»Warum tut niemand von euch was?«, brüllte Liam und sah seine Familie vorwurfsvoll und entgeistert an.
»Sie ist ihre Tochter. Wenn wir sie hier festhalten, können die Kramers uns der Entführung beschuldigen. Außerdem möchte ich noch einigermaßen die friedliche Koexistenz wahren. Die nächste Zeit wird schon schwer genug und sie werden die Bevölkerung sicherlich gegen uns aufbringen. Violett und du könnt euch doch in der Schule sehen«, erklärte Aurora emotionslos. Sie hatte nichts aus der Sache mit Fiona gelernt. Sie hatte einen Tag gebraucht, um wieder die Alte zu werden: kaltherzig und gleichgültig!
Das sah auch Liam so. »Und du wunderst dich, dass Fiona gelernt hat, dich und diese verdammte Familie zu hassen«, schrie er und man hörte den Hass nur zu deutlich. Er überdeckte fast die Trauer und Verzweiflung.
Aurora verzog das Gesicht. Holte tief Luft, stieß diese scharf wieder aus und zischte dann: »Wenn du glaubst, die Wenningers behandeln dich besser, dann bitte. Folge deiner Cousine! Dann kann uns wenigstens jemand aus der Familie darüber informieren, wenn sie bei einem der tollen Zauber oder durch Wenningers psychopathische Aussetzer das Zeitliche gesegnet hat.«
»Du glaubst, Fiona wird sterben?«, fragte Abigail panisch. Sie schien sich nun doch Sorgen um ihre Schwester zu machen, und der Streit wegen Simon war vergeben und vergessen.
»Ich gebe ihr ein Jahr. Es sind gefährliche Kreise und sie ist nur ein unerfahrenes Kind«, verkündete Aurora kalt, als hätte Fiona, ihre Vorzeigeenkeltochter, ihr nie etwas bedeutet.
Cleo schluchzte und Lars tätschelte ihr unbeholfen die Schulter. Cleo schlug seine Hand weg. Die anderen senkten betroffen die Blicke. Dann löste sich die Versammlung ohne weitere Worte auf.
Auch Zoe und Thomas gingen wieder nach oben, um den letzten Tag der Ruhe vor dem Sturm zu genießen.
Der nächste Tag war der reinste Spießrutenlauf. Was am Samstag geschehen war, hatte sich in der ganzen Stadt wie ein Lauffeuer verbreitet.
Zoe war die Blicke, die auf ihr lagen, sobald sie die Schule betrat, gewohnt. Heute handelte es sich jedoch um Blicke der anderen Art. Die Leute schauten nicht bewundernd und neidisch, sondern sie gafften, als wäre sie ein Autounfall oder ein Ausstellungsobjekt im Kuriositätenkabinett.
Am Schließfach liefen Viktor, Selin und Augustus an ihr vorbei. »Deine Ex ist jetzt übrigens eine Terroristin«, breitete Viktor an seinen besten Freund gewandt lautstark den Klatsch und Tratsch aus.
»Zum Glück hast du diese Bitch rechtzeitig abgesägt, bevor sie dir noch etwas antun konnte«, verkündete Selin und strich ihrem Freund über die Wange.
Zoe atmete tief durch und biss sich vor Wut mit den Schneidezähnen auf die Unterlippe, ihre Zähne bohrten sich tief in ihr Fleisch. Sie durfte nicht reagieren, denn sie wusste, dass die drei die Show extra für sie abzogen. Sie warteten nur darauf, dass sie ausrastete.
»Ja, ich hätte nie gedacht, dass sie so ein Psycho ist. Ich dachte immer, sie hätte permanent PMS«, behauptete Augustus herablassend. Doch keines seiner Worte war wahr. Seine Beziehung mit Fiona war bis zu dem Punkt, als er betrunken mit Zoe hatte schlafen wollen, äußerst glücklich gewesen. Er vermisste sie. Er blickte reuevoll auf den Jackpot zurück, den er verloren hatte.
»Zum Glück hast du jetzt mich«, lobte Selin sich selbst und warf ihre strohigen Haare nach hinten. Sie konnte Fiona, auch wenn diese ein Monster geworden war, nicht einmal annähernd das Wasser reichen.
Zoe knallte die Tür ihres Schließfaches zu und lief den Flur entlang. Normalerweise war das ihr Catwalk, heute war es ihr Walk of Shame.
Im Klassenzimmer stellte sie sich auf einen Tisch, weil sie es nicht mehr aushielt. »Kann ich mal für eine Minute eure Aufmerksamkeit bekommen? Ups, die hab ich ja sowieso schon«, begann sie ihre Rede. Sie fuhr fort: »Ja, die Gerüchte stimmen. Ich bin eine Hexe. Aber was ist dabei? Wir leben nicht mehr in der Renaissance. Also findet euch damit ab und haltet eure dämlichen Fressen. Gelästert wird nur über Loser. Ich bin die Königin!« Sie machte noch einen kleinen Knicks. Dann setzte sie sich einfach auf ihren Platz und gab sich teilnahmslos.
Die Leute begannen zu tuscheln, doch es klang nicht wie Zustimmung. Ihre Mitschüler brauchten wohl noch etwas Zeit, um sich damit abzufinden, was die Bernauers waren. Zoe war sich sicher, dass sie sich wieder beruhigen würden. Fragte sich nur, wann. Doch im Gegensatz zum Rest der Bernauers konnte sie sich nicht in den Kreis ihrer Familie zurückziehen, denn durch ihren Auftritt vom Vortag wurde sie momentan gemieden. Und nicht nur da.
Sie hatte seit der ersten Klasse in der Schule noch nie allein gegessen. Alle rissen sich um einen der begehrten Plätze neben Zoe Bernauer. Nicht heute! Nachdem sie schon in der Frühstückspause ihren Apfel einsam verspeist hatte, saß sie nun allein in der Cafeteria und hielt in der Hand ein labberiges Stück Pizza. Sie bekam keinen Bissen herunter.
Plötzlich kamen drei Gestalten auf sie zu. Jessica, Simon und Markus. Sie wurden von den anderen mit Blicken verfolgt. Zoes Herz schlug schneller. Sie hatte Angst vor ihren Worten. Nun wusste sie, wie sich ihre Opfer fühlten, wenn sie auf sie zustöckelte. Die drei setzten sich zu ihr an den Tisch. Jessica lächelte freundlich und verkündete: »Wir stehen hinter euch. Wir wissen, dass ihr nicht so irre wie Fiona seid. Wir sind auf eurer Seite.« Zoe fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Sie umarmte Jessica lange.
»Wo ist Gabriel?«, erkundigte sie sich nach einer Weile und legte den Kopf schief. Man sah Markus fast nie ohne ihn.
Es herrschte Schweigen, doch das war die eindeutigste Antwort, die es geben konnte. Das war der Tag, an dem Zoe lernte, wie hart es doch war, wenn sich fast alle Leute gegen einen wandten. Es war verdammt belastend, als sonderbar ausgegrenzt zu werden. Sie hatte noch drei Freunde an dieser Schule. Aus einhundert waren über Nacht drei geworden.
Zoe saß nach der Schule allein in ihrem Zimmer. Niemand sprach mit ihr. Es kamen keine Nachrichten mehr. Die anfängliche Neugier war Abscheu gewichen.
Es überraschte Zoe, wie sich ihr Leben innerhalb eines halben Jahres doch gewandelt hatte. Über welche Lappalien hatte sie sich früher den Kopf zerbrochen? Nun wusste sie, was echte Probleme waren. Als wäre an Halloween nicht schon genug geschehen, musste auch Fiona noch zu den Schwarzmagiern konvertieren und Zoes Erpresser ihr die Welt zur Hölle machen.
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