Es sind Entladungen der Angst. Es ist die amerikanische Form des Beweises, dass alle Menschen gleich sind.
Mein kleines Tagebuch ist im Grunde nichts anderes als die fortdauernde Nacherzählung einer Alternativweltgeschichte, die sich in die Realität verlaufen hat.
Trump fordert »Jobs! Jobs! Jobs!«, aber nicht im Außenministerium. Dort sind bei den leitenden Beamten noch immer 30 von 106 Stellen unbesetzt. Bei den Staatssekretären fehlen sogar sieben von neun. Ihr Chef, Rex Tillerson, ist ein König ohne Stab, denn den hat Trump bereits über ihm gebrochen. Also spielt Tillerson den Draußenminister und fährt im privaten Fahrstuhl jeden Tag hoch in die 7. Etage in sein palastartiges Büro, derweil Trumps inhäusiger Schwiegersohn Jared Kushner den Außerhalb-des-Amtes-Minister mimt und als solcher im Auftrag des Herrn Schwiegervater durch die zerstörte Weltgeschichte fliegt.
Bildungsministerin Betsy DeVos hat im Nationalen Luft- und Raumfahrtmuseum die Wichtigkeit mathematisch-technischer Bildung betont und dafür geworben, dass mehr Mädchen entsprechende Fächer studieren. Unterdessen sieht Donnie Darkos Budgetplan vor, den dazugehörigen Bildungs- und Förderprogrammen der NASA sämtliche Mittel zu streichen. Ein Widerspruch? Mitnichten! So eine Null ist geradezu die Grundlage für Höhenflüge. Er selbst ist das beste Beispiel, schließlich liest er nach eigenen Angaben keine Bücher, hat aber schon 17 geschrieben.
Seit sich Donald Trump ungeniert im Glanz seines Präsidenten-Ichs sonnt, verzeichnen die großen Zeitungen in den USA steigende Abonnentenzahlen. Besonders die linksliberalen Blätter wie die New York Times profitieren davon, dass sich die demokratisch geprägten urbanen Eliten den Frust von der Seele lesen wollen. Die lokalen Blätter gehen dagegen vor die Hunde. Der Ausverkauf ist ein Musterbeispiel für Wirklichkeitsabsorption. Erst verschwindet die Zeitung vor Ort, dann verschwindet der Ort selbst aus der Öffentlichkeit. In den USA mussten seit dem Jahr 2004 mehr als anderthalbtausend Zeitungen schließen. Statt Licht wird dicht gemacht.
Trump kann das egal sein. Das Lokale hat ihn noch nie interessiert. Er liest ohnehin nur die großen Zeitungen. Jeden Tag, immer die gleichen vier Blätter: New York Times, Washington Post, Wall Street Journal, New York Post . Alles in Print. Trump liest keine Zeitungen online. Er liest am liebsten überhaupt nichts im Netz. Seine nicht enden wollenden Twitter-Nachrichten mögen ihn wie einen Digital-Junkie aussehen lassen, tatsächlich aber ist Trump ein Mann der analogen Welt. Er reagiert mit Twitter, nicht auf Twitter. Seine Informationsbasis ist und bleibt die fassbare Welt und die findet er – abgesehen von Fox News – in gedruckten Zeitungen und Magazinen. Deshalb bringen ihm seine Mitarbeiter auch jeden Tag nicht nur vier große Blätter, sondern auch eine Mappe voll ausgedruckter Online-Artikel. Und dazu noch ein paar Texte, die sie aus anderen Drucksachen herausfrisiert haben. (Die Mappe, so heißt es, ist neben Fox News Trumps zentrale Informationsquelle, und jeder Minister, Berater und Behördenchef versucht, Artikel, die ihn in einem guten Licht dastehen lassen, darin zu platzieren. Aber das ist nicht so einfach getan wie gesagt: Wer mit seinen Werbetextchen zum Präsidenten durchdringen, d. h. in die Mappe rein will, muss vorher an der Auslesemaschine namens Stabschef vorbei. Und je nach Wertigkeit des eigenen Rangs auch noch an einer Handvoll anderer Leute, die ihre Wachposten im Staff’s Secretary Office des Weißen Hauses bezogen haben und sich als Kettenhunde des Präsidenten verstehen.) Wer es aber schafft, zu Trump durchzudringen, hat gute Chancen, dass er erhört wird. Angesichts der New York Times und der Washington Post dringen allerdings auch jene zu ihm durch, deren Ansichten er ganz und gar nicht zu teilen vermag, weshalb es bereits erste Berichte von Journalisten gibt, die von Trump ihre eigenen Artikel zu- oder besser wohl: zurückgeschickt bekamen, inklusive einiger markiger Worte, mit denen Trump die entsprechenden Stellen signiert hatte. Signaturen gibt’s allerdings auch für jene Artikel, die bei Trump auf besondere Gegenliebe stoßen, was dazu führt, dass der ein oder andere Minister, Berater oder Behördenchef auch mal Post von Trump kriegt, und zwar ganz physisch in Form ausgeschnittener Artikel oder kompletter Zeitungen, in denen der jeweilige Minister, Berater oder Behördenchef – stellvertretend für die Trump-Administration und damit letztendlich: stellvertretend für Trump – gelobt worden ist. Sogar ausgedruckte Tweets sollen von Trump schon mithilfe der Poststelle des Weißen Hauses verschickt worden sein, zumindest wenn man den Berichten einiger Journalisten glauben darf, die sie in den Büros der jeweiligen Adressaten entdeckt haben, was allerdings auch nicht allzu schwer war, denn die Tweets hingen eingerahmt an der Wand! Was freilich auch daran lag, dass Trump sie nicht nur ausgedruckt, sondern auch signiert hatte. Eingerahmt haben den Tweet natürlich jeweils die Empfänger, denn für sie gibt der Rahmen dem Tweet erst die Würde. Unbewusst oder sagen wir besser: rückwärts gewandt (und zwar in jeglicher Hinsicht) bestätigt sich damit aber noch etwas anderes, nämlich Trumps analoges Verständnis von Welt, dessen Grundpfeiler Übersicht, Klarheit, Festigkeit und Abgrenzung sind. Es ist die Welt, wie sie früher mal war, und sei es auch nur im Kopf eines alten Mannes, der heute als Präsident im Weißen Haus sitzt. In einem ausgedruckten, signierten und eingerahmtem Tweet kommt Trumps Welt zu sich – und Trump selbst zu den Menschen.
Eine der geläufigsten Charakterisierungen Trumps lautet: Der Mann ist böse. Ich würde das zwar so nicht unterschreiben, aber falls diese Charakterisierung trotzdem stimmt (und sie stimmt im Grunde ja immer nur für den Charakterisierenden und die, die ihm zustimmen, und nicht für den Charakterisierten selbst), also, wenn Trump tatsächlich »böse« ist, dann bekommt der Spruch von der »Banalität des Bösen« noch mal eine ganz neue Bedeutung, dann banalisiert sich das Banale aufs schlichtweg Blöde hinab, und das scheint mir keine sinnvolle Verwendung der Kategorie des Banalen zu sein. Wobei mich die Rede von der »Banalität des Bösen« in Wahrheit viel mehr interessiert als die Deutung Trumps als »böse«, »teuflisch« oder »monströs«, oder was immer sonst noch so durch den Raum des Pseudopsychologischen geistert. Denn die Tatsache, dass die – im Übrigen von Karl Jaspers bereits 1946 in einem Brief an Hannah Arendt vorgeprägte und von Arendt 1963 durch den Untertitel ihres Buches Eichmann in Jerusalem populär gemachte – Rede von der »Banalität des Bösen« wirkmächtig werden konnte und auch nach Jahrzehnten noch wirkmächtig ist, zeigt doch nur, dass wir es noch immer nicht geschafft haben, uns vom Monströsen zu lösen oder – anders gesagt – dass das Monster, das wir in einem Menschen wie Donald Trump sehen, noch immer in uns schlummert und aus der Dunkelheit des Schädelinneren heraus unsere äußere Wahrnehmung bestimmt.
Heute mal nur ein kleiner Nachtrag zu gestern, denn die Sache mit der »Banalität des Bösen« ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. Deshalb hier noch mal ein wenig genauer – und im Glauben, dass der Rückblick einen Ausblick eröffnet. Also: Jaspers schreibt in seinem Brief an Arendt im Oktober 1946, dass ihm »das Reden vom Dämonischen in Hitler und dergleichen« nicht ganz geheuer sei, denn: »Mir scheint, man muß, weil es wirklich so war, die Dinge in ihrer ganzen Banalität nehmen, in ihrer ganzen nüchternen Nichtigkeit – Bakterien können völkervernichtende Seuchen machen und bleiben doch nur Bakterien. Ich sehe jeden Ansatz von Mythos und Legende mit Schrecken.« *
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