Francis Nenik
Skizzen aus dem Amerika Donald Trumps
Inhalt
Tagebuch eines Hilflosen »Jeder sollte das Tagebuch eines anderen führen.« Oscar Wilde
Dank
»Jeder sollte das Tagebuch eines anderen führen.«
Oscar Wilde
Inauguration: Der Vogel hebt ab und deutet den eigenen Flug, seine Tätigkeit wird nur auf der zerbügelten Haut seines von innen gegerbten Gesichts den Charakter eines Opfers tragen.
Noch immer protestieren Millionen Menschen gegen Donald Trump. Dagegen, dass er die Wahl gewonnen hat, dass er Präsident ist und dass er überhaupt ist, wie er ist. Und doch: Auf der Rückseite der Proteste lauert bereits die Gewöhnung. Sie wartet auf ihren Einsatz. Es wird noch ein wenig dauern, bis sie hervortreten kann. Aber das macht nichts. Sie ist geduldig, denn sie weiß: Ihr Tag wird kommen, so wie er gekommen ist. Das Normale ist das Machbare plus Zeit.
Donald klagt, die Presse fördere den Zwiespalt. Er erkennt das an seinen Haaren. Der Spliss hat zugenommen. Melania ist Haircare kaufen gegangen: Damit wird er das Land einen.
Washington D. C., 8 Grad, Regen, dazu eine Sturmwarnung vom Nationalen Wetterdienst. Das muss sich ändern! Papier und Tinte werden’s richten. Sturmwarnungen verfasst in Zukunft das Oval Office. Alles in trockenen Tüchern. Superpower-Montag.
Donald Trump verbringt seine ersten Tage im Weißen Haus damit, eine Vielzahl von Durchführungsverordnungen zu unterzeichnen. Es ist die reinste Fließbandarbeit. So viel hat er in seinem ganzen Leben noch nicht geschrieben. Aber er hat auch viel vor. Er will die Mexikaner ausmauern. Will den von Obama gestoppten Bau der Keystone XL Pipeline wieder aufnehmen und Rohöl aus Kanada quer durchs Land und sämtliche Naturschutzgebiete transportieren. Will aus dem Transpazifischen Partnerschaftsvertrag aussteigen, um Einfuhrzölle für ausländische Produkte erheben zu können. Und er will sämtlichen Organisationen, die auch nur über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen informieren, die Entwicklungsgelder streichen. Und zwar komplett. Finanzielle Abreibung für medizinische Abtreibung sozusagen. Und damit das auch alle verstehen und sich auch in hundert Jahren noch an Donald Trumps großes Streichkonzert erinnern, saß er gestern Abend wieder an seinem schweren Eichenholzschreibtisch, dem sogenannten »Resolute Desk«, und signierte sein radikal-resolutes Anti-Abtreibungs-Papier. Umringt war er dabei von einem Dutzend Männer – diverse Berater und Stabschefs, dazu Vizepräsident Mike Pence, Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und noch einige mehr. Sie alle nickten, als Trump das Memorandum signierte. Frauen waren keine zugegen. Aber warum auch? Die Betroffenen werden wie immer nicht gefragt.
Im Weißen Haus treffen sich weiße Männer mit weißem Haar um Obamacare so weiß wie möglich auszuradieren. In den Kohlegruben von Kentucky bereuen derweil weiße Männer mit schwarzen Lungen ihre Wahl. Wenn Obamacare fällt, platzen ihre Gesundheitsversicherungen wie unter Hochdruck stehende Lungenbläschen. Graue Tage für sie.
The New Furor spricht: »Der Anfang meiner Worte ist das Ende eurer Welt!«
I: ex
IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII
M: k. o.
Trump ist der Retter des Fernsehens. Er bezieht seine Informationen aus dem TV und reagiert darauf via Twitter. Er hat die Nachrichtenkette umgekehrt. Aber das ändert nicht das Geringste. Das Ereignis ist ER – und wie rum ER die Kette hält, ist egal. Hauptsache, ER hält sie in der Hand.
Am Ende des Tages ist Donald Trump auch nur ein alter Mann, der Angst davor hat, dass seine Welt eine andere werden könnte.
Als Präsident wohnt Trump zwar im Herzen Washingtons, die Leute dort scheinen ihn aber nicht gerade in ihre Herzen geschlossen zu haben. Bei der Präsidentschaftswahl hat er in der Stadt nur 4,09 % der Stimmen geholt. Das ist das schlechteste Ergebnis, das ein Kandidat der Republikaner jemals in Washington D. C. erzielt hat. Andererseits: So viel besser waren die meisten anderen auch nicht. Seit 1992 haben alle republikanischen Kandidaten in Washington D. C. weniger als 10 % der Stimmen geholt. Und auch davor sind sie niemals auch nur in die Nähe eines Sieges gekommen. Das beste Ergebnis hat Richard Nixon für die Republikaner eingefahren, der 1972 exakt 21,56 % der Stimmen gewann. Wenn das »D. C.« nicht schon »District of Columbia« hieße, könnte man es also mit »Democratic County« übersetzen. Aber Trump wird das nicht weiter jucken, denn erstens ist er Präsident, zweitens kann er sich durch das Ergebnis in Washington weiter als Stachel im politischen Herzfleisch des Establishments inszenieren und drittens hat er die 90,86 %, die Hillary Clinton in Washington erzielt hat und die landesweit den Rekordwert für die Demokraten darstellen, anderswo locker getoppt. Und zwar mehrfach. Um genau zu sein, hat Trump in sechs Countys 91 % oder mehr geholt. Am höchsten war die Zustimmungsrate in Roberts County in Texas, wo 94,58 % der Leute ihr Kreuz bei Trump gemacht haben. Überhaupt hat er 2.623 der 3.112 Countys gewonnen und damit so viele, wie seit Ronald Reagan 1984 überhaupt keiner mehr.
Trumps Landwirtschaftsminister heißt Sonny Perdue. Eine perfekte Wahl, wenn es darum geht, der Verschleierung der Tatsachen Rechnung zu tragen, denn nichts verbirgt die gnadenlose Fratze der Agrarindustrie besser als ein gutmütiges Großvatergesicht. Ökologische Landwirtschaft, Unterstützung kleiner Farmen, Tierschutz, Arbeitnehmerrechte, Maßnahmen gegen den Klimawandel – damit ist es aus und vorbei. C’est perdue .
Man kann die Tatsache, dass Trump zum Präsidenten gewählt worden ist, auch als Sieg des amerikanischen Pragmatismus über die europäische Moralphilosophie lesen.
Ich habe mir einen Anagramm-Generator gebaut und ihn gefragt, was ich mit »Donald Trump« tun kann. Er hat mir eine Trilogie des potenziellen politischen Aktionismus geschrieben:
Teil 1:
Darn Mud Plot.
Das Dreckskomplott verwünschen.
Teil 2:
Damp Lord Nut.
Herrn Dummnuss schwächen.
Teil 3:
Punt Mad Lord.
Den verrückten Herrscher wegkicken.
Es ist für mich unvorstellbar, wie die Welt in vier Jahren, nach dem Ende von Trumps Präsidentschaft, aussehen wird. Aber noch viel unvorstellbarer ist für mich, wie die Einträge in diesem Tagebuch dann aussehen werden. Es scheint, als erfordere das Abbild einer Zeit mehr Vorstellungskraft als die Zeit selbst. Aber warum auch nicht? Alle Historiografie ist ein Sich-Distanzieren. Schritt hält der Schreibende nur mit sich selbst. Das Imaginäre ist die geschichtsmächtigste Kraft.
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