Luis Sepulveda - Tagebuch eines sentimentalen Killers

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Das Mädchen, der Killer, die Liebe und der Tod … Ein in die Jahre gekommener Profikiller nimmt seinen nächsten Auftrag an, der ihm eine siebenstellige Summe einbringen soll. Er hofft, dass es sein letzter ist, schließlich haben auch Killer ein Recht auf Ruhestand. Dumm nur, dass er gerade jetzt nicht ganz bei der Sache ist. Seit drei Jahren schon verstößt er gegen eine eiserne Regel seines Berufsstands: sich nicht auf eine amouröse Beziehung einzulassen, und nun hat seine Geliebte ihn für einen anderen verlassen. Neben Liebeskummer beginnen ihm strikt verbotene Fragen den Verstand zu vernebeln: Wer ist eigentlich dieser Mann, den er in Istanbul liquidieren soll, und warum will man ihn loswerden? Während der folgenden sechs Tage bei einer Hetzjagd von Istanbul über Frankfurt und Paris bis nach New York und Mexiko verliert der Killer immer mehr seinen Auftrag aus dem Blick – und gerät dabei selbst in höchste Gefahr. Ein rasanter Kurzkrimi voll augenzwinkerndem Humor und ein großer Lesespaß.

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Luis Sepúlveda

Tagebuch eines sentimentalen Killers

Roman

Aus dem chilenischen Spanisch von Willi Zurbrüggen

Kampa

Ein schlechter Tag

Der Tag fing schlecht an. Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber an solchen Tagen, glaube ich, sollte man besser keinen Auftrag annehmen; selbst wenn die Prämie siebenstellig und steuerfrei ist. Der Tag fing schlecht an, und spät. Als ich in Madrid landete, war es achtzehn Uhr dreißig und höllisch heiß. Der Taxifahrer, der mich ins Palace brachte, ging mir mit seinem aufdringlichen Geschwätz über den Europacup auf die Nerven. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, ihm den Lauf einer Fünfundvierziger in den Nacken zu drücken, damit er endlich das Maul hielt; aber ich hatte kein Schießeisen dabei, und außerdem legt man sich als Profi nicht mit Kretins an, auch wenn sie als Taxifahrer daherkommen.

An der Hotelrezeption gab man mir die Schlüssel sowie einen Umschlag, den ich im Fahrstuhl öffnete. Darin lag das Foto, auf dem sechs Typen zu sehen waren, jung, gut gekleidet, alle zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, keiner unterschied sich groß vom andern. Mich interessierte jedoch nur der, dessen Kopf mit einem roten Filzschreiber eingekreist war. Das war mein Mann, und er gefiel mir gar nicht. Die Bildunterschrift lautete: Third Encounter of Non Governmental Organizations, NGO . Sie gefiel mir ebenso wenig. Ich habe Philanthropen noch nie ausstehen können, und der Typ stank förmlich nach modernem Menschenfreund. Ein Minimum an Berufsethos verbietet die Frage nach dem, was die Typen, die man liquidieren soll, sich zuschulden kommen lassen haben; doch als ich das Foto betrachtete, verspürte ich Neugier, und das ärgerte mich. Sonst war nichts in dem Umschlag, und so sollte es sein. Ich musste mich mit diesem Gesicht vertraut machen, jede Einzelheit herausfinden, die seine Stärken oder Schwächen verriet. Das Gesicht eines Menschen lügt nicht; es ist die einzige Landkarte, auf der alle Regionen verzeichnet sind, die wir einmal bewohnt haben.

Ich gab dem Hotelboy, der meinen Koffer aufs Zimmer getragen hatte, gerade ein Trinkgeld, als das Telefon klingelte. Ich erkannte die Stimme des Mannes, der mir die Aufträge gab. Ich hatte ihn noch nie zu sehen bekommen und wollte es auch nicht, denn so ist es unter Profis üblich; aber an seiner Stimme würde ich ihn in jeder Menschenmenge erkennen.

»Hast du eine gute Reise gehabt? Hat man dir den Umschlag übergeben? Tut mir leid, dir den Urlaub verderben zu müssen«, sagte er anstelle einer Begrüßung.

»Ja auf die beiden Fragen, und das Letzte glaube ich dir nicht.«

»Du reist morgen ab«, sagte er. »Ruh dich aus.«

»In Ordnung«, sagte ich und legte auf.

Ich warf mich aufs Bett und schaute auf die Uhr. Noch fünf Stunden bis zur Landung der Maschine, mit der meine Kleine – was für eine bescheuerte Bezeichnung – aus Mexiko kam, und ich stellte sie mir von der veracruzanischen Sonne knusprig gebräunt vor. Ich hatte ihr eine Woche Madrid versprochen, bevor wir nach Paris zurückkehrten. Eine Woche in Buchläden herumstöbern und Museen besuchen; so was liebte sie, und ich nahm es mit unterdrücktem Gähnen hin, denn diese Kleine – wirklich bescheuert, die Bezeichnung – hatte mir das Hirn weich gekocht. Ein Profi lebt allein, und für die Bedürfnisse des Körpers liefert die Welt draußen eine reiche Auswahl an Nutten. Ich habe dieses frauenverachtende Gebot immer konsequent eingehalten.

Immer. Bis ich sie kennenlernte.

Es war in einem Café am Boulevard Saint-Michel. Alle Tische waren besetzt, und sie fragte, ob sie sich auf einen Kaffee an meinen setzen könne. Sie hatte einen Packen Bücher dabei, den sie auf die Erde legte, bestellte einen Espresso und ein Glas Wasser, nahm eines der Bücher und begann, mit einem Marker Sätze anzustreichen. Ich vertiefte mich wieder in meine Seite mit den Pferdewetten.

Plötzlich unterbrach sie mich und bat um Feuer. Ich hielt ihr die Hand mit dem Feuerzeug hin, und sie umfasste sie mit beiden Händen. Sie wollte es wissen, die Kleine. Es gibt Frauen, die können ihrer Lust auf Bumsen Ausdruck verleihen, ohne ein Wort zu sagen.

»Wie alt bist du?«, fragte ich.

»Vierundzwanzig«, antwortete sie mit ihrem kleinen roten Mund.

»Ich bin zweiundvierzig«, gestand ich mit einem Blick in ihre Mandelaugen.

»Ein junger Mann«, log sie mit dem ganzen Fieber ihrer Bewegungen beim Rauchen, während sie das Haar zurückstrich, das die Farbe reifer Kastanien hatte und so glatt und geschmeidig war wie Wasser, das über moosbedeckte Steine plätschert.

»Willst du vor dem Bumsen essen oder hinterher?«, fragte ich und winkte dem Kellner, um zu zahlen.

»Iss mich und bums mich in der Reihenfolge, die dir lieb ist«, antwortete sie und hielt sich an ihren Büchern fest.

Wir verließen das Café und gingen in das erste Hotel, das wir fanden. Ich kann mich nicht erinnern, jemals mit einem so unerfahrenen Mädchen zusammen gewesen zu sein; sie wusste nichts, aber sie war scharf darauf, zu lernen. Und sie lernte. Sie lernte so gut, dass ich die elementare Regel des Alleinseins verletzte und ein Killer mit fester Freundin wurde.

Sie wollte Übersetzerin werden, und wie alle Intellektuellen war sie naiv genug, jedes Märchen zu glauben, das man ihr auftischte, sodass ich ihr ohne Mühe einreden konnte, ich sei Repräsentant einer Fluggesellschaft und müsse daher viel reisen.

Drei Jahre mit ihr zusammen. Sie entwickelte sich rasch zur Frau, ihre Hüften erblühten vom puren Gebrauch, ihr Blick wurde durchtrieben, sie lernte, dass Lust im Fordern besteht, fand Gefallen an der Seide, die ihren Körper einhüllte, an teuren Parfüms, an Restaurants, in denen die Kellner so vornehm wie Botschafter waren, und an Designer-Schmuck. Sie tat einen guten Schritt vom Mädchen zur Frau.

Und ich verletzte in der Zwischenzeit verschiedene Sicherheitsregeln; vor allem jene, die verlangt, allein zu leben, anonym zu bleiben, unerkannt, nur ein Schatten zu sein. So wurde aus dem Apartment, in dem ich die Aufträge entgegennahm, mein Büro, in das ich jeden Morgen ging, während wir für die Abende und Nächte eine gemeinsame Wohnung genommen hatten, die schon bald den Geruch von bürgerlichem Heim annahm, da uns dort ihre Freunde besuchten und Feste gefeiert wurden. Im Lauf dieser drei Jahre erledigte ich mehrere Aufträge in Asien, den USA und Lateinamerika, und ich glaube, ich verbesserte mich als Profi sogar, weil ich schnell zu Werke ging, um bald wieder bei ihr sein zu können. Wie gesagt: Sie hatte mir das Hirn weich gekocht.

Gegen neun beschloss ich, außerhalb des Hotels essen zu gehen und mir einen Gin zu genehmigen. Ich wusste, es würde ihr nicht gefallen, dass ich sie in Madrid allein ließ. Ich hatte ihr einen Monat Urlaub in Mexiko bezahlt, damit sie außer Reichweite war, während ich einen Job in Moskau erledigte. Ein paar Russen hatten sich mit jemandem vom Cali-Kartell angelegt, und dieser Jemand beauftragte mich, ihnen klarzumachen, dass sie nur ein paar blutige Anfänger waren. Nein, es würde ihr gar nicht behagen, dass ich sie in Madrid allein ließ. Nun, nach der zweiten oder dritten Nummer würde ich es ihr sagen. Nachdem ich mir in einem galizischen Restaurant den Bauch mit Krabben und Muscheln vollgeschlagen hatte, unternahm ich einen langen Spaziergang um den Prado herum. Ich sollte eigentlich nicht an diesen Typ auf dem Foto denken, aber er ging mir nicht aus dem Kopf. Ich kannte weder seinen Namen noch seine Staatsangehörigkeit, aber etwas sagte mir, dass er Lateinamerikaner war und dass unsere Wege sich wohl oder übel bald kreuzen würden.

»Der Typ ist ein Job wie jeder andere, mehr nicht. Ein Job, der dir einen Scheck über eine siebenstellige Zahl bringt, steuerfrei, sobald der Typ nicht mehr schnauft; also hör auf, dir das Gehirn zu zerbrechen«, ermahnte ich mich, als ich eine Bar betrat.

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